Stellenstreichungen der Deutschen Bank: Loblied der Filiale
Mehr als 200 Zweigstellen schließen – mir egal, denkt sich der Onlinebanker. Doch es gibt Menschen, die gern vor Ort Überweisungsträger ausfüllen.
Zur Tragik und Tragweite des Dichtmachens von Bankfilialen ist Folgendes anzumerken: Nicht nur, dass das für die betroffenen Mitarbeiter schlicht scheiße ist. Nein, ich für meinen Teil schätze mich bis auf Weiteres so lange glücklich, mich nicht am TAN-Business beteiligen zu müssen oder meine Handynummer geknackt zu bekommen, bis auch meine Filiale am Kottbusser Damm in Berlin sicher irgendwann geschlossen wird. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Ich bin smartphoneaffin, kann Nachrichten online absetzen und finde auch sonst nicht, dass Technik per se des Teufels ist.
Doch seit meiner Kindheit, lange bevor ich schreiben oder gar rechnen konnte, liebe ich sie, die Bankfiliale. Schon als Vierjährige fand ich nichts schöner, als mit meinem Vater „auf die Bank“ in unserem ansonsten öden Münchner Vorort zu gehen. Die Filiale: Bleiche Gummibäume standen dort, und an Stehpulten aus Resopal waren lackschwarze Kugelschreiber gekettet, die so lang wie Zigarettenspitzen waren. Die Kugelschreiber schrieben des öfteren nicht, und Licht fiel durch trübe Lamellenvorhänge ein.
Mein Vater bekam seine Kontoauszüge am Schalter überreicht. Der Bankbeamte – ein verschwundenes Wort – ging dafür an einen Hängeregistraturschrank und kam mit Auszügen aus einer Kunstledermappe und einem „Gutti“ – oder wie man außerhalb von Bayern sagt: Bonbon – für mich zurück. Eine weitere Bankbeamtin stürzte aus ihrem Panzerglasgehäuse hervor und überreichte mir das neue Knax, ein damals schon sehr buntes Kinderkundenmagazin. Ich trollte mich auf eine „Wartebank“.
Schon klar: Die Bank, es handelte sich damals um eine kreuzbrave Kreissparkasse, hatte mich geschickt geködert. So geschickt geködert, dass mich mein Vater eines Tages in der Filiale vergaß. Als er hochroten Kopfes nach einer Stunde dort wieder auftauchte, saß ich immer noch selig auf der „Wartebank“ und füllte Überweisungsträger aus. Und die fülle ich heute noch gern aus, nicht mehr ganz so elegant seit der Einführung der kilometerlangen IBAN-Hausnummern, doch immer noch mit Hingabe.
Ich habe allerdings auch Glück: Meine aktuelle Herzensfiliale ist weder von Schließung betroffen, weil sie erstens nicht zur Deutschen Bank gehört und zweitens als einzige von vormals drei Commerzbank-Filialen zwischen Kottbusser Tor und Hermannplatz in Berlin-Kreuzberg überlebt hat. Dabei gehörte meine am Kottbusser Damm früher noch der Geldspeichergruppe „Mit dem grünen Band der Sympathie“ an, das zwar eher ein braunes Band aus der Nazizeit war, aber das ist eine andere Geschichte. Von ihr kündet nur noch der verblichene Abdruck des abgenommenen Logos, das jetzt an der Hauswand wirkt wie eine DDR-Hinterlassenschaft.
Doch zurück zur Tragik und Tragweite der Schließung von Bankfilialen. Ich gehe ganz schlicht und einfach zur Abwechslung vom berufsbedingten, stundenlangen Sitzen vor dem Bildschirm gern für das Tätigen eines Bankgeschäftes vor die Tür. Trete ich dann, nachdem ich ein wenig frische Stadtluft geschöpft habe, ein in meine sich jährlich im neuen Outfit präsentierende Filiale, schlüpft der Filialleiter, der gerade noch seine Fluppe draußen ausgedrückt hat, eilfertig hinter mir herein. Er grinst und fragt, wie’sso steht. Ich lächle und sage: „Ein paar Überweisungsträger nehme ich noch mit. Zum zu Hause ausfüllen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?