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Steinmeier in der TürkeiDie ganz große Dönerverdrehung

Volkan Ağar
Kommentar von Volkan Ağar

Erdoğan solle Deutschtürken nicht instrumentalisieren, lautet eine beliebte Kritik. Bundespräsident Steinmeier hat nun in der Türkei dasselbe getan.

Misslungene Geste: Bundespräsident Steinmeier in Istanbul Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

F ür ihren Lieblings­döner stehen die Deutschen gerne ei­ne halbe Stunde an. So selbstverständlich, wie sie bei fünf Minuten Verspätung über die Deutsche Bahn meckern. Denn Döner ist Lebensqualität, Lebensstil, Lebensphilosophie. Döner kann aber auch blenden. Das ist die Dönerdialektik.

Das muss wissen, wer die große Aufregung um das Gastgeschenk des deutschen Bundespräsidenten Frank-­Walter Steinmeier anlässlich seines Türkeibesuchs verstehen will. Zu seiner dreitägigen Reise nahm er den Berliner Gas­tro­no­men Arif Keleş mit und der wiederum seinen 60-Kilo-­Dönerspieß. Beim Empfang in der Sommerresidenz des deutschen Botschafters im Istanbuler Stadtteil Tarabya servierte Keleş sein Werk dann öffentlichkeitswirksam – inklusive Dönerschneidepose Steinmeiers für die Kameras, der einst von Angela Merkel ikonisierten Geste.

Es überwogen peinlich berührte und empörte Reaktionen: Medien nannten es „Döner­diplomatie“, und die Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız twitterte ähnlich wie viele andere: „Sprachlos, wenn man auf einen ‚Döner‘ reduziert wird.“ Sie hat Angehörige der Opfer der rechtsextremen NSU-Morde, die in der deutschen Öffentlichkeit jahrelang als „­Dönermorde“ verharmlost wurden, vertreten.

Man kann das populäre Kulturgut Döner natürlich als Symbol der deutschtürkischen Erfolgsgeschichte in Szene setzen, was die Urheber der Geschenk­idee möglicherweise wollten. Aber ist das angesichts einer politischen Stimmung in Deutschland – in der eine Partei massiv erstarkt, die sich Deutschtürken nicht wieder hinter den Dönerspieß, sondern gleich ganz raus aus Deutschland wünscht – angemessen?

Warum „würdigt“ Steinmeier in der Türkei?

So berechtigt diese Frage mit der Enttäuschung, die in ihr steckt, ist, so sehr hat sie in der Debatte der letzten Tage doch andere Fragen überdeckt, die ganz ernst und überhaupt nicht rhetorisch gemeint sind:

Warum „würdigt“ Steinmeier die „Lebensleistung türkischer Migranten in Deutschland“ („Tagesschau“) auf einem Besuch in der Türkei, wenn diese „türkischen Migranten“ und ihre Nachkommen in Deutschland leben? Warum macht er dieses Thema überhaupt zu einem Schwerpunkt seines Türkeibesuchs, bei dem es um diplomatische Beziehungen zu einem Land geht, wo viele türkeistämmige Deutsche heute höchstens noch Urlaub machen? Und warum hat er ihr Lebenswerk bisher nicht ausreichend gewürdigt?

„Heute leben in unserem Land fast drei Millionen tür­kei­stäm­mi­ge Menschen, die unsere Gesellschaft mitprägen und mitgestalten. Sie haben unser Land mitaufgebaut, sie haben es stark gemacht, und sie gehören ins Herz unserer Gesellschaft“, sagte der Bundespräsident zum Besuchsauftakt am Istanbuler Bahnhof Sirkeci. Nur, die Menschen, von denen er sprach, sind vor über 60 Jahren von diesem Bahnhof abgefahren, nach Deutschland.

Nach Jahren der Zwietracht nähern sich Deutschland und die Türkei wieder an. Die deutsche Diplomatie will das gerade mit Blick auf die Kriege in Nahost und in der Ukraine und auf den türkischen Einfluss auf diese. Das hat der sanfte Umgang der Präsidenten miteinander während dieses Besuchs gezeigt. Das Problem: Es gibt jenseits wirtschaftlicher Beziehungen keine Gemeinsamkeiten, auf die sie sich dabei beziehen könnten.

