Start-ups in Berlin: Es droht der Platzwechsel
Paris drängt nach vorn und macht Berlin den zweiten Platz als Start-up-Standort streitig. Wer aber möchte eigentlich in so einem Betrieb arbeiten?
Start-ups sind empfindsame Wirtschaftskeimlinge. In ihnen ist erst einmal nur eine Idee, ein Entwurf angelegt. Sie brauchen viel Zuwendung in Form von finanziellen Mitteln und hingebungsvoller Arbeitskraft. Die Mühe kann mitunter Früchte einbringen: Flixbus begann vor acht Jahren als kleines Start-up mit wenig Mitteln und Leuten. Heute bietet das daraus gewachsene millionenschwere Unternehmen Reisenden mit Sitzfleisch günstige Alternativen zur teuren Bahn.
In Berlin fühlen sich die GründerInnen besonders wohl. Nach London wird dort im Europavergleich das meiste Investorengeld in Start-ups gepumpt – noch. Laut dem aktuellen Start-up-Barometer der Unternehmensberatung Ernst & Young könnte Paris bald an Berlin vorbeiziehen.
Zwar liegt Berlin bei den Gesamtinvestitionen noch knapp vorne, hängt jedoch mit 244 neuen Investitionsdeals hinter den im Jahr 2018 geschlossenen 366 Deals der französischen Hauptstadt zurück.
Die gestiegene Attraktivität von Paris liegt nicht etwa an den schmackhafteren Süßspeisen dort und schöneren Häuserfassaden, sondern ist großzügigen Steuererleichterungen und günstigen Krediten vom französischen Staat geschuldet. Ob nun hierzulande gleichgezogen werden sollte, um sich nicht die Silbermedaille wegschnappen zu lassen?
Durch Steuerentlastungen würden zwar der Haushalt und damit Projekte wie Straßen- und Wohnungsbau weniger profitieren, dafür sei aber in die Zukunft investiert und weitere Arbeitsplätze würden geschaffen, ließe sich argumentieren. Nur wirft Letzteres die Frage auf, ob man eigentlich für Start-ups arbeiten möchte.
Fragwürdige Arbeitskultur
Ein Buch von der französischen Autorin Mathilde Remadier kann darüber Aufschluss geben. Ihre in zwölf Berliner Start-ups gesammelten Erfahrungen zeichnen ein düsteres Bild: Hinter der verspielten Fassade und den vermeintlich flachen Hierarchien der Start-ups verstecken sich oft befristete Arbeitsverträge, fehlendes Überstunden-Monitoring und schlechte Bezahlung – im Namen der großen Innovationen. Diese seien zudem selten bahnbrechend, da es sich meistens um Online-Marktplätze handle.
Besonders kritisiert Remadier die „Wir sind eine Familie“-Mentalität. Die häufig vorherrschende intime, lockere Stimmung und der mit Craft Beer gefüllte Kühlschrank erschwerten den MitarbeiterInnen die Kritik an den unsicheren und oft prekären Arbeitsbedingungen.
Bis dato liegt dieses Buch nur auf Französisch vor. Sollte man mal in Paris lesen.
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