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Streit um AstraZeneca-ImpfungBritischer Pragmatismus

Großbritannien bleibt bei seinem Impfprogramm. Parallel unterstützt die Regierung in London auch Unternehmen, die zur Mutation des Virus forschen.

In London sind die Straßen auch wegen der Virusmutanten leer Foto: Alberto Pezzali/ap

London taz | Die gemeinsame Studie der Oxford-Universität und der südafrikanischen Universität of Witwatersrand gab an, dass die Effektivität des von AstraZeneca entwickelten Impfstoffes bei der südafrikanischen Coronavariante nur bei zehn Prozent liege. Das britische Kabinettsmitglied für Gesundheit, Edward Argar, betonte jedoch, dass in Großbritannien bisher nur 147 Fälle dieser Variante nachgewiesen werden konnten.

Im Vereinigten Königreich sind mehr als 12 Millionen Menschen geimpft

Laut dem für das britische Impf­programm zuständigen Staatssekretär Nadhim Zahawi ist der Impfstoff dennoch weiterhin gegen schwere Erkrankungen, Hospitalisierung und gegen das Sterben an der südafrikanischen Covid-19-Variante wirksam. „Das der­zeitige britische Impfprogramm“ müsse nicht geändert werden, es schütze auch weiterhin gegen Covid-19, schrieb Zahawi in der konservativen britischen Tageszeitung Daily Telegraph.

Der im Vereinigten Königreich am meisten verbreite Virus sei derzeit die Coronamutante, die zuerst in der englischen Grafschaft Kent entdeckt wurde und die im Dezember zu der kurzfristigen Schließung der Grenzen geführt hatte. Gegen diese Variante und das ursprüngliche Sars-CoV-2-Virus wirkten alle Impfstoffe weiterhin gut, versicherte Zahawi. Laut der neuen Studie wäre erst später, „wenn die Reisekorridore sich wieder öffnen“, mit der Verbreitung der südafrikanischen Variante zu rechnen. Die neuen Virusvarianten inklusive der aus Kent und Brasilien sind um die 50 Prozent ansteckender als das Virus, das Europa zuerst erreichte.

Auf Grund der bevorstehenden möglichen Verbreitung und den Mutationen rechnet Edward Argar damit, dass es im Herbst neue Boosterimpfungen gegen Covid-19, ähnlich wie bei Grippe­impfungen, geben werde. Der Chef des englischen Gesundheitssystems NHS, Simon Stevens, meinte sogar, dass die Grippe- und Corona-Impfung miteinander kombiniert werden könnten.

Pharmaunternehmen wurden inzwischen von der Regierung damit beauftragt, Vakzine zu entwickeln, die auch gegen die neuen Virusvarianten schützen sollen. Auch AstraZeneca und die mit dem Pharmaunternehmen kooperierende Oxford-Universität wollen ihren Impfstoff anpassen.

Großbritannien ist europaweit mit derzeit mehr als 112.000 Toten weiterhin am stärksten von der Pandemie betroffen. Die Regierung plant, bis Ende Mai alle Menschen, die älter als 50 Jahre alt sind, zu impfen. David Nabarro, der Beauftragte für Covid-19 bei der Weltgesundheitsorganisation, erklärte, dass das Vereinigte Königreich dann eine moralische Verantwortung trage, nicht verwendete Impfstoffe an die Welt­gemeinschaft weiterzureichen. Gesundheitsminister Matt Hancock hatte daraufhin bereits in der vergangenen Woche bekräftigt, dass sich Großbritannien dieser Verantwortung stellen werde.

Neue Quarantäneregelungen

Bis dato hat das Vereinigte Königreich mehr als 12 Millionen Menschen geimpft, etwa 511.000 davon bereits mit der zweiten Dosis. Laut Zahawi wurden am Samstag bis zu 1.000 Impfungen pro Minute verabreicht. Die Infektionsrate sei auch dadurch auf 0,7 bis 1,0 Prozent gesunken.

Dennoch geht Johnsons Regierung nur zaghaft mögliche Lockerungen des andauernden harten Lockdown – anders als in der Vergangenheit. Die Einschränkungen könnten womöglich sogar bis April weiterlaufen, obwohl die weiterhin geltenden Schließungen der Schulen nächste Woche überprüft werden sollen. Dazu gelten inzwischen für Einreisende aus 33 Staaten neue Quarantäneregelungen.

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4 Kommentare

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  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Jetzt wird es so langsam unübersichtlich ---

    - der guardian titelt heute das der Astra - Zeneca Impfstoff nur noch eine Wirksamkeit von 10% gegenüber der südafrikanischen Covid 19 Variante habe.

    Die Wissenschaftler - so der guardian - , die eine Studie zur Wirksamkeit des Impfstoffs durchgeführt haben, erklärten, dass der AZ-Impfstoff nur einen sehr geringen Schutz gegen leichte bis mittelschwere Infektionen aufweist, aber sie äußerten die Hoffnung, dass er theoretisch immer noch einen signifikanten Schutz gegen schwerwiegendere Infektionen bieten würde.(?)

    www.theguardian.co...ican-variant-study

    Die Ergebnisse kamen nach Untersuchungen in einem Labor zustande wobei es nach Einschätzung der Wissenschaftler unwahrscheinlich ist, das sich das Ergebnis hinsichtlich der Effektivität erhöhen lässt indem die Fallzahl der Untersuchungen erhöht wird.