Döner, geschnitten und gedreht

Die gegensätzlichen Haltungen zum Krieg in Nahost sind nur das markanteste Beispiel dafür. Der dreifache Besuch Steinmeiers bei Politikern der oppositionellen CHP ist ein weiteres. Über die unvereinbaren Vorstellungen von Demokratie und Menschenrechten spricht schon lange keiner mehr. Eine Version der deutschtürkischen Migrationsgeschichte, in der ihre schmerzhaften und entwürdigenden Seiten nicht mehr vorkommen, bleibt das Einzige, das ein Bundespräsident zur Verfügung hat, um Nähe herzustellen.

Immer wenn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan in den letzten Jahren versucht hat, Deutschtürken zu vereinnahmen, etwa vor Wahlen in der Türkei, kritisierten das deutsche Politiker:innen. Er sehe sie als Stimmvieh und manipulierbare Verhandlungsmasse. Er solle seine politischen In­te­res­sen nicht mit ihren Anliegen vermischen. Nun aber hat der deutsche Bundespräsident beides miteinander vermischt.

Wofür der Döner dabei steht, ob er als Symbol von Selbstermächtigung und Autonomie oder von Ausbeutung und Rassismus erscheint, hängt vom Kontext ab, in dem er gedreht, geschnitten und verzehrt wird.

Als müsste er ihre Existenz rechtfertigen, betonte Steinmeier in seiner Rede am Bahnhof Sirkeci, dass die Gast­ar­bei­ter:in­nen und ihre Nachkommen „mittlerweile auch in vier Generationen entscheidend zu unserem Wohlstand beitragen“ – und ergänzte ihren politischen Nutzen noch um den wirtschaftlichen. Gastronom Keleş antwortete einem Reporter, der nach dem Geheimnis seines Döners fragte: „Das Fleisch, die Saucen, die Gewürzmischung – und immer sauber und diszipliniert arbeiten.“

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Volkan Ağar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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17 Kommentare

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  • Der Bundespräsident mit Döner, Linke, SPD und Grüne neu auf TikTok. Willkommen 2024...

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Ein Präsident muss doch nicht alles machen, was seine Eventplaner*innen sich ausdenken. Er könnte doch - frei nach Kant - sich mal trauen, seinen eigenen Verstand zu benutzen.

    • @95820 (Profil gelöscht):

      Könnte er. Aber wir reden von Steinmeier.

  • Wie man es macht, macht man es falsch kann ich dazu nur sagen. Es scheint mir symptomatisch für unsere heutige Aufregungs- und Empörungsmaschinerie: Es ist letztlich vollkommen egal wie der Bundespräsident es gemeint hat, es werden nie alle zufrieden sei und irgendjemand wird sich angegriffen fühlen und das selbstverständlich lauthals artikulieren in den sog. Sozialen Medien.

    • @Fran Zose:

      ...na ja, aber ne' schmako Uniform hätte sich Franky-Walter schon ankleiden können...

    • @Fran Zose:

      Liggers. Brigitte Zypries hatte schon recht als sie GazPromGerd Frank-Walter andiente: “Der kann alles!“ Woll



      Soo - genau wollte das aber doch niemand wissen! Newahr



      Nö. Normal nich - wa! - 🙀😳 -

      unterm—— kl. Scherz am Rande —-



      “Während seiner Studienzeit gehörte er gemeinsam mit Brigitte Zypries zur Redaktion der linken Quartalszeitschrift Demokratie und Recht (DuR), die unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stand.[8] Die Zeitschrift erschien im Pahl-Rugenstein Verlag, von dem sich später herausstellte, dass er von der DDR mitfinanziert wurde.“



      & Däh



      (Thema seiner Doktorarbeit: Tradition und Perspektiven staatlicher Intervention zur Verhinderung und Beseitigung von Obdachlosigkeit)



      Na da schau her - uns Frank-Waltêr! Woll



      de.wikipedia.org/w...-Walter_Steinmeier

      Na Mahlzeit

      • @Lowandorder:

        ...die Thematik der Dissertation von Franky-Walter , hat bei mir schon in den Anfang 90er Jahren gelinde gesagt , etwas Erstaunen hervorgerufen.



