Stimmung in Berlin nach der Wahl: „Die haben nüscht anzubieten“
Mietenexplosion, Touristenschwemme, wachsende Armut und Flüchtlinge – die Themen des Wahlkampfs beschäftigen die Berliner weiter.
Aber nicht nur der anstrengende Arbeitstag lässt Ruder in seinen struppigen Bart grummeln. Es sind Zahlen, die ihm zu schaffen machen: 23,6 Prozent der Zweitstimmen hat die AfD bei den Wahlen am vergangenen Sonntag im Bezirk bekommen, so viele wie keine andere Partei. Bei den Erststimmen schaffte die hier traditionell starke Linkspartei nur einen hauchdünnen Vorsprung von 71 Stimmen, außerdem konnte die AfD hier zwei ihrer fünf Direktmandate holen. „So ’ne sinnlose Scheiße, jetzt mal auf gut Deutsch“, ist Ruders erster Kommentar.
Ortswechsel. Am Morgen nach der Landtagswahl ist am Kottbusser Tor alles wie immer: Im Köftecisi zischen die Hackfleischbällchen auf dem Grill, der Gemüsehändler daneben sortiert pfeifend Tomaten. Friedrichshain-Kreuzberg hat wie immer Grün gewählt. Der Bezirk ist der einzige grüne Klecks auf einer ansonsten roten und schwarzen Stadtkarte.
Der 73-jährige Ali Durmas arbeitet als Hausmeister im Neuen Kreuzberger Zentrum, einem achtstöckigen Betonklotz mit Hunderten von Mietern direkt am Kottbusser Tor. Durmas selbst hat nicht gewählt, er ist kein deutscher Staatsbürger. Eine Meinung zu den Wahlergebnissen hat er trotzdem: „Jetzt muss es Monika zeigen“, sagt Durmas und rasselt unwillig mit seinem großen Schlüsselbund. Monika Herrmann ist die grüne Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg. Mit einem Ergebnis von 32,8 Prozent haben die Grünen im Vergleich zu 2011 zwar 3 Prozent an Stimmen eingebüßt – aber sie sind weiterhin stärkste Kraft im Bezirksparlament.
„Eine Geldverschwendung ohne Ende“
In den türkischen Geschäften und Cafés am Kotti pulsiert das Leben, drei Schritte weiter regiert das nackte Elend: Abgemagerte Alkis und Junkies hocken apathisch auf dem Trottoir und warten auf die Dealer und den Drogenhilfebus mit frischen Spritzen und Butterstullen. Tagsüber wird die Gegend von Touristen überschwemmt, nachts stürmt das Partyvolk die Bars und Kneipen. Es liegt auch an den Gegensätzen, dass der Doppelbezirk – der sich über mehrere Brücken vom ehemaligen Westen in den früheren Ostteil erstreckt – angesagt ist wie nie zuvor. Im Windschatten der Amüsierlustigen segeln Diebe und Räuber mit. Die Zahl der Strafanzeigen haben sich verdoppelt. Anwohner und Ladeninhaber wie Durmas fordern daher dauerhafte Polizeipräsenz.
In Marzahn-Hellersdorf wohnt der gebürtiger Berliner René Ruder seit Jahren fünf Minuten Fußweg von seiner Arbeitsstelle entfernt. Sein Chef hat ihn sofort gerufen, als es darum ging, wer wohl etwas zu den Wahlen sagen könnte: „Der René, der hat da 'ne Meinung.“ Während er redet, schaut er finster unter den buschigen Augenbrauen hervor mit einem Gesicht, das aussieht wie das von einem, dem man so schnell nichts vormacht. Nur manchmal blitzt es in seinen Augen, und ein schnelles Grinsen huscht über sein Gesicht. Dann weiß man, dass Ruder gerade einen Witz gemacht hat und sich freut, wenn der Gesprächspartner darüber lacht.
