Straßenproteste in Frankreich: Der Druck bleibt
Die Zahl der Demonstrant:innen ist zwar zurückgegangen. Doch der Frust bei Frankreichs Bürger:innen wird so schnell nicht verschwinden.
F rankreich wird gern mit einem Schnellkochtopf verglichen: Wenn der Druck zu sehr steigt, fängt es unter dem Deckel zu dampfen und zu zischen an, bevor dann alles überkocht. Momentan zischt und brodelt es gewaltig. Zwar folgten dem Streik gegen die Rentenreform am Dienstag nicht mehr so viele Menschen wie noch vergangene Woche. Auch die Zahl der Demonstrant:innen ist zurückgegangen. Doch die Regierung sollte sich darüber nicht zu früh freuen. Denn die Unterstützung für die Protestbewegung ist nach wie vor hoch.
Daran dürfte auch die Bekanntgabe der Rentenpläne am Mittwoch nicht viel ändern. So schnell kann Premierminister Edouard Philippe den Schaden nicht wiedergutmachen, den seine Regierung in den vergangenen Monaten angerichtet hat. Widersprüchliche Aussagen, undurchsichtige Strategie, langes Lavieren – die Liste der Fehler ist ausgerechnet bei der wichtigsten Reform Präsident Emmanuel Macrons lang.
Die Gewerkschaften ergreifen deshalb die Chance, die das Aufregerthema Rente ihnen bietet. Sie werden die Streiks und Proteste so lange wie möglich aufrechterhalten. Die Radikalsten unter ihnen wollen so lange weitermachen, bis der Präsident seine Rentenreform zurückzieht. Das kann Macron natürlich nicht tun, wenn er nicht die Glaubwürdigkeit bei den eigenen Wähler:innen verlieren will. Der Staatschef, der seine Landsleute über seine Pläne viel zu lange im Ungewissen gelassen hat, kann seine Reform nun nur noch so formulieren, dass sie zumindest die gemäßigten Gewerkschaften zufriedenstellt. Damit wird aber die verbreitete Unzufriedenheit nicht verschwinden.
Niedrige Kaufkraft, sich verschlechternde öffentliche Dienstleistungen, ein starkes Stadt-Land-Gefälle: All diese Probleme sind mit der Rentenreform wieder an die Oberfläche gekommen. Im vergangenen Jahr waren es die Demonstranten in gelben Westen, die sie auf die Straße getragen haben. In diesem Jahr sind es die Gewerkschaften mit ihren roten Flaggen. Die Farben haben sich geändert, doch der Druck im Kessel bleibt.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen
Das hat Erpresserpotenzial
Friedenspreis für Anne Applebaum
Für den Frieden, aber nicht bedingungslos
BSW in Sachsen und Thüringen
Wagenknecht grätscht Landesverbänden rein
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Klimaschädliche Dienstwagen
Andersrum umverteilen
Tech-Investor Peter Thiel
Der Auszug der Milliardäre aus der Verantwortung