Chef der HafenCity über Homeoffice: „Nicht alle brauchen absolute Ruhe“

Durch Corona-Homeoffice werden Städte flexibler und sparen Flächen, sagt Jürgen Bruns-Berentelg. Dafür müssen wir Wohnen neu bauen.

Über der Hafencity von Hamburg hängen Regenwolken. Hinter der Elbe ist die Silhouette der Hafencity zu sehen. Besonders groß: die Elbphilharmonie.

Corona beruhigt sogar die Hafencity – bringt es auch eine neue Stadtplanung? Foto: Georg Wendt/dpa

taz: Herr Bruns-Berentelg, lassen sich Städte auch aus dem Homeoffice planen?

Jürgen Bruns-Berentelg: Planen im Grunde genommen ja, aber es gibt Gewerke, für die es schwieriger ist, weil ihre Server-Kapazitäten im Homeoffice nicht ausreichen. Ingenieure oder Verkehrsplaner zum Beispiel. Was für unsere Arbeit allerdings unverzichtbar ist, ist der Face-to-face-Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern, etwa in Diskussionsrunden über Bauvorhaben. Demokratische Beteiligung lässt sich nicht dauerhaft digital organisieren.

studierte Biologie und Geografie und arbeitete als Immobilienökonom. Seit 2003 ist er Vorsitzender Geschäftsführer der Hafencity Hamburg GmbH. Seit 2014 lehrt er zudem als Professor für Integrierte Stadtentwicklung an der Hafencity Universität Hamburg.

Sie waren in Berlin an der Planung von Sony Center und und Hauptbahnhof beteiligt und steuern nun die Entwicklung der Hamburger Hafencity. Wie hat sich die Arbeitswelt in den vergangenen Jahren verändert?

Arbeitsstrukturen werden flexibler, um unterschiedliche Bedürfnisse zu bedienen. Noch im frühen 20. Jahrhundert ist ein Teil der Literatur in Wiener Kaffeehäusern entstanden. Die Geräuschkulisse dort ist so omnipräsent, dass man durch Einzelgespräche nicht gestört wird und sich durchaus konzentrieren kann. Dass ein Mensch zum Arbeiten absolute Ruhe braucht, gilt also nicht für alle. Wir wollen öffentliche Flächen schaffen, die auch zum Arbeiten genutzt werden können. Man kann sich dort einen Kaffee bestellen, muss aber nicht. Wir verpflichten Bauherren teilweise dazu, solche flexiblen Flächen anzubieten, zum Beispiel neben einem Studierendenwohnheim. Auch Hotels werden diese Art von öffentlich nutzbaren Räumen zunehmend anbieten.

Homeoffice ist also nicht die einzige Alternative zum Firmenbüro …

Nein, es gibt zum Beispiel Unternehmen, die Co-Working-Büros entwerfen lassen, die flexibel genutzt werden können, auch von Dritten, die nicht im eigenen Unternehmen arbeiten. So können Mitarbeiter aus ihrem eigenen Büro in ein anderes Arbeitsumfeld wechseln. Damit werden neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit und des Rückzugs geschaffen. Auch Baugemeinschaften planen Wohngebäude, die mit gemeinschaftlichen Arbeitsräumen kombiniert werden. So können berufstätige Eltern, deren Kinder am Nachmittag aus der Schule nach Hause kommen, kurz in die eigene Wohnung gehen, um sie zu versorgen.

Eine „Stadt der kurzen Wege“ also. Aber was, wenn ich meine Kollegen nicht auch noch als Nachbarn haben möchte?

Wolfsburg ist dafür ein Beispiel. Diese Stadt wird von einem Großkonzern dominiert. Die Angestellten pendeln lieber, als Kollegen in der Stadt zu begegnen. Aber: Wenn ein Stadtquartier gut geplant ist und kein einzelnes Unternehmen dominiert, kann man ein Fremder bleiben, wenn man das möchte. Es gibt viele Möglichkeiten soziale Distanz zwischen dem Arbeits- und Wohnort aufzubauen, ohne dass sie räumlich getrennt sein müssen.

Welche Nachteile sehen Sie im dezentralen Arbeiten?

Laut US-Studien werden diejenigen, die nie in der Firma sind, am sozialen Aufstieg gehindert. Frauen zum Beispiel, die schneller in die Rolle der Versorgerin für die Kinder gedrängt werden, verlieren so die Option aufzusteigen. Außerdem fehlen Anerkennung und Bestätigung von Kollegen. Der soziale Austausch in einem Büro geht weit über die Kaffeepause hinaus. Im Silicon Valley hat man das erkannt, weshalb häufiger alle Mitarbeiter auch in die Firma kommen müssen.

Und derzeit?

In der Coronakrise habe ich Leute sagen hören, dass sie wegen des Homeoffice in Zukunft mehr Wohnfläche bräuchten. Dafür wollten sie an den Stadtrand ziehen, wo sie sich ein Haus leisten können. Das wäre eine konträre Entwicklung zu den Zielen moderner Stadtplanung, den Flächenverbrauch und den Verkehr zu reduzieren. Wir müssen auch das Wohnen in den Städten selbst anders bauen.

Wie sehen unsere Städte in Zukunft also aus?

Viertel, in denen nur gearbeitet oder nur gewohnt wird, wird es langfristig nicht mehr geben. Quartiere werden so geplant, dass alles an einem Ort möglich ist, mit Arbeitsplätzen zu Hause, die gut funktionieren. Das Verkehrsaufkommen wird sich in Metropolregionen verringern, aber nicht mehr als fünf, vielleicht zehn Prozent auf absehbare Zeit. Denn einige Menschen werden auch in Zukunft noch an getrennten Orten leben und arbeiten – unsere falschen Strukturen sind langlebig. Mobilität ist zudem auch eine soziale Freiheit.

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