Ruder hält nichts von der AfD, aber er begründet das etwas anders, als es unter den selbstverständlich antirassistischen AfD-GegnerInnen in der Innenstadt üblich ist. Für ihn bedeutet der Einzug der Partei ins Abgeordnetenhaus und die Bezirksparlamente vor allem eins: „eine Geldverschwendung ohne Ende“. Aus seiner Sicht ist klar: „Die haben nüscht anzubieten, die sind nur dagegen, was alle anderen machen, aber selber werden die nichts reißen.“
Die meisten seiner Kunden und privaten Bekannten, die die AfD wählten, hätten das aus Protest getan: „Wähl ich gar nicht oder wähl ich Blau, das war bei den Leuten die Frage“, sagt er. Es sei darum gegangen „zu zeigen, dass man nicht einverstanden ist mit dem, was regierungsmäßig so abläuft.“
Nicht alle sind unzufrieden
Ist das der Frust der abgehängten Ex-DDR-PlattenbaubewohnerInnen, wie man sie sich vorstellt, wenn man an Marzahn-Hellersdorf denkt? Ja und nein: Die Menschen hier seien nicht alle unzufrieden mit ihrem Wohnort und Leben. Die Anbindung an die Innenstadt ist gut, der Sanierungsbedarf im Bezirk gering, die Wohnungen sind noch bezahlbar. Andererseits: „Auch hier explodieren die Mieten, das kriegt nur eben außer den Leuten hier niemand mit“, sagt Ruder. Und er hat recht: Zwar kann man hier immer noch weitaus günstiger wohnen als in der Innenstadt, bei der Steigerungsrate ist der Bezirk aber ganz vorne mit dabei. „Und dass sich wer dafür interessiert, wie es den Leuten hier geht, das Gefühl hat man nicht.“
Im ehemals durch die Mauer geteilten Friedrichshain-Kreuzberg hat die Attraktivität des Bezirks zu einem deutlichen Anstieg der Immobilienpreise geführt. Wohnungen zu erschwinglichen Preisen sind kaum zu haben. Die Zuwanderung von EU-Bürgern mit Geld hält an. Während mancher Alt-Kreuzberger Linksradikale heutzutage eher die Linkspartei, die Piraten oder die Satirepartei Die Partei gewählt hat, wählt das gut situierte neue Publikum Grün. Diese Leute leben ökologisch und fairtrade, fahren Fahrrad und sind politisch interessiert.
Ein anderes Markenzeichen von Kreuzberg ist politisches Versagen auf allen Ebenen. Viel zu lange haben Polizei, Bezirksamt und Senat zugesehen, wie sich die Verhältnisse im Görlitzer Park und in der einstmals von Flüchtlingen besetzen Gerhart-Hauptmann-Schule zuspitzten. Das große Plus von Monika Herrmann ist, dass sie Fehler eingeräumt hat – für Politiker keine Selbstverständlichkeit.
Dialog statt Polizei
Die Versuche der grünen Bürgermeisterin, Probleme mit Flüchtlingen durch Dialog und Sozialarbeiter zu lösen und nicht mit der Polizei, sind in der Vergangenheit von vielen belächelt worden. Der CDU-Innensenator Frank Henkel hat keine Gelegenheit ausgelassen, Herrmann Versagen vorzuwerfen. Der Schwarze ist Geschichte, die Grüne regiert weiter.
„Tickt Kreuzberg links“, wurde Kreuzbergs Bezirksbürgermeisterin am Sonntagabend nach der Wahl im Berliner Regionalfernsehen vom Moderator gefragt. Die Sendung wurde in den Plenarsaal des Bezirksrathauses übertragen. Anwohner, Anhänger der Linken und der Grünen schauten sich dort zusammen die Hochrechungen an. Alle Anwesenden brüllten als Antwort auf die Frage des Moderators: „Ja!“
Die Menschen in ihrem Bezirk seien halt anders, kommentierte Herrmann. Sie selbst, bekennende Lesbe mit wuscheligem Kurzhaarschnitt, ist das beste Beispiel dafür. In Jeans und Bergschuhen steht sie im Studio neben der Neuköllner SPD-Bürgermeisterin im roten Kostümchen mit Hochsteckfrisur. Man konnte das einstellige AfD-Ergebnis in Friedrichshain-Kreuzberg auch so erklären wie Christian Ströbele, direkt gewählter grüner Bundestagsabgeordneter in diesem Bezirk: „Kreuzberg steht und Friedrichshain auch.“
Am Morgen nach der Wahl kommt der grüne Direktkandidat Turgut Altug mit einem Handkarren zum Kottbusser Tor. Wie auf den Wahlplakaten hat der 45-Jährige seine langen grauen Locken zu einem dicken Pferdeschwanz zusammengebunden. Turgut ist der Sohn von Landarbeitern aus Anatalien. Als einziger von neun Kindern hat er studiert, Agrarwissenschaft und Politik. In der Hand hat er Zettel. „31,3 Prozent“ steht darauf und „Danke“. Die klebt er nun auf seine Plakate.
