Stadtumbau in Berlin: Die Altstadt-Aktivistin
Seit mehr als einem Jahr ist Petra Kahlfeldt Senatsbaudirektorin. Statt Berlin zukunftsfähig zu machen, greift sie in die Retro-Kiste. Eine Bilanz.
Was geht mich mein Geschwätz von gestern an? So ließe sich ein Antrag kommentieren, den Kahlfeldt jüngst in den Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses eingebracht hat. Darin forderte sie 50.000 Euro für „vorbereitende Untersuchungen“ zur „weiteren Entwicklung der Historischen Mitte“.
Die Begründung macht hellhörig. „In diesem zentralen innerstädtischen Bereich ist die städtebauliche Entwicklung in weiten Teilen noch nicht abgeschlossen, liegt aber vor allem wegen der Qualitäten und Brüche in großem öffentlichen Interesse.“
Fast scheint es, als hätte sich damit ein Bonmot der ehemaligen Bausenatorin Katrin Lompscher bewahrheitet. Die hatte den Streit um die Entwicklung des Molkenmarkts mit den Worten kommentiert: „Ein Altstadt-Aktivismus ist das Letzte, was Berlin braucht.“
Kahlfeldt wurde 1960 in Kaiserslautern geboren. An der TU Berlin studierte sie Architektur. Bis zu ihrer Ernennung als Senatsbaudirektorin arbeitete sie mit ihrem Mann Paul Kahlfeldt zusammen in einem Büro. Ihre Ernennung durch Bausenator Andreas Geisel (SPD) im Dezember 2021 war teilweise von scharfer Kritik begleitet worden. Einen offenen Brief gegen die Entscheidung unterzeichneten zahlreiche Fachleute. Nicht nur in Berlin betätigt sich Kahlfeldt an der kritischen Rekonstruktion, sondern auch in Potsdam. Dort sitzt sie in einer Kommission zum Wiederaufbau der Blöcke III und IV am Alten Markt in Nachbarschaft des Stadtschlosses – heute der Brandenburger Landtag. (wera)
Doch die Altstadt-Aktivistin gibt es bereits, und mit ihrem radikalen Aktivismus scheint sie nicht einmal Halt vor Beschlüssen des Abgeordnetenhauses zu machen. Das hatte 2016 nach einem mehrjährigen Beteiligungsprozess sogenannte Bürgerleitlinien zur Historischen Mitte verabschiedet. 2021 hatte das Landschaftsarchitekturbüro RMP Stephan Lenzen einen Freiraumwettbewerb gewonnen, der die vorhandenen Grünflächen aufwertet. Und noch im Oktober vergangenen Jahres hatte eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen der taz versichert: „Sowohl die Bürgerleitlinien als auch die Entscheidung des Wettbewerbs gelten.“
Interview dreimal verschoben
Ein Interview mit der taz vermeidet Petra Kahlfeldt bisher. Nach einer ersten Zusage für Ende Oktober wurde es bislang drei Mal verschoben, das letzte Mal auf einen Termin nach der Wiederholungswahl am 12. Februar. Stattdessen spricht die taz nun nicht mit, sondern über Petra Kahlfeldt.
Zum Beispiel mit Julian Schwarze, dem Sprecher für Stadtentwicklung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. „Auch für uns ist es schwer, Termine mit Frau Kahlfeldt zu finden“, sagt er. „Die Abstimmungen mit ihr sind sehr mühsam.“ Deshalb falle auch die Bilanz ihrer inzwischen 13 Monate dauernden Amtszeit „sehr kritisch aus“. Und das, so schiebt Schwarze hinterher, sei noch sehr diplomatisch formuliert.
Es sind vor allem die Geschehnisse rund um den Wettbewerb zum Molkenmarkt, die Schwarze bis heute ärgern. „Am Molkenmarkt hat Kahlfeldt gezeigt, dass es ihr darum geht, die Linien im Städtebau zu verschieben“, sagt er. „Ihr geht es darum, von oben herab zu entscheiden, und zwar nach ihrem Gusto.“
Tatsächlich waren die Wellen hochgeschlagen, als die Senatsbaudirektorin im September bekannt gegeben hatte, dass die Jury des Wettbewerbs sich auf keinen Siegerentwurf verständigt habe. Das sei auch gar nicht verabredet gewesen, versuchte sie die Nichtentscheidung im Nachhinein zu begründen. Tatsächlich aber hieß es in der Auslobung des Werkstattverfahrens, dass „die Empfehlung eines der beiden Entwürfe als Grundlage einer Charta für die Entwicklung am Molkenmarkt“ dienen soll.
Grüne und Linke sind sauer
Entsprechend sauer waren Linke und Grüne gewesen. Es wäre „ein Skandal, wenn Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt entgegen dem Votum der Jurymehrheit eine eindeutige Empfehlung verhindert hat“, sagt die Linken-Abgeordnete Katalin Gennburg. Sie forderte eine Entscheidung des Abgeordnetenhauses über die geplante „Charta Molkenmarkt“. Das aber will die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung verhindern. Stattdessen solle die Charta dem Parlament lediglich zur Kenntnis vorgelegt werden. Eine von Grünen und Linken geforderte zweite Jurysitzung lehnte Kahlfeldt ab.
Hintergrund des Streits um den Molkenmarkt waren die beiden Entwürfe, über die die Jury zu entscheiden hatte. Der Entwurf des dänischen Teams von OS Arkitekter aus Kopenhagen und der Czyborra Klingbeil Architekturwerkstatt aus Berlin atmet den Geist der Zeit: viel Grün, flexibles Bauen, Erhalt von möglichst viel Bestand. Klimagerechter Städtebau also, den der zweite Entwurf nicht vorweisen kann. Stattdessen orientiert sich das Büro Albers/Malcovati an der Idee einer städtebaulichen Rekonstruktion. Zukunftsweisend oder rückwärtsgewandt – das war die Frage, vor der die Jury stand.
Julian Schwarze sagt dazu: „Man kann nicht die Stadt des 19. Jahrhunderts wiederhaben wollen, man muss der Stadt gerecht werden bei den Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz.“ Auch die soziale Mischung treibt ihn um. Denn am Molkenmarkt sollen von der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) auch Sozialwohnungen gebaut werden. „Für die WBM ist die Kleinteiligkeit, die Kahlfeldt möchte, schwierig, weil sie den Bau verteuert.“ Damit stelle sich also auch die Frage: „Für wen wird die Stadt entwickelt?“
Ein neuer Architekturstreit?
Auch Theresa Keilhacker, die Präsidentin der Berliner Architektenkammer, will nach dem Eklat am Molkenmarkt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. „Ich persönlich habe so etwas noch nie erlebt“, sagt sie der taz. Von einem „Scherbenhaufen“ spricht Keilhacker, berichtet von den Anrufen vieler Kolleginnen und Kollegen, die sich überlegen, überhaupt noch einmal an einem Wettbewerb in Berlin teilzunehmen.
„Scherbenhaufen“ in Stadtentwicklungsdebatten hatte es in Berlin zuletzt in den neunziger Jahren gegeben. Hans Stimmann war damals zum Senatsbaudirektor ernannt worden, er war der Vorvorgänger von Petra Kahlfeldt. Der Berliner Architekturstreit über die Rückgewinnung des Stadtgrundrisses des 19. Jahrhunderts hatte damals auch überregional Schlagzeilen gemacht.
„So etwas braucht eigentlich heute keiner mehr“, sagt Keilhacker. „Wir haben jetzt völlig andere Herausforderungen und wollen nach vorne.“ Wie Schwarze nennt Keilhacker die Themen Klima, Umgang mit dem Regenwasser, Coworking, Coliving, Digitalisierung. „Das alles steht auch am Molkenmarkt für eine Entwicklung in Richtung Zukunft.“
Eines aber hält Keilhacker der Senatsbaudirektorin zugute. Es ist ihr Einsatz für den Erhalt der bestehenden Bausubstanz. Selbst am Molkenmarkt hatte sie sich dafür ausgesprochen, dass die Klosterstraße 44, die ehemalige „Verstärkerstelle West“ der Post der DDR aus dem Jahr 1968, nicht abgerissen wird. Die Berliner Architektenkammer geht sogar noch einen Schritt weiter und fordert ein Abrissmoratorium.
Aber auch in dieser Frage geht es Kahlfeldt nicht nur um Inhalte, sondern auch um Aktivismus. Zuletzt ließ sie sogar die Pläne für den Neubau der Zentral- und Landesbibliothek am Blücherplatz anhalten. Nach Informationen der taz setzt sich Kahlfeldt für eine Unterbringung der ZLB in den Hangars des ehemaligen Flughafens Tempelhof ein.
