Stillstand als Klima-Strategie: Wie in einer toxischen Beziehung
Es kann so nicht weitergehen – und doch ändert sich nichts. Unsere Autorin verzweifelt an den Beharrungskräften der Klimaerhitzer. Und an Olaf Scholz.
E s kann so nicht weitergehen! Wer diesen Satz sagt, steckt fest. Der Widerspruch ist kaum auszuhalten. Etwas geht weiter – und ist doch pure Stagnation. Von toxischen Beziehungen ist so etwas bekannt. Wenn Gewalt mit im Spiel ist. Anstatt zu sagen „Ich gehe. Ich dulde dein Verhalten nicht länger. Es hat die Liebe getötet“, sagt das Opfer, es könne so nicht weitergehen, es müsse sich was ändern. Und der Täter antwortet: „Verlass mich nicht; es kommt nie wieder vor.“
Und dann kommt es doch wieder vor. Und immer so weiter, und es ändert sich nichts.
Auch ich stecke in einer toxischen Beziehung. Sie raubt mir den Schlaf. Ich stecke in einer toxischen Beziehung mit denen, die nicht bereit sind, auf den Klimanotstand zu reagieren. Gesagt wird: „Es kann so nicht weitergehen.“ Und dann geht es doch weiter wie gehabt. Das ist die Stagnation.
Ist es so schwer zu verstehen, dass wir unseren Lebensstil ändern müssen? Wenn der Planet nicht in weiten Teilen unbewohnbar werden soll. Wenn Menschen nicht verhungern, verdursten, ertrinken sollen.
Sie tun es doch schon.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Und dann lese ich, dass Olaf Scholz nichts davon hält, den Leuten zu verordnen, dass sie verzichten müssen, dass sie weniger Auto fahren, weniger Fleisch essen, weniger heizen. Das wären simple Maßnahmen mit sofortiger Wirkung. Es wird nicht reichen, aber es wäre ein Anfang. Nur, es darf nichts geändert werden, obwohl es so nicht weitergehen kann. Kein Tempolimit. Kein Veggie-Day. Inlandsflüge forever.
Scholz meint, die Leute würden von alleine dahinterkommen, dass sie was ändern müssen. Genau das tun sie nicht. Sie sind wie die gewalttätigen Partner. Erst schlagen sie zu, dann sagen sie, ich mache es nie wieder. Nie wieder fliege ich zum Shoppen nach London. Nie wieder esse ich billiges Fleisch. Nie wieder mach ich eine Kreuzfahrt.
Man kann mit Scholz nicht einfach Schluss machen
Leider kann ich nicht einfach gehen, die Beziehung aufkündigen, Schluss machen. „Herr Scholz, wir sind getrennte Leute.“ Er klebt an mir seit der Wahl im September 2021. „Kanzler für Klimaschutz“ stand auf seinen Plakaten. Weil sich etwas ändern muss. Nur ändert sich nichts, seit er Kanzler ist. Ich habe den Plakaten nicht getraut.
Auch mit Christian Lindner meinte ich nie eine Beziehung eingegangen zu sein. Es nützt nichts, wenn ich ihm den Laufpass gebe, obwohl er nicht mal der Meinung ist, dass es so nicht weitergehen könne. Er guckt lieber rückwärts; im Zug sitzt er in Gegenfahrtrichtung. Ach was, der fährt nicht Zug, der fährt Porsche. Ohne Tempolimit.
Weiterzukommen ist zu einer unfassbar schweren Aufgabe geworden. Ich höre die Ausreden, warum alles so bleiben soll, obwohl alle wissen, dass es sich ändern muss. Die Leute, die bis heute jede Fahrt in der Stadt mit dem Auto erledigen. Ja, klar, aber. Ja, klar, aber es regnet halt. Ja klar, aber der Bus kommt immer zu spät. Ja klar, aber die Leute in der U-Bahn stören.
Dabei sind sie es, die stören. Es ist so bitter. Je reicher Menschen sind, lese ich, desto mehr CO2 produzieren sie. Ein Multimilionär stößt an zwei Tagen ungefähr so viel CO2 aus wie eine Durchschnittsfamilie im Jahr. Es kann so nicht weitergehen.
Also versuchen Sie mal Reiche zum Verzicht zu bewegen, Herr Scholz! Und Sie, Herr Habeck, auch. Mit Verordnungen, nicht nur mit Appellen an den common sense. Meinen Sie, Sie würden sich unmöglich machen bei all denen, die dafür sorgen, dass alles immer so weitergeht? Lassen Sie deshalb die Finger davon? Das ist feige. Wie auch gewalttätige Partner in toxischen Beziehungen feige sind. Nach uns die Sintflut.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet
Tod von Gerhart Baum
Einsamer Rufer in der FDP-Wüste
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören