Steinmeiers Weihnachtsansprache: Weisheiten des Bundespräsidenten
Die Weihnachtsansprache war mal wieder mit nichtssagenden Floskeln gespickt. Leider wird es wohl nicht Steinmeiers letzte Rede zum Fest gewesen sein.
W enn dieses Mal aus Versehen Frank-Walter Steinmeiers Weihnachtsansprache vom vergangenen Jahr abgespielt worden wäre, es hätte wohl niemand bemerkt. Wieder gab es den steinmeierischen Wohlfühl-Klangteppich, der immer an einen etwas zu routinierten evangelischen Pastor erinnert (aber immerhin war der Baum einen Hauch anders geschmückt als 2020; die roten Kugeln waren zwar die gleichen, die Strohsterne aber wurden leicht variiert).
Natürlich erinnerte der Bundespräsident an das Leid in „vielen Teilen unserer unruhigen Welt“: die Flut in Deutschland, Afghanistan, Osteuropa. Aber wo Leiden ist, ist Hoffnung nicht weit: Hoffnung machen für Steinmeier die Solidarität mit den Flutopfern, die Klimaaktivisten und „Sie alle, die Ihre Stimme abgegeben haben in wichtigen Wahlen“. Und natürlich haben die Redenschreiber das Weihnachtsansprachen-Modul „Dank für Ihr ehrenamtliches Engagement“ nicht vergessen.
Aber, so Steinmeier, „und dann ist da Corona“. Er lobte die Solidarität in der Gesellschaft, was aus dem Mund von Steinmeier nicht ohne Ironie ist, hat er doch als zentraler Architekt der Agenda 2010 einiges für die Ausbreitung von Entsolidarisierung und Einzelkämpfertum getan. Richtigerweise stellte er fest: „Menschen können irren“, und meinte Fehleinschätzungen der Regierungen und in Teilen der Wissenschaft.
Souveräner wäre es allerdings gewesen, wenn er seine eigenen Fehleinschätzungen mit einbezogen hätte. Vor einem Jahr verkündete er in seiner Ansprache, dass man die Weihnachtstage 2021 wieder „im großen Kreis der Familie, mit Freunden mit Umarmungen und Gesang“ feiern könne. Steinmeier ist übrigens jener Bundespräsident, der nach dem Ausbruch der Pandemie im Frühjahr 2020 Wochen brauchte, um sich zu sortieren, bevor er sich mit einem kraftlosen Drei-Minuten-Video zu Wort meldete. Beherzte Reaktionen auf unvorhergesehene Krisen liegen Steinmeier nicht so, dafür umso mehr planbare Termine.
Steinmeier hat, ganz Machtpolitiker, rechtzeitig seinen Anspruch auf eine zweite Amtszeit angemeldet, die Ampel wird ihm wohl eine Mehrheit verschaffen. So wird er die Bevölkerung weitere fünf Jahre mit seinen Floskeln behelligen. Leider.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Verbotskultur auf Social Media
Jugendschutz ohne Jugend