Straßenprotest wird zum Politikum: Macron hat ein Problem
Hunderttausende demonstrieren in Frankreich gegen höhere Spritpreise. Rechtsextreme versuchen die Stimmung für sich zu nutzen.
Was die Staatsführung für eine leere Drohung in den sozialen Netzwerken gehalten hatte, ist Tatsache geworden: Tausende wütende Bürger*innen haben als Zeichen der Zusammengehörigkeit gelbe Warnwesten angelegt und an mehr als 2.000 Stellen Straßensperren errichtet, um so gegen die steigenden Treibstoffpreise und vor allem gegen zusätzliche staatliche Abgaben auf Diesel und Benzin zu protestieren.
Laut Innenministerium beteiligten sich am Samstag 290.000 Menschen an diesen Protesten. Am Sonntag wurde die Aktion an mindestens 150 Orten fortgesetzt, und für den 24. November ist eine Kundgebung auf der Place de la République in Paris angekündigt.
Der Grund für den Ärger ist, dass – nach der Erhöhung der staatlichen Abgaben (TICPE) um fast 8 Cent für Diesel und 4 Cent für Benzin Anfang 2018 – an der Tankstelle am kommenden 1. Januar ein weiterer Zuschlag geplant ist: plus 6 Cent für den Diesel und nochmals 3 Cent mehr für Benzin.
Unterschiedliche Gründe für den Protest
Unterschätzt wurde offenbar, wie dramatisch der Protesttag am Samstag verlaufen würde, der ohne Mithilfe von Gewerkschaften, Parteien oder Bürgerinitiativen, nur durch Aufrufe auf Facebook zustande kam. Wegen der mangelnden Vorbereitung und Koordination gab es gravierende Zwischenfälle, vor allem mit aggressiven Automobilisten, die sich vor den Blockaden der „gelben Westen“ nicht stoppen lassen wollten. Die offizielle Zwischenbilanz ist dramatisch: ein Todesopfer und mehr als 400 Verletzte, von denen 14 in ernstem Zustand im Krankenhaus liegen.
Dass auf einem Kreisverkehr außerhalb der Ortschaft Pont-de-Beauvoisin in Savoyen eine 63-Jährige, die von einer angeblich in Panik geratenen Fahrzeuglenkerin umgefahren wurde, das Leben verlor, hat schockiert. Man hätte es aber kommen sehen können: Diese Sperre war ursprünglich nicht geplant gewesen und sie war wie viele andere auch den Behörden nicht angemeldet worden. Aus diesem Grund waren auch keine Polizisten zugegen, die bei eventuellen Zwischenfällen einschreiten sollten.
Die Forderung an die Regierung, die Erhöhung der Abgaben auf Treibstoffe zurückzunehmen, war der gemeinsame Nenner der Beteiligten. Von den Medien zu ihrer persönlichen Motivation befragt, zählten die TeilnehmerInnen an den Blockaden aber eine ganze Reihe von unterschiedlichen und zum Teil sogar widersprüchlichen Gründen auf.
Rentner beschwerten sich über eine zusätzliche Steuerlast, die ihre bereits geringe Kaufkraft schmälere, Ambulanz- und Taxifahrer waren gegen die Liberalisierung ihrer exklusiven Transportaktivitäten, und auf dem Land wurde von der dramatischen Verödung und Vernachlässigung durch den Staat gesprochen: keine Schulen, keine Bahnverbindung mehr, kein Arzt, keine Läden, keine Vergnügungsmöglichkeiten – dafür aber immer mehr Steuern und Abgaben.
„Macron – zurücktreten!“
Die Aktion gegen die Treibstoffpreise gab diesen Leuten die Gelegenheit, ihre angestaute Wut in kollektiver Weise öffentlich auszudrücken. Die meisten sagten auch, sie seien weder in einer Partei oder Gewerkschaft organisiert, und sie hätten noch nie in ihrem Leben demonstriert – und wenn, dann nur zur Feier des französischen Sieges bei der letzten Fußball-WM. Einige hatten die damals zuletzt verwendete Trikolore hervorgeholt, um sie zum Hupkonzert an den Sperren zu schwenken. Zwischen Slogans wie „Macron – démission!“ (Macron – zurücktreten!) wurde immer wieder grölend die Marseillaise angestimmt.
Bezeichnend ist auch, dass die Mobilisierung in den ländlichen Gebieten und in der weiteren Umgebung der Städte am größten war, nicht in den urbanen Zentren. Abgesehen von einer Kundgebung auf den Champs-Elysées in Sichtweite von Macrons Präsidentenpalast und einer Sperre an der westlichen Zufahrt der Porte Maillot war in der Hauptstadt von der Bewegung nichts zu sehen.
Ist es da ein Wunder, dass vor allem die populistische Rechte Frankreichs – allen voran Marine Le Pens „Rassemblement national“ (ehemals Front-National) und Nicolas Dupont-Aignans Partei „Debout la France“ – in diesen zornigen Landsleuten ihre eigene Basis erkennen will? Es sind jene Gruppen, die Politologen pauschal mit dem Etikett „Protestwähler“ bezeichnen.
Die Regionen mit den meisten Straßensperren der „Gelben“ sind auf der politischen Landkarte oft deckungsgleich mit den Wahlkreisen, in denen Marine Le Pen am meisten Stimmen erhielt. Die Parteichefin erklärte am Sonntag die „gelben Westen“ zum „Frankreich, das arbeitet und seine Abgaben bezahlt“. Macron habe das Kunststück fertigtgebracht, die braven Bürger, „die noch nie demonstriert hatten, auf die Straße zu treiben“.
Linke wie Rechte instrumentalisieren den Protest
Marine Le Pens Partei ist ebenso wie andere, auch die linke „France insoumise“ von Jean-Luc Mélenchon, auf den Protestzug aufgesprungen. Die SprecherInnen der Opposition von rechts und links versuchen, diesen „Volkszorn“ gegen die derzeitige Staatsführung zu instrumentalisieren. Die Initiatoren der Bewegung sind sie nicht. Diese ist eine für Frankreich neue Form von Populismus ohne Populisten, eine Mobilisierung ohne Volkstribun an der Spitze.
Die populistisch agierenden Parteien, die wie die „gelben Westen“ die Pariser Elite, ihren Egoismus und ihre arrogante Verblendung für alle Probleme und Miseren verantwortlich machen, könnten dennoch am Ende die Gewinner dieser Auseinandersetzung sein, deren Fortsetzung und Ausgang ebenso unberechenbar und vorhersehbar sind wie deren Beginn in den sozialen Netzwerken.
Präsident Macron hat nun also ein ernstes Problem. Er hüllte sich am Samstag dennoch in Schweigen, was die Demonstrierenden erst recht in Rage brachte. Sein Umweltminister François de Rugy, ein Ex-Grüner, wollte in Sachen Öko-Abgaben auf Treibstoffe unbeirrt am Kurs festhalten: „Ich verstehe, dass es Leute gibt, die wollen, dass alles beim Alten bleibt. Wir sind aber gewählt worden, um etwas zu ändern, und das werden wir auch tun.“
Mal sehen, was die gelben Westen dazu sagen. Frankreich hat seine „Wutbürger“, die sich gerade zum ersten, aber wohl nicht zum letzten Mal zu Wort gemeldet haben.
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