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Stadttauben in BerlinZwei Stunden mit Twiggy

Kommentar von Susanne Memarnia

Eine kranke Wildtaube rührt das Herz der Autorin, sie nimmt sie mit. Doch eine Ärztin meint, die Taube wegen Trichomonaden einschläfern zu müssen.

Taube Twiggy vor der Einschläferung in einem Schal Foto: Susanne Memarnia

D ie kleine Taube sitzt im Dreck unter der Autobahnbrücke am Waidmannsluster Damm. Ein paar Meter weiter picken ihre Kolleginnen in den Körnern, die ein Unbekannter ausgestreut hat, doch sie hockt nur da. Als ich auf sie zugehe, weicht sie nicht zurück, fliegt nicht weg. Sie muss verletzt sein, denke ich, vielleicht aus dem Nest gefallen – die Tauben hausen oben in den Lücken der Brückenpfeiler. Eigentlich habe ich keine Zeit, vor der Arbeit will ich noch einkaufen, aber weggehen kann ich auch nicht. So nehme ich meinen Schal ab, wickel die Taube ein und nehme sie mit.

Auf dem Weg zum Bus google ich nach Tierärzten, doch morgens um 8 hat keiner auf, also nehme ich sie mit zu Obi, wo ich Schrauben für mein Gewächshaus besorgen will. Im Bus rede ich beruhigend auf die Taube ein, doch das scheint gar nicht nötig, sie sitzt still auf meinem Schoß, sogar das Köpfchen kann ich ihr streicheln. Helle Flaumfedern zwischen dem grauen Gefieder am Hals lassen mich vermuten, dass sie ein Baby ist.

Meinen Einkauf bei Obi erledige ich einarmig, links den Korb mit Schrauben, rechts Täubchen im Schal. Die Kassiererin ist hingerissen: „Die ist aber zutraulich, ist sie zahm?“ Draußen greife ich wieder zum Telefon. Der erste Tierarzt, der rangeht, hat heute keinen Termin frei – „und Tauben behandeln wir sowieso nicht“. Die Sprechstundenhilfe gibt mir aber einen Tipp: Die Tierarztpraxis Rödiger am „Kutschi“ nehme Wildtiere an.

In der S1 nach Wittenau kommt eine Frau auf mich zu. „Was haben Sie denn da?“ Mit einem Ausdruck zwischen Neugierde und Sorge will sie wissen, was ich mit dem Tier vorhabe, ich verspüre Rechtfertigungsdruck – tue ich das Richtige? Doch als ich alles erkläre, nickt die Frau und setzt sich wieder.

Täubchen hat Parasiten, wie so viele Stadttauben

Nochmal Bus fahren, Täubchen guckt neugierig aus dem Fenster, die anderen Passagiere beachten uns nicht. In der Praxis soll ich einen Zettel ausfüllen, der „Wildtierfund“ überschrieben ist – und ich soll Täubchen abgeben. „Kann ich nicht mit der Ärztin sprechen?“ – „Dann müssen Sie aber selbst zahlen.“ Ich bin einverstanden und fülle ein anderes Formular aus. Name des Tiers? Ich überlege und taufe die Taube Twiggy – sie ist so dünn.

Nach einer kurzen Wartezeit sind wir dran, die Ärztin nimmt Twiggy zwischen die Hände und untersucht sie. „Sie ist wirklich sehr mager“, sagt die junge Frau und zeigt mir, dass man am Bauch die Knochen durch die Haut sehen kann. Ein Blick in Twiggys Hals verrät ihr den Grund: Trichomonaden. Die meisten Stadttauben hätten diese Parasiten, erklärt die Ärztin, wirklich heilbar sei das nicht. Und: Wegen des Seuchenschutzes müsse sie das Täubchen leider einschläfern.

Traurig verabschiede ich mich von Twiggy, in nicht einmal zwei Stunden ist sie mir ans Herz gewachsen. Ich hätte sie gerne eine Weile behalten und aufgepäppelt. Am Empfangstresen zahle ich mit Karte 104 Euro, „Euthanasie aus Tierschutzgründen“ steht auf der Rechnung. Das Geld war es mir wert: So konnte ich Twiggy wenigstens noch einen Namen geben.

