Streit über Wirksamkeit der Homoöpathie: Die Grünen und die Globuli

Die Grünen als Partei haben ein besonderes Verhältnis zur Homöopathie. Am Anfang ihrer Umweltpolitik stand auch eine diffuse Furcht vor der Moderne.

Globuli kullern aus einer Ampulle

Haben die Grünen ein Globuli-Problem? Foto: imago images

Es läuft für die Grünen. Relativ stabil hohe Zustimmung, starke Vorsitzende, eine gesellschaftliche Stimmung, die sowohl das ökologische Standing der Grünen honoriert als auch deren Haltung zu dem, was man liberalfundamentalisierte Bundesrepublik nennen könnte. Auch der gerade abgeschlossene Parteitag war in der Lage, kritische Themen abzuarbeiten, den Willen zur Regierungsverantwortung zu unterstreichen. Kaum etwas kann also derzeit das grüne Wässerchen trüben, wäre da nicht eine Debatte, deren Heftigkeit überraschen muss – die Debatte um die grüne Haltung zur Homöopathie.

Weil die Grünen diesen Streit nicht so recht abgeräumt bekommen, hat die Partei zu jenem Mittel gegriffen, welches in der Politik immer dann greift, wenn ein Kompromiss nicht ganz einfach scheint: Wenn man nicht mehr weiterweiß, gründet man ’nen Arbeitskreis – auch auf die Gefahr hin, dass dieser kaum zur Klärung beiträgt. So wollen die Grünen nun, so beschloss es die Partei in Bielefeld, ihr Verhältnis zur evidenzbasierten Medizin klären. Der darin eingeschriebene Versuch, ein neues, ein anderes Verhältnis zur Wissenschaft zu definieren, er kann nur zum Scheitern verurteilt sein – schließlich gibt es dem wissenschaftlichen Vernehmen nach keinen „Beweis“ für die Wirksamkeit über den Placebo-Effekt hinaus. Und damit kaum eine wissenschaftliche Begründung für die Erstattung von homöopathischen Präparaten.

Und dennoch wären die Grünen nicht gut beraten, sich von der Homöopathie als komplementärmedizinischem Ansatz zu distanzieren. Nicht weil die bisweilen plumpe Kritik einer harten Prüfung selten standhält. So kann dem ökonomischen Argument der gesellschaftlichen Kosten auch immer das Gegenargument von Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen entgegengehalten werden. Überdies sind auch Placebos nicht kostenfrei zu bekommen. Und das Argument, Homöopathie allein könne etwa bei Krebspatienten fatale Folgen haben, gilt schließlich auch für den legalen Tabak-, Alkohol- und Fleischkonsum – allein ein Verzicht auf ein Tabakwerbeverbot dürfte höhere gesellschaftliche Kosten verursachen als die Erstattung von Homöopathie.

Leiden an der Moderne

Aber gerade darum sollte es bei der grünen Klärung zur Homöopathie nicht gehen. Die entscheidendere Richtschnur für das Verhältnis liefert vielmehr der Blick in die – leider an vielen Punkten verschüttete – Geschichte der Partei und, weiter gefasst, in die ökologische Ideengeschichte und das weitgehend in bürgerlichen Kreisen brüchige, bisweilen irrationale Verhältnis zu Fortschritt und Moderne.

Schließlich steht am Beginn der ökologischen Ideengeschichte nicht zufällig ein (irrationales) Leiden an Moderne, an Fortschritt, ja, an Evidenz. Und nicht zufällig ist es jene Epoche der von Stefan Zweig so treffend beschriebenen Fortschrittsreligion, dem Szientismus seiner Zeit, einhergehend mit massiven Veränderungen der Kommunikations- und Bildgewalt der Zeit – Grammofon, Fotografie, Telefon –, in der Rationalitätsflucht en voque war, in der jeder zehnte Münchner Bürger an Séancen teilnahm, in der Max Weber auf den mythenumrankten Monte Verità floh, in der der bis heute zu Recht Widerspruch provozierende Rudolf Steiner die Homöopathie – Akasha-Chronik beseelt – weiter popularisierte, in der er den demeter-Landbau aufs Gleis der Geschichte setzte.

Es ist dies der Anknüpfungspunkt auch, an dem die junge grüne Bewegung – insbesondere im anthroposophisch geprägten Landesverband Baden-Württemberg – andockte. Am gebrochenen Fortschrittsversprechen des Zeitalters von Planbarkeit und Machbarkeit, dem die Ölpreiskrisen von 1973 und 1979 ein Ende setzen, am aufkommenden Zeitalter des Neoliberalismus und der Globalisierung, war es ein esoterisch-verschrobener, später ins rechte Milieu abdriftender demeter-Bauer, der den Beginn der grünen Parteigeschichte mit markierte: Baldur Springmann, der Liebling auch der Medien in den späten siebziger Jahren.

Und auch die damit eng verwobene Ökologiegeschichte ist eher eine, die, neben dem Aufbau von rationaler Expertise in Fragen von Risiken der Kernkraft und Gefährdungen der Umwelt, von esoterischem Alarmismus überwölbt wurde. Wenn man die zeitgenössischen Äußerungen etwa Carl Amerys zum mythologisch aufgeladenen Waldsterben liest, dann kann man, mit dem Umwelthistoriker Frank Uekötter, kaum noch von einer Annäherung an rationales Denken sprechen. Anders gesagt, der wissens- und evidenzbasierte Ansatz der Grünen in der Klimapolitik stand gerade nicht am Anfang der Parteigeschichte.

Evidenz und Irrationalität

Ein letzter Zeitsprung mag die Ambivalenz von Evidenz und Irrationalität in die heutige Zeit zu transportieren. Es steht außer Frage, dass die ökosoziale Nachhaltigkeitsrevolution, bisher indes mit bescheidenem Erfolg, längst auf die Gesellschaft ausstrahlt. Und an der Spitze dieser Revolution steht, wiederum nicht zufällig, die Anthroposophie: Die GLS-Bank, Unternehmen wie Alnatura, dm, tegut, Marken wie Weleda oder Dr. Hauschka, sie alle teilen sich nicht nur eine anthroposophische Gründungsgeschichte – sie sind auch die Adressaten jener bürgerlichen Sehnsucht nach einer anderen, weniger evidenzbasierten Moderne, von der auch die Grünen profitieren dürften.

Wer also heute im aufklärerischen, szientistischen Gewand modernistisch-fortschrittlich-ra­tio­nal die Welt durchmisst, der übersieht vielleicht, dass es gerade im bürgerlichen Milieu auch schon immer eine Flucht vor dieser Weltbeschreibung gab, in der Lebensreform, in den 70ern, heute. Dies ist auch der Ort der Homöopathiedebatte, die sich weniger um Evidenz scheren sollte als um die Ermöglichung, Weltflucht in (informierten) Zuckerkügelchen als Flucht vor den Härten und Unübersichtlichkeiten der späten Moderne zu finden.

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