Straßenumbenennung in Hannover: NS-Wegbereiter weicht NS-Opfer
In Hannover geht der Streit um die Hindenburgstraße zu Ende. Nach Beschluss des Bezirksrats Mitte soll die Straße bald Loebensteinstraße heißen.
Unter ihnen ist auch Paul von Hindenburg, 1915 zum Ehrenbürger der Stadt Hannover gekürt, NS-Ermöglicher und konservativer Steigbügelhalter, der im Zuge der so genannten Machtergreifung 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte. Als Fazit hielt der Beirat fest: „Der Reichspräsident Hindenburg hatte bei der Zerstörung der Republik und beim Ausbau der Diktatur unter einem antisemitischen Regierungsprogramm die zentrale Rolle.“ Auch später habe er die Maßnahmen mitgetragen, die am Ende die nationalsozialistische Diktatur ermöglichten.
Im August 2018 stellte die SPD im Bezirksrat Mitte einen Antrag auf Umbenennung der Hindenburgstraße. Diese wird von prunkvollen Villen aus der Gründerzeit gesäumt, verläuft entlang des Stadtwaldes Eilenriede und ist unter anderem die Adresse der Landeszentrale der CDU. Informationstafeln zur historischen Einordnung sollen dort auch aufgestellt werden.
Die Grünen und die Linkspartei schlossen sich dem Antrag der SPD an. Die FDP und die CDU wiederum positionierten sich bereits damals öffentlichkeitswirksam dagegen, wünschten eine Anwohner*innenbefragung und schlugen vor, statt der Umbenennung nur eine Tafel zur historischen Einordnung anzubringen. Der Antrag zur Namensänderung wurde am 20. August 2018 beschlossen.
Neben der Hindenburgstraße gibt es noch zahlreiche andere Orte in Hannover, deren Namensgeber*innen Teil einer Debatte um die kolonialistische und nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands sind.
Mindestens 21 Straßen, sechs Denkmäler und acht Persönlichkeiten in der Geschichte mit klaren kolonialen Bezügen hat das Uniprojekt http://www.koloniale-spuren.de recherchiert und bearbeitet.
17 Namensgeber haben Expert*innen zur Umbenennung empfohlen, darunter sind die Hindenburgschleuse in Hannover-Anderten, die Pfitznerstraße, der Sauerbruchweg und der Uhlenhutweg.
Kürzlich abgelehnt wurden die Umbenennungen von Frenssenufer, Konrad-Lorenz-Platz, Fritz Beindorffallee, Mahrarensweg, Ponthof und Porscheweg.
Umbenannt werden soll die General-Wever-Straße, der entsprechende Prozess läuft derzeit.
Am 14. September 2018 brachte die CDU an ihrer Landeszentrale ein Banner mit einem riesigen Abdruck des Straßenschildes an, darauf die Aufschrift; „#wirsindhindenburgstraße“. Die Bild-Zeitung sah „ein Stück Heimat“ für die Anwohner*innen verloren. Fünf Anwohner gründeten die „Initiative Hindenburgstraße“ und sammelten Unterschriften gegen die Umbenennung. Einer der Initiatoren, Ludwig Meyer, sagte der Neuen Presse damals: „Geschichte muss aufgearbeitet werden. Sie kann nicht einfach gelöscht werden, indem man die Straßennamen auswechselt.“
Die Gegner*innen holten ein Gutachten ein, das die historische Einschätzung der Stadt widerlegen sollte. Darin drängen die Gutachter auf den Erhalt des Namens und die Schaffung einer Infotafel. 298 der 500 Anwohner*innen sahen das laut einer Umfrage der Stadt auch so.
Aber auch die Befürworter*innen der Umbennung wurden offenbar aktiv: Am 23. September 2018 entfernten Unbekannte die Straßenschilder.
Dem Widerstand der Anwohner*innen zum Trotz ist nun, am 9. November 2020, dem Jahrestag der antisemitischen Novemberpogrome, die Entscheidung über einen neuen Namen gefallen. 247 Namensvorschläge waren eingegangen, eine rot-rot-grüne Mehrheit beschloss: Loebensteinstraße soll sie nun heißen.
„Wo derzeit noch ein Politiker geehrt wird, welcher der faschistischen Gewaltherrschaft erheblichen Vorschub geleistet hat, wird künftig eine Erinnerung daran zu finden sein, wohin diese letztlich führte“, sagt Linken-Politiker Dirk Machentanz zur Entscheidung. CDU und FDP positionieren sich weiterhin gegen die Umbenennung. Und in sozialen Netzwerken kochen erneut die Gemüter hoch.
Die neue Namensgeberin ist Lotte-Lore Loebenstein, die bis zu ihrer Flucht vor den Nationalsozialisten 1937 in die Niederlande in der Hausnummer 34 der Straße lebte. 1943 wurde sie mit ihrer Familie deportiert und im Vernichtungslager Sobibór ermordet. Sie wurde nur 10 Jahre alt. Heute erinnert lediglich ihr Name auf dem Shoah-Mahnmal am Opernplatz und ein Stolperstein in Nijmegen an sie. Die liberale jüdische Gemeinde Hannover wurde in den Prozess der Namensfindung eingebunden.
Aber nicht nur die Hindenburgstraße hat in Hannover einen problematischen Namensgeber. Die Gruppe „Decolonize Hannover“ will die koloniale Vergangenheit der Stadt sichtbar machen und deren Auswirkungen auf die Gegenwart aufzeigen. Zahlreiche weitere Namen von öffentlichen Orten sollten, laut der Gruppe, überdacht und aufgearbeitet werden. So ist beispielsweise eine Schleuse in Hannover-Anderten ebenfalls nach Hindenburg benannt.
Eine Aktivist*in der Initiative sagt: „Die Umbenennung einzelner Orte ist aber nicht der Weisheit letzter Schluss. Es muss immer auch Aufklärung erfolgen.“ Der Prozess der Aufarbeitung dauere in zahlreichen Städten etliche Jahre, manchmal würde bei Umbenennungen auch unbedacht gehandelt wie vor Kurzem in Berlin geschehen. Aus Sicht der Initiative sollten Betroffene an den Tisch geholt werden, um einen derartigen Fauxpas zu vermeiden.
Nun steht eine erneute Befragung der Anwohner*innen im Verwaltungsprozess an, diese ist jedoch nicht bindend für die weiteren Entscheidungen des Bezirksrats. Im Frühjahr 2021 ist wohl mit einem Austausch der Schilder zu rechnen. Dann steht an der prominenten Straße im Zooviertel nicht mehr der Name eines NS-Ermöglichers, sondern eines Opfers der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?