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Streit bei Grünen um NSU-AusschussRücktritt wegen Rückgrat

Gorden Isler findet den Umgang der Hamburger Grünen mit ihrer Abgeordneten Miriam Block „unerträglich“. Sein Amt im Landesvorstand legt er nun nieder.

Gorden Isler zieht Konsequenzen aus der Miriam Block-Affäre der Grünen Foto: Miguel Ferraz

Hamburg taz | Der Krach bei den Hamburger Grünen über die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) zum NSU-Komplex hat nun die nächste personelle Folge: Gorden Isler ist aus Protest gegen das Agieren der Grünen-Spitze von seinem Amt im Landesvorstand zurückgetreten. „Wir erleben gerade einen massiven Glaubwürdigkeitsverlust für die antifaschistische Arbeit der Grünen in Hamburg“, sagt Isler, der auch Vorsitzender der Seenotrettungsorganisation Sea-Eye ist, der taz.

Mitte April waren die Grünen an dem Versuch gescheitert, der mitregierenden SPD einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss über die Umstände des Mords an Süleyman Taşköprü abzuringen. Taşköprü wurde 2001 vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) erschossen. Die Hamburger Ermittlungsbehörden waren nicht in der Lage, den Mord aufzuklären, ein rechtsextremes Motiv sahen sie gar nicht erst.

Anders als die Grünen fand die SPD jedoch in den Fraktionsgesprächen der vorhergehenden Wochen, es gebe keine offenen Fragen mehr zum NSU-Komplex in Hamburg. Am Ende der Verhandlungen stand ein Kompromiss, der bei den Grünen eine Menge Wut auslöste: Statt eines PUA mit weitreichenden Anhörungsrechten der Par­la­men­ta­rie­r:in­nen soll es nun lediglich eine wissenschaftliche Aufarbeitung geben.

Die Grünen-Abgeordnete Miriam Block rebellierte gegen den Kompromiss: Sie stimmte in der Bürgerschaft gegen ihre Fraktion und für den Antrag der Linkspartei zur Einsetzung eines PUA.

Umgang mit Miriam Block „völlig unverhältnismäßig“

Den nachfolgenden Umgang der Fraktionsspitze um Dominik Lorenzen und Jenny Jasberg kritisiert der nun zurückgetretene Isler scharf: „Für mich persönlich ist das unerträglich. In meiner Rolle als Mitglied des Landesvorstandes halte ich die Maßnahmen der Fraktion gegen die Abgeordnete Miriam Block für völlig unverhältnismäßig“, sagt Isler.

Denn nachdem Block sich nicht an die eingeforderte Fraktionsdisziplin gehalten hatte, stimmte die Fraktion dem Antrag der Fraktionsspitze zu, die 33-Jährige als Sprecherin für Wissenschaft und Hochschule abzuwählen sowie aus den Ausschüssen für Wissenschaft und Inneres abzuberufen. Isler sagt, er hätte in dieser Situation von der Fraktionsspitze „eine weitreichendere Einbindung des Landesvorstands erwartet“.

Dabei hatte sich die Fraktionsspitze bei dem Umgang mit Block nicht nur die Rückendeckung der grünen Se­na­to­r:in­nen geholt, sondern auch der Spitze des Landesvorstandes. Isler, der im Mai 2021 in den Landesvorstand gewählt wurde, sieht sich dabei als Beisitzer nicht gehört.

Er verbindet seinen Rücktritt nun mit einem Appell an die Fraktionsspitze: Sie solle „politische Verantwortung für diese schwerwiegende Krise übernehmen“ und die Abstrafung Blocks neu überdenken.

Miriam Block soll neues Amt bekommen

Fraktionschef Dominik Lorenzen verweist hingegen darauf, dass die Fraktion schließlich mit einer deutlichen Zwei-Drittel-Mehrheit entschieden habe, Block von ihren bisherigen Ämtern abzuziehen. Allerdings deutet Lorenzen an, dass Block künftig wieder enger in die Fraktion eingebunden werden soll: „Wir blicken nun nach vorn und beraten aktuell, in welchem Ausschuss Miriam Block einen zusätzlichen Vollsitz übernehmen wird“, sagt Lorenzen der taz.

