Stichwahl in Argentinien: Milei oder Massa? Es wird knapp
Vor der Stichwahl in Argentinien mobilisiert der amtierende Wirtschaftsminister Sergio Massa. Sein Ziel: den Ultrarechten Javier Milei verhindern.
Am kommenden Sonntag müssen sich 35,4 Millionen Wahlberechtigte zwischen aktuellen Wirtschaftsminister der linksprogressiven Regierung, Sergio Massa, und dem selbsterklärten Anarcho-Kapitalisten Javier Milei entscheiden. Es herrscht Wahlpflicht.
Und es ist ein Rennen mit offenem Ausgang. Massa war mit 36,7 Prozent der Stimmen als Erstplatzierter in die Stichwahl eingezogen, Milei mit knapp 30 Prozent als Zweiter.
Den Wahlanalysen zufolge ist es beiden Kandidaten gelungen, ihre potenziellen Wähler*innen in der ersten Runde zu mobilisieren. Der Sieger der Stichwahl wird sein, wer die meisten Stimmen der ausgeschiedenen Kandidat*innen erhält. Der konservative ehemalige Präsident Mauricio Macri und seine im ersten Wahlgang gescheiterte Kandidatin Patricia Bullrich brauchten weniger als 48 Stunden, um zur Unterstützung von Milei aufzurufen.
Tiefe Frustration als Chance für Milei
Rein rechnerisch würde dies eine Mehrheit für Milei bedeuten. Der 53-jährige libertäre Wirtschaftswissenschaftler ist jedoch nicht nur wegen seiner Vorschläge zur Dollarisierung der Wirtschaft, zur Abschaffung der Zentralbank sowie einer radikalen Verschlankung des Staates für viele nicht wählbar.
Er rechtfertigt mit seiner marktradikalen Vision auch den freien Verkauf von Schusswaffen und den Organhandel, leugnet Verbrechen der Diktatur und will das öffentliche Bildungs- und Gesundheitssystem marktkonform umgestalten. Die Tatsache, dass er auch gegen Minderheiten in der LBGT+-Gemeinschaft wettert, macht vielen schlicht Angst.
Dass Milei dennoch gute Chancen hat, liegt an der tiefen Frustration vieler Menschen über den wirtschaftlichen und sozialen Niedergang der letzten 15 Jahre. Mehr als 40 Prozent der Bevölkerung leben in Armut. „Objektiv betrachtet leben die Menschen immer schlechter. Und Milei ist wütend, er ist es, er tut nicht so“, konstatiert Luis Campos vom Observatorium der sozialen Rechte der Gewerkschaft Central de Trabajadores de la Argentina. „Alle bisherigen Alternativen haben nur weiter ins Elend geführt“, deshalb scheine jemand, der dem Ganzen ein Ende setzen kann, für viele eine vernünftige Option, sagt Campos.
Sergio Massa hingegen präsentiert sich als Licht am Ende des Tunnels. Als wäre er zwar Wirtschaftsminister, hätte aber mit der aktuellen Regierung und der allgemeinen Krise nichts zu tun – und das verfängt auch.
Etwa 20 Prozent der Stimmberechtigten wollen ein Ende der Kirchner-Regierungen, aber sie wollen auch keinen ultrarechten Anarcho-Kapitalisten im Präsidentenamt. Der zukünftige Präsident wird nur etwas weniger ungewollt sein als der Wahlverlierer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen