Streit um Corona-Impfstoff: Ausgerechnet AstraZeneca
Der Pharmakonzern wird kritisiert, weil er der EU zu wenig Vakzine bereitstellt. Global lässt er Impfstoffe auch von Entwicklungsländern produzieren.
AstraZeneca steht derzeit massiv in der Kritik, weil es seine Lieferversprechen gegenüber der EU offenbar nicht einhalten kann. 400 Millionen Impfdosen hat die EU im August 2020 bestellt, 336 Millionen Euro für Entwicklung und Fertigung angezahlt. 80 Millionen Impfdosen sollten im ersten Quartal 2021 dafür geliefert werden. Nun werden es wahrscheinlich aber lediglich 31 Millionen. Damit steht auch der deutsche Impfplan auf der Kippe.
Am Mittwochabend stand das Unternehmen der EU-Kommission Rede und Antwort. Beide Seiten bezeichneten die Beratungen am Mittwochabend zwar als „konstruktiv“. Doch beklagte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides, dass es weiterhin einen „Mangel an Klarheit“ über den Zeitplan für die Versorgung der EU mit dem AstraZeneca-Vakzin gebe. Ein AstraZeneca-Sprecher sagte nur, beide Seiten hätten sich zu einer „sogar noch engeren Koordination“ des Fahrplans für die Impfstoff-Lieferung verpflichtet. Derzeit schieben sich Kommission und Unternehmen gegenseitig die Schuld an den Lieferengpässen zu.
Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley, plädierte im Deutschlandfunk dafür, der Konzern solle Konkurrenten einspannen. Eine mögliche Entschädigung helfe nicht, „sondern wir wollen Impfdosen.“ Sie kritisierte zudem, dass der Vertrag zwischen der EU und AstraZeneca für die EU-Parlamentarier nicht einsehbar sei. „Das ist wirklich ein Problem.“
AstraZenica setzt am stärksten auf weltweite Verteilung
Unabhängig davon gerät mit AstraZeneca ausgerechnet jener Konzern in die Schusslinie, der sich am stärksten für eine faire Verteilung von Impfstoffen auf der Welt einsetzt. „AstraZeneca macht vieles richtig, was andere Impfstoffhersteller bisher schuldig bleiben“, sagt Scherwin Saedi, Deutschlandsprecher der Entwicklungsorganisation ONE. Die US-amerikanische Entwicklungsorganisation gibt regelmäßig ein entsprechendes Ranking heraus. Schon zu Beginn der Pandemie ist AstraZeneca Partnerschaften mit Generikaherstellern in Entwicklungsländern eingegangen, etwa mit Oswaldo Cruz & Fiocruz in Brasilien und dem Serum Institute of India.
Letzterer ist weltgrößter Generikahersteller – in Indien wird bereits geimpft. Das Serum Institute will laut WHO noch im ersten Quartal dieses Jahres 150 Millionen Impfdosen zur globalen Verteilung zur Verfügung stellen – und das übrigens zum Selbstkostenpreis: AstraZeneca arbeitet nach eigenen Angaben bis Mitte 2021 ohne Gewinn aus dem Corona-Impfstoff. Selbst Länder wie Marokko haben laut Medienberichten bereits Impfdosen aus Indien erhalten – aus der EU, immerhin direkter Nachbar, kam bisher nichts. Biontech und Pfizer wollen im ersten Quartal weitere 40 Millionen Dosen für Entwicklungsländer bereitstellen.
AZD1222 wichtig in Entwicklungsländern
Was den globalen Einsatz von AZD1222 noch behindert, ist eine fehlende Zulassung durch die Weltgesundheitsorganisation, die in der Regel den Empfehlungen der Europäer oder US-Amerikaner folgt. In den USA aber soll der AstraZeneca-Impfstoff laut Medienberichten erst nach weiteren klinischen Studien im April zugelassen werden. Der Grund dafür ist, dass es noch nicht genug Daten zur Wirksamkeit des Impfstoffes bei älteren Menschen über 65 gibt. Auch in Großbritannien, wo der Impfstoff bereits eine Notfallzulassung erhielt, verwies die Zulassungsbehörde MHRA in einem Bericht auf diesen Umstand (hier auf Seite 33), ging aber trotzdem von einer Wirksamkeit aus. Sollte die EMA nun mit der Zulassung zögern, könnte sich ausgerechnet die große Impfhoffnung für die Entwicklungsländer verspäten.
Der andere Ansatz von AstraZeneca ist auch mit der Eigentümerstruktur des Impfstoffes AZD1222 zu erklären. Die Impftechnologie ist an der Universität Oxford entwickelt worden, die Patente liegen laut einem Bericht der Organisation Medicines Law & Policy bei der Universität selbst und einem Spin-off namens Vaccitech. AstraZeneca ist lediglich exklusiver Lizenznehmer. Auch wenn AstraZeneca ein großes Pharmaunternehmen sei, könne die Eigentümerstruktur des Corona-Impfstoffes ein neues Entwicklungsmodell in der Pharmabranche aufzeigen, heißt es in dem Bericht, eines, in dem Pharmakonzerne nicht durch monopolartige Preisstrukturen ihre Entwicklungskosten erwirtschaften und hohe Profite machen.
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