    Nach Aussagen der Pharmazeutischen Zeitung weist die Schutzwirkung des Astra Zenica Impfstoff in der zugelassenen Dosierung laut EMA lediglich eine Höhe von 59,5 Prozent aus.



    www.pharmazeutisch...raenkungen-123369/

    Diese Daten sind in zweierlei Hinsichtz bedeutend:



    1.. Einschätzung des Risikos an Covid 19 zu erkranken trotz Impfung.

    2..Wenn ein Impfstoff eine Effektivität von knapp 60% und nur 10% gegen die südafrikanische Variante aufweist - lässt sich damit noch eine Herdenimmunität erreichen?

    Der Biontech Impfstoff ist zu über 90% wirksam - und gegen die südafrikanische Variante hat er immer noch eine Wirksamkeit von über 80%.

    Die britische Regierung hat die Anzahl der bereits geimpften Personen bislang als phänomenalen Erfolg dargestellt. Trotzdem den Briten wenigstens in dieser Angelegenheit ein Erfolg zu wünschen wäre scheint sich dieser nicht so recht einzustellen.

    • @06438 (Profil gelöscht):

      > der guardian titelt heute das der Astra - Zeneca Impfstoff nur noch eine Wirksamkeit von 10% gegenüber der südafrikanischen Covid 19 Variante habe.

      Das berichtet auch Karl Lauterbach in diesem Tweet:

      twitter.com/Karl_L...358571789295755264

      Damit hat der AstraZeneca Impfstoff geschätzt 75 % Wirksamkeit für die "britische" Variante B.1.1.7, und nur 10% für die "südafrikanische" Variante (ich setze Gänsefüßchen weil die Varianten längst überall eingedrungen sind, auch bei uns).

      Die Daten sind vorläufig, und nicht direkt mit anderen Studien vergleichbar. Möglicherweise ist, wie Christian Drosten anmerkt, der Schutz gegen schwere Erkrankungen auch besser, was bisher nicht untersucht wurde.

      > 1.. Einschätzung des Risikos an Covid 19 zu erkranken trotz Impfung.

      Gegen leichte Erkrankung hilft es dann wohl nicht, vielleicht mit Glück gegen eine schwere.

      > lässt sich damit noch eine Herdenimmunität erreichen?

      Das hängt vom Verhalten ab. "Herdenimmunität" ist mit Normalität und normalen Verhalten assoziiert.

      Bei normalem Verhalten wohl kaum, da auch leicht erkrankte Personen prä-symptomatisch Viren absondern.

      Die Impfung könnte aber ein teilweise helfender Faktor im Konzert mit Social-Distancing Maßnahmen sein. Allerdings sieht es gerade nicht so aus, als ob der Effekt so groß wäre wie z.B. der Effekt von Schulschließungen, die den R Faktor wohl um den Wert 0.3 reduzieren. Der Effekt erscheint mir auch niedriger als die höhere Infektösität der neuen Varianten.

      Hier eine Animation, wie schnell sich die B.1.1.7 Variante in Großbritannien verbreitet hat:

      twitter.com/Karl_L...358743460413661188

      Wenn die Impfung gegen B.1.1.7 hilft und gegen B.1.135 nicht, wird die letztere sich ähnlich schnell verbreiten.

      Ein Grund mehr warum man vor 6 Wochen auf mehr Containment (Einreisesperren, Quarantäne) hätte setzen sollen. Da hat Herr Lauterbach leider wieder mal völlig recht. Wie blöd dass ihm nicht mehr Leute zuhören.

  • > Die gemeinsame Studie der Oxford-Universität und der südafrikanischen Universität of Witwatersrand gab an, dass die Effektivität des von AstraZeneca entwickelten Impfstoffes bei der südafrikanischen Coronavariante von 84 auf 75 Prozent gesunken sei.

    Das verändert die Lage qualitativ.

    Nach den folgenden (sehr grob abschätzenden Formeln):

    de.wikipedia.org/w...t#Das_Basis-Modell

    beträgt dann die Schwelle für die Herdenimmunität mit

    R0 = 6

    E = 75% = 3/4

    D_min = (1 - 1 / R0 ) / (3/4)

    = (5/6) / (3/4)

    = 5 * 4 / (6 * 3)

    = 20/18, was größer 1 ist

    also nicht mehr erreichbar für eine hochansteckende Mutation mit R0 = 6.

    Mit dem Biontech Impfstoff, der E = 0.95 hat, ginge es so gerade noch.

    • @jox:

      > also nicht mehr erreichbar für eine hochansteckende Mutation mit R0 = 6.

      man könnte natürlich als Workaround mit dem Social Distancing teilweise weiter machen und es praktisch als Dauerzustand einrichten. Ich bin mir nicht sicher, ob das Johnsons Idee war...