Nachvollziehbar findet das Theresa Keilhacker. Einerseits. Andererseits sagt sie aber auch: „Man kann natürlich nicht alle paar Jahre die politischen Prozesse stoppen.“
Das Aktivisten-Netzwerk
Einen Fürsprecher findet Kahlfeldt in Tobias Nöfer. Mit dem Büro Kahlfeldt-Architekten, das Petra Kahlfeldt nach ihrer Ernennung zur Senatsbaudirektorin verlassen hat, hat Tobias Nöfer zum Beispiel die Beuth-Höfe am Spittelmarkt gebaut. Kleinteilig geht es auch da nicht zu, die meisten Gebäude haben nicht einmal Gewerbeflächen in den Erdgeschossen, sondern Funktionsgeschosse, etwa zum Abstellen von Fahrrädern.
Über die Beuth-Höfe war Nöfer selbst nicht ganz glücklich, verwies als Erklärung auf den Investor, die Groth-Gruppe. Dennoch ist Tobias Nöfer, der auch Vorsitzender des Architekten- und Ingenieurvereins ist, ein Verfechter der kritischen Rekonstruktion. Als Hans Stimmann 1995 sein „Planwerk Innenstadt“ vorlegte, sorgte er für die Feinplanung. Statt der DDR-Moderne sollte nun wieder der historische Stadtgrundriss gelten. Nöfers damaliger Chef war Bernd Albers, dessen Entwurf für den Molkenmarkt Petra Kahlfeldt im Rennen halten wollte.
Gegen Vorwürfe, Kahlfeldt wolle am Molkenmarkt landeseigene Grundstücke privatisieren, nimmt Nöfer die Senatsbaudirektorin in Schutz. „Die Flächen bleiben in öffentlicher Hand“ sagte er Ende Dezember in einem Interview mit dem Tagesspiegel. „Aber Erbbaurechtsverträge, zum Beispiel an Stiftungen oder Genossenschaften, sind nicht ausgeschlossen, sogar wünschenswert.“
Und dann lässt Nöfer die Katze aus dem Sack. „Warum quält man die Wohnungsbaugesellschaften, hier für zu wenig Geld Häuser zu bauen, statt viele Parzellen auch in Erbpacht an Genossenschaften, Baugruppen oder gemeinnützige Stiftungen zu geben?“„Ideologie“ nennt Nöfer das, dabei ist gerade er der Ideologe, wenn er fordert, landeseigene Wohnungsbaugesellschaften sollten nicht in der Mitte, sondern am Stadtrand bauen. „Wenn man für 6,50 Euro vermieten will, kann man nur ganz wenig Geld ausgeben, und das tut man am besten auf der grünen Wiese.“
Nicht nur eine ästhetische Rückkehr zur Stadt der Vorkriegszeit steckt in Sätzen wie diesen, sondern auch eine soziale Distinktion. „Stadtbürger“ hat Hans Stimmann in den Neunzigern die „Urbaniten“ genannt, die er sich in Townhouses wie an der Werderschen Kirche wünschte. Solchen gut betuchten Bürgerinnen und Bürgern wollen Nöfer und Kahlfeldt nun offenbar auch am Molkenmarkt den Weg frei machen.
Und zwischen Rotem Rathaus und Marienkirche? Den Antrag auf 50.000 Euro hat der Haushaltsausschuss vorerst abgelehnt. Doch vom Tisch ist der Versuch, auch hier in die Retro-Kiste zu greifen, nicht.
Denn neben Petra Kahlfeldt und Tobias Nöfer gibt es weitere Altstadt-Aktivisten. Einige von ihnen haben im Sommer die Stiftung Mitte Berlin gegründet. Ein „dichtes Stadtquartier“ anstelle des Freiraums am Roten Rathaus ist ihr Ziel: „Anstelle des jetzigen Lochs in der Berliner Mitte befürworten wir neue Häuser auf dem Stadtgrundriss der 1920er Jahre.“ Im Vorstand der Stiftung sitzt auch Benedikt Goebel. Mit Tobias Nöfer wiederum gehört er zum Vorstand des Architekten- und Ingenieurvereins.
Was kommt als Nächstes? An der Bauakademie hat sich Petra Kahlfeldt schon in Stellung gebracht, berichtet der grüne Stadtentwicklungsexperte Julian Schwarze. „Im Koalitionsvertrag steht, dass dort ein innovativer Bau im Geiste Schinkels entstehen soll. Eine Rekonstruktion der Fassade habe man dagegen abgelehnt.
Nun aber habe Kahlfeldt mit einer Gestaltungssatzung genau diese Rekonstruktion in die Debatte gebracht. Das, so Schwarze, „ist ein Bruch des Koalitionsvertrags“.
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