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Stahlgipfel im KanzleramtDeutschland braucht Stahl – aber in Grün

Simon Poelchau

Kommentar von

Simon Poelchau

Die Bundesregierung setzt auf Maßnahmen, die maximal den Status quo konservieren – statt auf eine Politik, die die Stahlindustrie langfristig sichert.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Lars Klingbeil (SPD), Bundesminister der Finanzen, nach dem „Stahlgipfel“, am 6.11.2025 Foto: Michael Kappeler/dpa

D er Stahlgipfel im Kanzleramt war ein Gipfel des Scheiterns. Da reicht es nicht aus, dass alle Teilnehmenden betonten, wie wichtig die Stahlindustrie für Deutschland sei. Die Bundesregierung hat einmal mehr gezeigt, wie kurzsichtig sie Wirtschaftspolitik betreibt. Sie setzt auf Maßnahmen wie EU-Schutzzölle oder den Industriestrompreis, die maximal den Status quo konservieren. Eine Sache hat hingegen bei der Diskussion über die Überwindung der Stahlkrise keine wirkliche Rolle gespielt: die Dekarbonisierung der Industrie.

Beim Stahl zeigt sich, dass der Markt nicht alles regelt, dass es eine Wirtschaftspolitik braucht, die sich nicht in bloßen Steuersenkungen und Reduzierung der Bürokratie erschöpft. Es braucht eine Politik, die aktiv gestalten will, die eine Vision hat, wie die Wirtschaft von morgen aussehen soll, und deswegen bestimmte Bereiche gezielt fördert. Nichtstun aus ideologischen Gründen, weil Klimaschutz angeblich die Industrie belaste, wird fatale Folgen haben.

Will Deutschland Industrieland bleiben, dann ist eine hiesige Stahlproduktion auch in Zukunft notwendig. Die Branche ist eine Schlüsselindustrie, Stahl Ausgangspunkt für eine ganze Reihe von Industriegüter. Hauptabnehmer der hiesigen Produktion sind neben der Bauwirtschaft vor allem der Maschinenbau und die Automobilindustrie, die beiden wichtigsten deutschen Exportbranchen.

Es geht um Resilienz

Dabei geht es nicht nur um eine möglichst wettbewerbsfähige Produktion. Es geht vor allem auch um Resilienz. Wie wichtig diese ist, zeigt der Handelsstreit um den Hersteller Nexperia. Weil dieser derzeit keine Chips liefert, musste der Automobilzulieferer Bosch bereits Kurzarbeit anmelden.

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Gäbe es hierzulande eine eigenständige Chipindustrie, wäre dies vermutlich nicht nötig. Soll es nicht nur in 5, sondern in 25 Jahren noch eine Stahlproduktion geben, reichen Maßnahmen wie ein EU-Schutzzoll, ein Industriestrompreis oder Buy-Local-Vorgaben nicht aus.

Die Branche muss gezielt bei der Transformation hin zu einer klimaneutralen Produktion unterstützt werden. Etwa in Form einer garantierten Abnahme von grünem Stahl beim Ausbau der öffentlichen Infrastruktur. Doch dies spielte beim Stahlgipfel kaum eine Rolle.

Dabei wäre die Gelegenheit für Merz durchaus gut gewesen, zu zeigen, dass er auch Klimaschutz kann. Im Anschluss an den Stahlgipfel machte er sich zu internationalen Klimaberatungen nach Brasilien auf. Mit konkreten Maßnahmen zur Dekarbonisierung der Industrie im Gepäck hätte er sich dort feiern können. So weit kann Merz nicht denken.

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Simon Poelchau
Redakteur
ist für Ökonomie im taz-Ressort Wirtschaft und Umwelt zuständig.
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4 Kommentare

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  • Grüner Stahl für grüne Schiene: Anke Rehlinger (Ministerpräsidentin, SPD) und Jürgen Barke (Wirtschaftsminister Saarland, SPD) zum Bahnauftrag für Saarstahl

    Die Deutsche Bahn InfraGO hat mit Saarstahl Rail einen Liefervertrag über rund 1.000 Tonnen klimafreundlich produzierter Schienen abgeschlossen.

    Das Saarland hatte sich sowohl im Bundesrat als auch in den Koalitionsverhandlungen und natürlich beim Stahlgipfel im Bundeskanzleramt für die Schaffung von Leitmärkten für emissionsarme Grundstoffe mit einem Pionierfeld bei der Deutschen Bahn eingesetzt.

    Saarstahl setzt für ihre Kooperation ein starkes und zukunftsweisendes Zeichen für nachhaltige Lieferketten und eine Kreislaufwirtschaft in der Bahnindustrie -- der grüne Stahl wird im französischen Werk Saarstahl Ascoval hergestell.

    Alle Stahl produzierenden Bundesländern -- inklusive Bundeskanzler ist klar, nachdem durch die EU Stahlimporte aus China und Indien verboten werden, die unter Gestellungspreisen Stahl zum Schleuderpreis verticken, die Umstellung aller Stahlwerke - und nicht nur im Saarland, die Umstellung auf grünen Stahl ansteht.

  • Deutschland braucht eine international wettbewerbsfähige (u.a.) Stahlindustrie.



    Welche Farbe die dabei hat, ist vollkommen egal. Das CO2 Game zerstört hierzulande mittlerweile nachhaltig den gesamten Standort. Warum? Weil das teure Spiel international keiner (korrekt: zu wenige) mitmacht. Mal schauen, wie lange es noch dauert, bis auch der letzte der Gesetze von Volkswirtschaft im Kontext der Weltwirtschaft verstanden hat. China lacht derweilen weiter über uns.



    Und bevor jetzt wieder ein ganz Schlauer kommt und meint, China baut mehr regenerative Energieerzeuger: Die bauen ZU und nicht UM! Ganz großer Unterschied!

  • Ich persönlich glaube nicht daran, dass es "grünen Stahl" geben wird. Das ist eine Art Jagd nach dem Einhorn. Das hat auch noch niemand gesehen.

  • Deutschland braucht negatives Wachstum und die Welt eine gerechtere Verteilung von Vermögen und Lebenschancen, sonst wird das mit der Klimarettung und dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen nichts mehr. Die Klimadebatte in Deutschland schwankt zwischen fatalem Weiter-so-wie-bisher und fatalem Aktivismus für ein grünes Wachstum. Durch neue Technologien werden die Probleme aber nur verschoben und nicht gelöst. Wir müssen unsere Art zu Wirtschaften und zu Leben grundlegend ändern, auch mit Blick auf die Ungleichverteilungen in der Welt. Die Mehrheit der Weltbevölkerung lebt auf einem Niveau der Grundversorgung, dass deutlich unter dem deutschen Durchschnitt liegt. Wenn eine Angleichung der Lebensverhältnisse mit den „ärmeren“ Ländern nicht gelingt und die Weltgemeinschaft weiter auf Wettbewerbswirtschaft setzt, dann wird es immer Staaten geben, die int’l Vereinbarungen für einen ambitionierten Klimaschutz ablehnen, da sie zu ihrem Nachteil sind. Es sind die reichen Länder, wie Deutschland, die eine historische Schuld an den Naturbedrohungen haben, die vorangehen müssen.