Ohnehin herrscht bei den Grünen nun die Hoffnung, dass nach den debakelreichen Wochen, in denen auch das Platzen der Koalition zwischenzeitlich denkbar schien, wieder Ruhe einkehrt. Schließlich hatte das grüne Agieren bundesweite Aufmerksamkeit auf sich gezogen, selbst in der Bundestagsfraktion gab es verständnislose Reaktionen für den Umgang der Hamburger Grünen mit Block.

Und so verwundert es kaum, dass die Hamburger Parteispitze um die beiden Vorsitzenden Maryam Blumenthal und Leon Adam schmallippig auf den Rücktritt Islers reagiert. Sein Name war bereits vor einigen Tagen hinweislos von der Liste des Landesvorstandes auf der Grünen-Homepage entfernt worden: „Wir bedauern den Rücktritt von Gorden Isler sehr“, teilt die Parteispitze auf Anfrage mit. „Wir danken ihm für sein großes Engagement und die gute Zusammenarbeit.“

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7 Kommentare

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  • 2G
    25417 (Profil gelöscht)

    wär er mal wegen Gallina zurückgetreten. FAW wäre Rückgrat gewesen.

  • Da kann man mal sehen wie nur wenige in wesentlichen Rollen eine ganze Partei schädigen können, nur weil sie ihre selbstständiges Denken an der Garderobe der SPD abgegeben haben. Vielleicht sollten diese Personen einfach gleich die Partei wechseln. Das wäre doch ein ehrlicher Zug.

  • “Fair, Feministisch, Antifaschistisch"

    Diese Grundsätze der Grünen Jugend Hamburg haben mit dem Rücktritt von Gorden Isler wieder mehr Glaubwürdigkeit erhalten.

    Denn als es darauf ankam zu zeigen, dass antifaschistisch sein keine nützliche politische Phrase ist, sondern Mut, Widerstand - manchmal sogar in den eigenen Reihen - erfordert, versagte die Fraktions- und Parteispitze der Hamburger Grünen.

    Die angeblich so antifaschistische Hamburger SPD scheint bis heute kein Problem damit zu haben, in welches Dilemma sie die Grünen mit ihrer Machtpolitik brachte.

    Ist es wirklich so schwer zur SPD zu sagen wir als Grüne wollen unbedingt einen Untersuchungsausschuss?

    Wie würde die SPD angesichts ihrer antifaschistischen Geschichte dastehen, wenn sie politisch durchdreht und die Koalition sprengt?



    Die FDP sollte bei diesem Konflikt nicht aus den Augen verloren werden. Auch sie ist mit SPD und AFD gegen einen Untersuchungsausschuss.

    Was ist die eigentliche Absicht von SPD und FDP einen NSU-Untersuchungsausschuss in Hamburg zu verweigern und damit bundesweit gegenüber allen anderen Bundesländern allein dazustehen?

    Das Wichtigste ist das starke Interesse der Initiative zur Aufklärung des Mordes an Süleyman Tasköprü für einen Hamburger NSU-Untersuchungsausschuss.

  • "Fair, Feministisch, Antifaschistisch"

    Diese Grundsätze der Grünen Jugend Hamburg haben mehr als eine Delle erhalten, wenn man den Fall Miriam Block genau analysiert.

    Denn als es darauf ankam zu zeigen, dass antifaschistisch sein keine Phrase ist, sondern Mut, Widerstand, - wenn nötig sogar in den eigenen Reihen - bedeutet, versagte die Fraktions- und Parteispitze der Hamburger Grünen.

    Die angeblich so antifaschistische Hamburger SPD scheint kein Problem damit zu haben, in welches Dilemma sie die Grünen mit ihrer Machtpolitik brachte.

    Lange vergessen ist, dass der Nazi-Verfolgte und erste Bürgermeister von Hamburg nach dem 2. Weltkrieg, Brauer (SPD), das Buch "Das letzte Kapitel" des Archivrates Möller zur Entlastung des Stadthalters von Hitler in Hamburg, Kaufmann, an alle Hamburger Bürgerschaftsabgeordneten verteilte.



