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Steigende Bahn-FahrgastzahlenEs wird eng in den Zügen

Allein 2020 wird mit fünf Millionen neuen Bahnkunden gerechnet, weil die Ticket-Mehrwertsteuer sinkt. Eine Reservierungspflicht soll es nicht geben.

ICE am Bahnsteig: Wird jeder einen Sitzplatz bekommen? Foto: dpa/Tobias Hase

Berlin dpa/taz | Immer mehr Menschen fahren mit der Bahn, und die Auslastung der Fernzüge steigt stetig. Im Jahr 2008 waren die Intercity- und ICE-Züge im Durchschnitt nur zu 44,2 Prozent ausgelastet, 2018 waren es schon 56,1 Prozent, wie der Bahnbeauftragte der Bundesregierung, Enak Ferlemann, im Bundestag mitteilte.

Braucht die Bahn also eine Reservierungspflicht wie im französischen Hochgeschwindigkeitszug TGV? Karl-Peter Naumann, der Ehrenvorsitzende des Fahrgastverbands Pro Bahn, ist dagegen: „Manchmal steht man eben lieber eine Stunde im Zug, wenn man dafür mehrere Stunden früher ans Ziel kommt.“ Auch die Bahn hat eine Pflichtreservierung wiederholt abgelehnt.

Der Konzern versucht bereits, die Fahrgastströme zu lenken. Bei der Online­buchung lässt sich anhand verschiedenfarbiger Symbole aus drei Figuren erkennen, wie voll der Zug voraussichtlich wird – schon ab Stufe 2 von 4 empfiehlt das System eine Reservierung.

Sparpreise sind längst dann besonders günstig, wenn wenige Reisende erwartet werden. Ist der Zug ausgebucht, gibt es auch keine Sparpreistickets mehr. Den Kunden bleibt dann nur noch das reguläre Ticket – Flexpreis genannt –, das sich immer erwerben lässt. Nachteil: Steigen zu viele Flexpreis-Kunden ein, kann ein Zug schnell mal komplett überfüllt sein.

Letztes Mittel Zugräumung wird selten eingesetzt

Geräumt wird bisher dennoch selten. 2018 kam dies in normalen Monaten nur in etwa 0,1 Prozent der Fernzüge vor, wie aus Zahlen der Bahn hervorgeht. Während der Rekordhitze im Sommer 2018 stieg die Quote allerdings auf bis zu 0,7 Prozent an.

Seit drei Jahren steuert die Bahn die Auslastung auf ausgewählten Strecken auch mit dem „differenzierten Flexpreis“: An Tagen mit hoher Nachfrage sind die Fahrkarten etwas teurer, während sie an flauen Tagen billiger werden.

Diese Preisschwankungen können bei bis zu 15 Prozent liegen, wie Naumann beobachtet hat. Der Fahrgastvertreter verlangt, dass die Bahn diese Steuerungsmechanismen transparenter macht, etwa mit einer einfachen Tabelle. Zudem brauche die Bahn mehr Züge. „Die Überfüllung ist zum Teil ein Stück Mangelverwaltung.“

Im Fernverkehr stieg die Zahl der Fahrgäste im vergangenen Jahr auf 148 Millionen, und in diesem Jahr werden es voraussichtlich schon mehr als 150 Millionen sein. Das sind rund ein Fünftel mehr Kunden als noch vor zehn Jahren. 2020 dürften weitere fünf Millionen Fahrgäste hinzukommen, weil dann die Mehrwertsteuer für die Fernzugtickets sinkt.

Neue Züge sind bestellt

Die Bahn will ihr Angebot aufstocken: Bis 2025 soll die ICE4-Flotte von 39 auf 137 Züge anwachsen. 23 der neuen ECx sind beim spanischen Hersteller Talgo für den grenzüberschreitenden Verkehr bestellt, 17 weitere Doppelstock-Intercitys übernimmt sie von der österreichischen Westbahn. Und vor zwei Wochen bewilligte der Aufsichtsrat den Kauf von 30 weiteren Hochgeschwindigkeitszügen. Allerdings werden noch Jahre vergehen, bis alle Züge geliefert sind.

Auch beim Personal stockt die Bahn auf: Allein in diesem Jahr stellt der Konzern 24.000 neue Mitarbeiter ein, wie Bahnchef Richard Lutz kürzlich vorrechnete. Unter anderem seien mehr als 2.000 neue Lokführer seit Anfang 2019 angeworben und ausgebildet worden. Im kommenden Jahr sollen weitere 1.000 neue Stellen im Fernverkehr geschaffen werden – um zusätzliche Lokführer, Zugbegleiter und Reinigungskräfte einzustellen.

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3 Kommentare

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  • Von welchem Verkehrsmittel kommen denn wegen des Preisnachlasses von bis zu 7% denn jetzt diese 5 Millionen Neukunden? Vom Flixbus, vom Linienbus, vom Auto, oder gar Erstfahrer?



    Wenn ich fünfmal mit Verspätungsrisiko umsteigen muss und sechs anstatt drei Stunden brauche, nehme ich das Auto. Auf Fernstrecke muss ich mit Steckdose und Ausklapptisch sitzen, kann man nebenher arbeiten und das Auto trotz ÖPNV Wirrwar in einer fremden Großstadt, vorteilhaft ersetzen. Oder ich fahre mit ÖBB des Nachts.



    Das ist aber außer unter Inkaufnahme von Flugscham alternativlos, weshalb die 7% nett sind, für die grundsätzliche Entscheidung pro Bahn aber keinen Ausschlag geben können.

  • 7G
    7964 (Profil gelöscht)

    Eine Reservierungspflicht ins Spiel zu bringen geht ja auch völlig am Ziel vorbei - eine Autolobby-Idee!

    Gebraucht wird natürlich mehr Schiene, mehr Fahrzeuge, kürzere Taktung, garantierte Umstiege usw. usw. Gerade die taz könnte ruhig auch aus Endverbrauchersicht argumentieren.

  • 0G
    07400 (Profil gelöscht)

    HaHaHoHo.

    Ein Zug fährt an 7 Tagen mit Lok und 12 Wagen.



    Bei 35% Auslastung.

    Und nun fährt der Zug an 6 Tagen mit Lok und 8 Wagen und 47% Auslastung.

    1992 fuhr der Zug mit 14 Wagen und 68% Auslastung.

    Wo ist der Vergleich? Was ist Auslastung?



    100% Sitzplatz oder 200% über zulässiges Wagengewicht?

    Gehen sie mal zum EBA. Da dienen die Experten.



    Und überwachen Bundeseigene Eisenbahnen.

    Umweltvorreiter 2020?

    Gemessen? Lafferkurve für Ganz Doffe.