        Ob er da noch ab- & an mal reinlinst 👀📒📚

  • Kein Wort darüber, dass Erdogan in Deutschland höhere Wahlergebnisse erzielt als in der Türkei. Könnte ja die Harmonie trüben und die eigene Integrationspolitik infrage stellen.

  • Dieses Bild unseres Herrn Bundespräsidenten, wie er ungelenk am Döner kratzt, symbolisiert sein Wirken doch aufs beste.

  • Super Nummer von Steinmeier.

  • Steinmeier hat mit den Besuchen bei der Opposition, vor dem Besuch beim Türkischen Präsidenten eine Botschaft an die Zukunft gesandt.



    Dass er eine Vermittlerrolle durch die Türkei erwartet, halte ich für eher unwahrscheinlich .



    Liebe geht durch den Magen.



    "Deutsche Hausmannskost" ist nicht eben nouvelle cuisine.



    Für viele Menschen in Deutschland ist der Döner neben der Currywurst "deutsches Grundnahrungsmittel".



    Ein deutsch-türkisches Essen ist ein Erfolg und Essen ist der erste Schritt zur Verständigung.



    Der Islam gehört zu Deutschland und Teile der türkischen Kultur sind Teil der deutschen Kultur geworden.



    So interpretiere ich die Botschaft.



    Unterschwellig könnte man sogar sagen, dass Menschen eben nicht mehr "GastarbeiterInnen " und Türken in Deutschland sind, sondern Deutsche, deren Vorfahren ihr Glück in Deutschland gesucht haben.



    Die Anerkennung der Lebensleistung Türkischer MitbürgerInnen wird auch durch die leichtere Einbürgerung für die Gastarbeitergeneration deutlich.



    Insbesondere die Möglichkeit beides sein zu können, nämlich Deutscher mit türkischen Wurzeln, ist durch den Doppelpass eine Anerkennung der besonderen Situation, in der sich Zugewanderte befinden.

  • Ich fand Steinmeier bisher NICHT 100% furchtbar, aber dieser kreativ-" lustige" Einfall seiner Beraterinnen ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten.



    Was kommt als Nächstes?

    Steigt Steini beim Besuch einer 'first nation' in Kanada demnächst mit Indianerfederschmuck und Tomahaq bekleidet aus dem Flugzeug?



    Und wird dann mit bayerischer Bierzeltblasmusik begrüsst?

    Eulen trägt man nicht nach Athen.

    Stil und Takt sind etwas anderes.

    • @So,so:

      "(...) als Nächstes? Karol Wojtyla - Methode.

      • @ tibor:

        Würd ich dem spitteligen Seminarjungspund von einst glatt zutrauen.

        Wer einmal mit seinem Klempner Hans-Georg Maaßen - einen türkischstämmigen Murat Kurnaz - anlaß&rechtsgrundlos - für fünf Jahre in Guantanamo wegschloß - den reißt auch ein Dönerspieß nicht raus! Woll

        kurz - Aufgeblasen & Instinktlos •

        • @Lowandorder:

          Wer denkt bei einem Besuch von Steinmeier in der Türkei denn schon an Pressefreiheit, Menschenrechte & Demokratie, nein das Kriegsgeschrei ist schon recht laut.



          Den Spieß als Symbol gleich mitgebracht - wer nicht kooperiert - wird....

  • Ich verstehe die Kritik nicht. Steinmeier betreibt eindeutig Entwicklungshilfe und demonstriert wozu es türkische Gastarbeiter, spätestens in der vierten Generation, in Deutschland bringen können. Das ist Willkommenskultur vor Ort und beweist Feinsinn und ein Hauch von Weltgewandheit. Nicht umsonst genießen die Deutschen weltweit den Ruf, die Kosmopoliten vor dem Herrn zu sein. Und Herr Präsident:

    Als nächstes ab nach Neapel und den Süditalienern zeigen wie Pizza geht!

    • @Sam Spade:

      Ironie OFF! Woll