    Der Archivrat wurde darauf hin zum Direktor des Hamburger Staatsarchivs befördert, wurde aber beurlaubt, als die Hamburger SPD gegen das Buch protestierte und festgestellt wurde, dass der Direktor des Hamburger Staatsarchives während der NS-Zeit gegen Juden gehetzt und Hitler verherrlicht hatte.

    Die politisch Verantwortlichen in Zusammenhang mit dem Skandal um das Buch, das auf einen Auftrag der Stadt Hamburg zurückging, versuchten sich alle reinzuwaschen.

    Renate Mitscherlich setzte sich in einer Rede im Hamburger Rathaus mit den Geschichtslügen von Möller breit auseinander, die sie sogar als Trauerarbeit verklärte, während sie der Weigerung eines jüdischen Hamburger Opfers der Shoa, nicht gegenüber Hamburger Historikern aussagen zu wollen, nicht genau analysierte und die Perspektive des Opfers der Shoa im Grunde marginalisierte.

    Die Verdrängung der Opferperspektive der bekannten Wissenschaftlerin Mitscherlich ist auch beim Skandal um Frau Block aktuell.

    www.hamburg.de/ns-...rete-mitscherlich/

    • @Lindenberg:

      Korrektur / Ergänzung

      Ob die Formulierung "Trauerarbeit" von Mitscherlich für das Buch von Möller gerechtfertigt ist, kann ohne eine genaue Kenntnis des Buches "Das letzte Kapitel" nicht gesagt werden.



      Die Formulierung "Trauerarbeit" von Mitscherlich überrascht allerdings.







      Die Formulierung "Die Verdrängung der Opferperspektive der bekannten Wissenschaftlerin Mitscherlich ist auch beim Skandal um Block aktuell.", ist nicht korrekt, da Mitscherlich die Opferperspektive sicher nicht verdrängt, ihr im Gegensatz zur Perspektive des Täters Möller aber sehr wenig Raum in der Analyse zubilligt.

      Die Stadt Hamburg hat die wichtige Rede von Mitscherlich ohne Quellen veröffentlicht. Ohne diese kann die Rede nicht genau analysiert werden.

      In dem Buch "Nach der Vernichtung: Der Umgang mit Menschen mit Behinderungen in der Hamburger Politik und Gesellschaft: 1945 – 1970“, Seite 28 folgende, setzt sich Bodo Schümann kritisch mit der Rolle von Max Brauer um das umstrittene Buch von Möller auseinander. Bei einer parlamentarischen Anfrage der KPD habe Brauer mehrfach nicht die Wahrheit gesagt, als nach der Verantwortung des Senats für die Beauftragung von Möller für das umstrittene Buch gefragt wurde.



      Das gehe aus handschriftlichen Notizen von Brauer hervor.



      Möller wurde nach seiner Beurlaubung von Brauer entlassen, klagte sich aber später wieder erfolgreich ein.



      Eine historische Forschungsstelle zu den Hamburger NS-Verbrechen wurde relativ schnell wieder abgeschafft, viele Jahre später erst wieder eingerichtet.



      Es wäre gut zu erforschen, warum die Aufarbeitung von NS-Verbrechen in Hamburg so spät begann und welchen Anteil die SPD daran hatte und wie sich Hamburger SPD-Politik bis heute damit kritisch auseinander setzte.

      Die Verweigerung des heutigen NSU-Untersuchungsausschusses durch die Hamburger SPD und der Skandal der Grünen um Block wäre in dem Zusammenhang sicher mehr als eine Fußnote wert.

  • "Fraktionschef Dominik Lorenzen verweist hingegen darauf, dass die Fraktion schließlich mit einer deutlichen Zwei-Drittel-Mehrheit entschieden habe," Duckmäusertum und Abwägungen über die eigene politische Zukunft über die Loyalität mit einer Parteifrteundin zu stellen.



    :P

  • Wenigstens einer hat einen Arsch in der Hose.