Streit über Hammelsprung im Bundestag: AfD scheitert vor Gericht
Waren in der Nacht des 28. Juni genügend Abgeordnete anwesen, um Gesetze zu beschließen? Die AfD zweifelt, ihr Antrag wird aber abgewiesen.
Hintergrund ist ein verweigerter Hammelsprung in einer nächtlichen Bundestagssitzung Ende Juni. Bei einem Hammelsprung verlassen die Abgeordneten den Saal und kehren durch verschiedene Türen zurück, so dass sie exakt gezählt werden können. Wenn sich das Präsidium aber einig ist, dass Beschlussfähigkeit besteht, findet ein solcher Hammelsprung nicht statt. Der Bundestag hat 709 Mitglieder und ist beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte, also mindestens 355, anwesend sind.
Die AfD-Fraktion hatte in den frühen Morgenstunden des 28. Juni Zweifel geäußert, ob noch genug Abgeordnete da waren. Die Vizepräsidentin des Parlaments, Claudia Roth (Grüne), hatte daraufhin die Beschlussfähigkeit bejaht und die drei Gesetze wurden beschlossen. (2 BvQ 59/19)
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts begründete seine am Dienstag veröffentlichte Entscheidung damit, dass der AfD-Fraktion auch dann kein schwerer Nachteil drohe, falls sie in einem späteren Organstreitverfahren Erfolg habe. Aus Sicht des Senats geht allerdings schon aus der Begründung des Antrags nicht ausreichend hervor, welche Rechtsposition die AfD-Fraktion gegen wen gelten machen wolle. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung wäre ein erheblicher Eingriff des Bundesverfassungsgerichts in die Autonomie und Zuständigkeit anderer Verfassungsorgane. Daher müsse ein strenger Maßstab angelegt werden, argumentierten die Verfassungsrichter.
Dass möglicherweise zunächst formell verfassungswidrige Gesetze in Kraft bleiben, sei kein schwerer Nachteil, denn das Grundgesetz kenne keine präventive Normenkontrolle. Der verfassungsgerichtliche Rechtsschutz sei grundsätzlich nachgelagert, teilte der Senat mit.
AfD will mehr Sitzungswochen
„Diese Entscheidung nehmen wir zur Kenntnis“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann, in Berlin. Sie sei aus seiner Sicht aber nicht nachvollziehbar, da nachts bei geringer Anwesenheit im Bundestag häufig „Entscheidungen von weitreichenden Folgen“ getroffen würden.
In der betreffenden Nacht seien nur etwa 90 Parlamentarier im Saal gewesen, sagte Baumann. Bundestagsvizepräsidentin Roth habe dennoch gegen einen Hammelsprung entschieden. Die AfD sprach sich für eine Erhöhung der Zahl der Sitzungswochen des Bundestags aus. Dadurch könnten Sitzungen, die oftmals bis in die frühen Morgenstunden dauern, vermieden werden.
Das Bundestagspräsidium um Wolfgang Schäuble (CDU) hatte sich hinter Roths Entscheidung gestellt. Der Sitzungsvorstand habe die Vorschriften der Geschäftsordnung zur Feststellung der Beschlussfähigkeit korrekt angewendet. Die AfD ist im Bundestagspräsidium nicht vertreten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau