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Strategien gegen RassismusLuft anhalten hilft nur kurz

Asiat:innen gelten oft als Vorzeige-Minderheit, Rassismus machen viele mit sich selbst aus. Die Krise erinnert uns daran, dass das nicht ausreicht.

Luft anzuhalten lernt man beim Schwimmen, gegen Rassismus hilft es nur kurz und individuell Foto: Christian308/imago

A uf langen Autofahrten gelten bestimmte Regeln: Es muss eine gute Playlist geben mit Songs, die man laut mitsingt, und solchen, zu denen man schweigt. Man muss Snacks dabei haben. Man muss ein Fenster runterkurbeln und mit der Hand in Wellenbewegungen den kalten Fahrtwind zerschneiden. Und man muss die Luft anhalten, wenn man durch einen Tunnel fährt.

Ich habe das Luftanhalten perfektioniert. Das tiefe, bewusste Luftholen, um lebensnotwendigen Sauerstoff in die Lungen strömen zu lassen. Das Ausschalten der Nervosität, das stoische Warten auf den Moment, an dem die Brust langsam nach Entleerung verlangt. Das vorsichtige, kontrollierte Ausstoßen von Koh­len­di­oxidportiönchen.

Das Ausquetschen der Lungenflügel bis zum letzten Rest. Und dann wieder warten, mit angespanntem Zwerchfell durchhalten, bis der Atemreflex gewinnt. Früher war mein Endgegner der Elbtunnel, drei Minuten unter Wasser, keine Chance, wenn du keine Apnoetaucherin bist.

Heute ist der Elbtunnel nichts. Seit Januar halte ich die Luft an, nein, das ist gelogen. Eigentlich halte ich sie schon viel länger an, unterbewusst und routiniert. Luftanhalten und dreimal schlucken ist ein guter Trick gegen Schluckauf.

Die Illusion, den Rassismus zu beherrschen

Das funktioniert auch mit Rassismus, du atmest ihn ein und schluckst ihn runter. Wenn du das bewusst tust, entsteht die Illusion, du könntest ihn beherrschen, du hättest die Kontrolle darüber, was er mit dir macht. Luftanhalten, dreimal schlucken, warten, kurz gewonnen. Du kannst zwar nicht ändern, was passiert, aber du kannst entscheiden, was es mit dir macht. Dein Schmerz, deine Regeln.

Dieses fast perfekte Mantra kann zwar Teil einer persönlichen Überlebensstrategie sein, aber sonst kaum etwas verändern. An manchen Tagen mag das genug sein, sogar für ganze Lebzeiten. Aber die aktuelle Situation ist ein ugly reminder, dass auch für eine sogenannte Vorzeigeminderheit Aufenthaltsbedingungen gelten. Ich habe gelernt, die kleinen Nadelstiche auszuhalten und zu belächeln. Ich habe gelernt, mich in den Rollen zu bewegen, die mir zugeteilt wurden.

Ich habe gelernt, nicht laut zu widersprechen, meine Bedürfnisse zurückzustellen, mit dem Gegebenen zufrieden zu sein und sogar Legitimation für dieses Verhalten in der Philosophie meiner Vorfahren zu suchen. Und gerade lerne ich, dass all das nicht reicht.

Ich bin nicht mehr jung genug, um zu glauben, wir seien alle gleich, und noch nicht alt genug, um diesen Zustand einfach hinzunehmen. Ich dachte, es lägen Welten zwischen den Nadelstichen und Steinen, die durch unsere Fensterscheiben fliegen. Spucke, die in unserem Gesicht landet. Drohungen, die niemand runterschlucken kann. Ich habe mich getäuscht, vermutlich absichtlich.

Ich habe das Luftanhalten perfektioniert und manchmal hilft’s. Aber in eine durchschnittliche Lebenszeit passen über 14 Millionen Fahrten durch den Elbtunnel, und das ist viel zu lang, um nicht auszuatmen.

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Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag. Foto: Amelie Kahn-Ackermann
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2 Kommentare

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  • "Ich bin nicht mehr jung genug, um zu glauben, wir seien alle gleich" -- schade, dass Frau Hierse ihre Erkenntnisvoraussetzungen nicht mit uns teilt!

  • Bitter.

    Allzuleicht zu verdrängen, wenn man selbst nicht auf der Empfängerseite ist.

    Deshalb ist es immens wichtig, immer wieder von Menschen zu hören, die das sind. Ich kann mir nur ungefähr ausmalen, was es an Kraft kostet, doch mal "auszuatmen".

    Danke dafür.