Nicht die Flüchtlinge sind Schuld
Noch am Tag zuvor hatte Ali Durmas vor seinem Laden gesessen und über die Kriminalität im Kiez und die unfähigen Grünen gewettert. Dabei hatte er so heftig an seiner Wasserpfeife gezogen, dass die Kohlen dunkelrot glühten. Als Turgut Altug nach der Wahl vorbeikommt, ist das vergessen. Durmas gibt ihm freudestrahlend die Hand.
In Marzahn-Hellersdorf kommt René Ruder zu dem, was er „das Thema mit die Ausländer“ nennt. „Für mich ist klar, dass Multikulti kein Problem ist, hab ’nen Jugoslawen in der Familie, werd selber oft für ’nen Türken gehalten hier mit dem Gemüse.“ Er sagt aber auch: „Den Leuten zu erzählen, da kämen nur syrische Familien, und dann ist das Heim plötzlich voll mit Bosniern, Afghanen und so Krimskrams. Das können die nicht bringen.“
Überhaupt: Der Frust der Leute bei dem „Thema“, an dem hätten doch nicht die Flüchtlinge Schuld, sondern die Politik. „Wenn hier von einem auf den anderen Tag gesagt wird, die Turnhalle ist jetzt ein Heim, und es gibt keine Informationen und nix dazu, dann regt das die Leute eben auf.“
Das wussten in Marzahn-Hellersdorf in den letzten Jahren immer wieder Rechtsextreme für sich zu nutzen. Als 2013 eine ehemalige Schule zum Flüchtlingsheim umfunktioniert wurde, gleich um die Ecke von hier, protestierten AnwohnerInnen wochenlang Seite an Seite mit organisierten Neonazis aus der Nachbarschaft. Der Bezirk war völlig überfordert – und geriet bundesweit in die Schlagzeilen.
Die Gefühle der AfD-Wähler
Flüchtlingsfeindliche Proteste gibt es seitdem immer wieder. Zwar gelingt es den Braunen nicht mehr, breitere Teile der Bevölkerung zu mobilisieren, dafür steigt die Zahl der Brandanschläge und körperlichen Übergriffe. Dass die AfD hier gut abschneiden würde, ist keine Überraschung. Gleichzeitig gilt aber auch: Die Linke ist im Bezirk erneut stärkste Kraft geworden und wird die Bezirksbürgermeisterin stellen können – auch wenn diese mit einem AfD-Stadtrat regieren wird.
Ruder hat die Linkspartei gewählt, dieses Mal und die Male davor auch. Was die Leute zur AfD treibt, versteht er schon: zum einen ein diffuses Gefühl, dass sich der Bezirk verändert, und zwar nicht zum Guten – „in fünf Jahren ist es hier wie in Kreuzberg mit die Türken“, habe ihm neulich ein Bekannter gesagt; zum anderen das Gefühl, benachteiligt zu werden, das man nicht nur als rassistische Propaganda abtun kann: „Die ganzen sozialen Träger, die machen jetzt alle in Flüchtlinge, weil sie wissen, damit können sie richtig abkassieren“, sagt Ruder.
Für ihn ist die AfD trotzdem unwählbar – weil sie Deutsche und Nichtdeutsche gegeneinander aufhetze, aber vor allem aus einem anderen Grund: „Die wollen das ganze Soziale abschaffen, da bin ich doch nicht bescheuert und geb denen meine Stimme.“
Was die Erfolgsaussichten der Partei angeht, bleibt er allerdings trotz der Wahlergebnisse gelassen: „Ich geb denen nicht lange, keene Ideen und keene Konzepte, die werden absaufen wie die Piraten“, sagt er und schaut zum ersten Mal an diesem Morgen etwas zuversichtlicher.
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