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Strafe für § 219a-Protest im Bundestag150 Euro pro T-Shirt

Zehn Aktivist*innen müssen Strafe zahlen, weil sie im Parlament die Abschaffung von § 219a gefordert haben. Solche Bußgelder sind eine Seltenheit.

Sprüche wie dieser sind auf der Straße okay, im Bundestag nicht Foto: dpa

Berlin taz | Ihr Protest bei einer Anhörung im Bundestag wird teuer für zehn Pro-Choice-Aktivistinnen. Weil sie bei einer Anhörung zur Zukunft des Paragrafen 219a auf der Zuschauertribüne ihre politischen Forderungen auf T-Shirts präsentiert haben, sollen sie nun alle 150 Euro Bußgeld zahlen.

Im Juni 2018 hatte der Rechtsausschuss Sachverständige zum Paragrafen 219a angehört. Dieser verbietet es Ärzt*innen, öffentlich umfänglich darüber zu informieren, ob und wie sie Abtreibungen durchführen. Mitten in der Anhörung erhoben sich zehn Aktivist*innen des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung und präsentierten T-Shirts mit Aufdrucken wie: „Weg mit 219a“ – ein Verstoß gegen die Hausordnung des Bundestags.

Der Ausschussvorsitzende Stephan Brandner (AfD) ließ die Aktivist*innen von der Polizei aus dem Raum bringen. Als andere Zuschauer*innen applaudierten, sprach er von einem „Affenzirkus“ und drohte, die ganze Tribüne räumen zu lassen. Später erklärte Brandner, auf der Tribüne säßen wohl „entweder nur sehr beschränkt denkende Menschen“ oder das Publikum nehme „das hier unten nicht ernst“.

Für die Aktivist*innen war die Sache damit vorbei – doch nun haben sie Bußgeldbescheide aus dem Justiziariat des Bundestages erhalten: Sie sollen jeweils 150 Euro zuzüglich der Verfahrenskosten zahlen. Die Polizei hatte Strafanzeige gestellt. Verstöße gegen die Hausordnung können mit bis zu 5.000 Euro Geldbuße bestraft werden. „Die Aktion für Informationsfreiheit war wichtig und richtig“, erklärt das Bündnis nun in einem Spendenaufruf.

Bußgelder sind selten

Es ist nicht das erste Mal, dass Menschen wegen ihrer Bekleidung den Saal verlassen müssen. Im März 2017 schmiss der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert die Grünen-Abgeordneten Chris Kühn, Özcan Mutlu und Dieter Janecek aus dem Saal, weil diese T-Shirts mit der Aufschrift „Free Deniz“ trugen, um ihre Forderung nach einer Freilassung des in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel zu unterstreichen. Ein formaler Ausschluss war das nicht, die Abgeordneten hätten in anderer Kleidung zurückkommen dürfen.

Mutlu erzählt, dass auch eine seiner Besuchergruppen einmal die Zuschauertribüne im Plenarsaal habe verlassen müssen, weil ihre T-Shirts einen Protest gegen die Politik des türkischen Präsidenten darstellten. „Ein Bußgeld hat das aber nicht gegeben.“ Meist würden die Menschen des Saales verwiesen und damit sei die Sache beendet.

Tatsächlich sind Bußgelder selten, wie die Pressestelle des Bundestags auf taz-Nachfrage erklärt. In den vergangenen fünf Jahren sind demnach 44 Besucher*innen wegen Verstößen gegen die Hausordnung des Saals verwiesen worden – 22 von der Besuchertribüne des Plenarsaals und zwölf aus Ausschusssitzungen. Bußgelder wurden nur in vier Fällen verhängt, gegen insgesamt 13 Personen – zehn davon sind die nun belangten Aktivist*innen.

Mehr Aufmerksamkeit für das Thema

In den vergangenen fünf Jahren haben also nur drei weitere Personen ein Bußgeld zahlen müssen. Was in diesem Fall den Ausschlag gegeben hat, war auch auf Nachfrage in der Bundestagspressestelle bis Redaktionsschluss nicht zu klären. Im Bußgeldbescheid heißt es, die Betroffenen hätten vorsätzlich gehandelt – sich andererseits aber still verhalten. Auch seien sie der Aufforderung, sich zu entfernen, „unverzüglich“ nachgekommen. Der Ausschussvorsitzende Brandner erklärte auf Nachfrage, für ihn sei die Sache erledigt gewesen, als die Personen den Saal verlassen hatten.

Die Linken-Abgeordnete Cornelia Möhring erklärt: „Unabhängig, ob dieses Bußgeld den Regeln des Deutschen Bundestags nach gerechtfertigt ist oder nicht: Ziviler Ungehorsam ist wichtig und legitim.“ Auch die Grünen-Abgeordnete Ulle Schauws sagt, dass „unstrittig“ ein Verstoß gegen die Hausordnung vorliege – betont aber auch, die Aktion habe zu mehr Aufmerksamkeit für das Thema geführt: „Das ist wichtig.“

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6 Kommentare

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  • Ob auf einem T-Shirt oder Plakat "Nieda mit die Katze" steht oder irgendein anderer Protest ist unwichtig. Protestkundgebungen haben in einem Parlament nichts zu suchen, die Abgeordneten dürfen im Plenum weder unter Druck gesetzt, noch beeinflußt werden.



    Proteste gegen §219a dürfen, AFD-Slogans aber nicht? Wer sortiert die Aktionen nach Gut und Böse?

  • Wenn der Staat mit Kanonen auf Spatzen schießt, hoffe ich, dass sich möglichst viele anschließen und das Ungleichgewicht wenigstens ein wenig mildern:



    www.sexuelle-selbs...-%c2%a7-219a-stgb/

  • 150 Euro kostet es also, sein Grundrecht auf Meinungsfreiheit wahrzunehmen - dafür könnte man 10 mal falsch Parken. D.h. auch, Meinungsfreiheit wird teurer erkauft als sich mehrfach mit dem Staat anzulegen, und leider ...

    die Frauen haben noch immer kein Selbstbestimmungsrecht und können nur durch zivilen Ungehorsam auf solche Umstände hinweisen. Wie sonst, oder hätten sich die 10 Frauen entblößen sollen, wäre vllt. billiger gekommen und hätte wie in Russland zu mehr Aufmerksamkeit geführt, oder sich als Märtyrerinnen gar von der Tribüne stürzen sollen ?

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Dann mal flott das Portemonnaie gezuckt, damit die teuren T-Shirts bezahlt werden können.

  • Es ist keine angegriffen worden, keiner beleidigt worden. Die Trägerinnen sind des Raumes verwiesen worden und sind dem unverzüglich nachgekommen. Da bleibt nicht mehr viel Verständnis für das Handeln des Bundestages.

    Die Hausordnung des Bundestages scheint schon sehr kleinlich zu sein - zumindest gegenüber Nicht-Abgeordneten. Aber wer einen Wassergraben braucht, bei dem scheint Abgrenzen Programm zu sein.

    • @fly:

      Ja den Wassergraben braucht der Bundestag um ordentlich arbeiten zu können. Gerade die Vergangenheit hat gezeigt, dass ein Parlament von der Straße bedroht wird.



      Der BT ist nun mal das exklusive Arbeitsumfeld der Abgeordneten.