Streit über Satire in den USA: Keine Sympathie für „Charlie Hebdo“
Das amerikanische PEN-Zentrum schmeißt einen Gala-Abend. Schriftsteller boykottieren ihn, denn „Charlie Hebdo“ sollte einen Preis bekommen.
WASHINGTON taz | Aus Protest gegen die Verleihung des diesjährigen Preises für Mut und Meinungsfreiheit an das französische Satiremagazin Charlie Hebdo wollen mindestens sechs englischsprachige Schriftsteller den Galaabend des amerikanischen PEN-Zentrums am 5. Mai boykottieren.
Der Kalifornierin Rachel Kushner, dem Kanadier Michael Ondaatje, der New Yorkerin Francine Prose, der Britin Taiye Selasi, der aus Nigeria stammende Teju Cole und dem Australier Peter Carey passt die antiklerikale Linie des Blattes nicht. Zudem kritisieren sie die Darstellung des Propheten Mohammed und die angebliche „kulturelle Intoleranz“ bei Charlie Hebdo, nennen dessen Cartoons „islamophob“ und die Ehrungsentscheidung des PEN-Zentrums „falsch“ und „opportunistisch“.
Beim PEN-Galaabend in der kommenden Woche, einem der wichtigsten Fundraiser des Jahres, zu dem 800 Teilnehmer erwartet werden, sollten die sechs Autoren Tische präsidieren. In Briefen an das PEN-Zentrum in New York und in Presseerklärungen erklärten sie jetzt, warum sie Charlie Hebdo trotz ihrer Empörung über die Morde für den falschen Preisträger halten.
Carey nennt die Auszeichnung des französischen Magazins mit dem diesjährigen „Freedom of Expression Courage“-Preis „selbstgerecht“. Er fügte hinzu: „PEN erscheint blind gegenüber der kulturellen Arroganz der französischen Nation, die ihre moralische Verpflichtung gegenüber einem großen und machtlosen Teil ihrer Bevölkerung nicht erkennt.“
Auch andere Schriftsteller haben sich in dem Streit zu Wort gemeldet. In einem langen Briefwechsel mit dem PEN-Zentrum schüttet die Kurzgeschichtenautorin Deborah Eisenberg einen ganzen Sack voller Injurien über Charlie Hebdo aus. In ihren Briefen ist das Magazin unter anderem „engstirnig“, „geschmacklos, hirnlos und rücksichtlos“, „vulgär“ und „töricht“. Am Ende unterzeichnet die Autorin mit ihrem Namen und dem Zusatz „jüdisch und atheistisch“.
Die Amerikaner sind hin und hergerissen
Die bislang einzige prominente Gegenstimme stammt von dem früheren PEN-Präsidenten Salman Rushdie, der selbst jahrelang wegen einer „Fatwa“ gegen seinen Roman „Satanische Verse“ versteckt lebte. Er nennt Ondaatje und Carey „alte Freunde“ – und fügt hinzu, dass sie sich „schrecklich irren“: Das Zentrum „würde seinen Namen als Organisation für Meinungsfreiheit nicht verdienen, wenn es die Leute, die für ihre Zeichnungen ermordet worden sind, nicht verteidigen und feiern würde“, so Rushdie.
Der Eklat im PEN-Zentrum dreht sich um Befindlichkeiten, die bereits im Januar, unmittelbar nach der Ermordung von zwölf Personen in der Pariser Charlie-Hebdo-Redaktion, aufgebrochen war. Damals berichteten die großen US-Medien zwar empört über das Massaker, doch sie zensierten die Cartoons „wegen ihres absichtlich beleidigenden Inhalts,“ wie die New York Times begründete. US-Amerikaner, die wissen wollten, worum es bei Charlie Hebdo überhaupt geht, mussten sich im Internet informieren.
Seither ist die Debatte darüber, was Satire – in Wort und Bild – darf und was sie nicht darf, in den USA nie abgerissen. Im Zentrum dieser Zensurdebatte steht der Respekt gegenüber religiösen Gefühle.
In dieser Frage sind US-Amerikaner zwischen Grundprinzipien hin und hergerissen, die die Geschichte ihres Landes begleiten, darunter die beiden in der Verfassung verankerten Rechte auf uneingeschränkte religiöse Freiheit und ebensolche Meinungsfreiheit.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen
Das hat Erpresserpotenzial
Friedenspreis für Anne Applebaum
Für den Frieden, aber nicht bedingungslos
BSW in Sachsen und Thüringen
Wagenknecht grätscht Landesverbänden rein
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Klimaschädliche Dienstwagen
Andersrum umverteilen
Tech-Investor Peter Thiel
Der Auszug der Milliardäre aus der Verantwortung