Nachtrag am 4. Dezember, 13:36 Uhr: Dieser Artikel schlägt unter Tierschützern hohe Wellen. Sie sagen, dass Twiggy nicht hätte euthanasiert werden müssen oder gar dürfen. Janine Mohaupt von der Tierschutzorganisation Aktionfairplay etwa weist daraufhin, dass Trichomonaden bei Tauben in der Regel problemlos mit Medikamenten zu behandeln seien und die Krankheit auch keine meldepflichtige Seuche sei. Verschiedene Quellen im Netz bestätigen diese Aussagen.

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Redakteurin taz.Berlin
Jahrgang 1969, seit 2003 bei der taz, erst in Köln, seit 2007 in Berlin. Ist im Berliner Lokalteil verantwortlich für die Themenbereiche Migration und Antirassismus.
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12 Kommentare

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  • Da ist ja wohl einiges schief gelaufen! Das Tier hätte genauso wenig euthanasiert werden müssen, wie ein Hund mit Schnupfen. Trichomoniasis ist je nach Befallsstadium recht simpel medikamentös zu behandeln. Das ist schon heftig, wenn eine Taube - noch dazu für diesen hohen Preis - wegen Trichos getötet wird. Hier empfehle ich dringende Fortbildung für die ÄrztInnen des Vet-Zentrums. Die Stadttaubenhilfe Berlin kann Ihnen hier bestimmt mit sehr viel Rat und Knowhow zur Seite stehen.

    Schade aber auch dass die Redakteurin ungeprüft solche Fehlinformation bzgl. des Seuchenschutzgesetzes verbreitet. Trichos kommen tatsächlich bei Wildtieren und Tauben häufig vor, aber diese Erkrankung fällt in keinster Weise unters Seuchenschutzgesetz. Es ist sogar als Verstoß gegen das Tierschutzgesetz zu werten, wegen so einem harmlosen parasitären Erkrankung Tiere zu töten. Trichos gehören definitiv nicht zu den "vernünftigen Gründen" die es juristisch rechtfertigen würden das Tier zu töten.

    Mehr betreute Taubenhäuser würden die Gesamtsituation der Stadttaube verbessern, denn die Gründe für die Unterernährung von Twiggy lag sicherlich neben der Erkrankung auch am Fütterungsverbot in der Stadt.

    • @Solarreinigung:

      Danke💖🌺🙋

  • Liebe Susanne Memarnia,

    Danke dass Sie dem kleinen Taubenkind helfen wollten, leider sind Sie in der falschen Praxis gelandet wo das anscheinend üblich ist dass Tauben vorschnell getötet werden. Trichomonaden sind sehr wohl heilbar, selbst schwerwiegende Fälle wo bereits der Schnabel und Hals zugewuchert ist, überleben meistens. Und wegen "Seuchenschutz" hätte man schon gar nicht einschläfern müssen. Das kleine Taubenkind auf dem Foto macht einen sehr guten und munteren Eindruck, ich bin mir sehr sicher dass es nicht hätte sterben müssen. Ich kann nur jedem raten bei Tauben nach örtlichen Taubenhilfen bei Facebook zu suchen, dort kann man Pflegestellen finden und auch Tierarzt Adressen die Tauben anständig behandeln. Schade für das kleine Baby 🖤

    • @Lisa K:

      Danke💖🌺🙋

  • Liebe Susanne-Memarnia,

    Dieser Artikel stimmt mich sehr traurig, denn Twiggy hätte nicht euthanasiert werden müssen. Trichomonaden sind Geißeltierchen, die sehr gut behandelt und somit "geheilt" werden können. İch befürchte, sie waren bei keinem vogelkundigen Tierarzt und wurden somit nicht richtig beraten.



    Sollten Sie wieder eine Taube in Not finden, melden Sie sich gern bei unserem Team von Hauptstadttiere e.V. wir unterstützen Sie gern bei der richtigen Tierarztwahl und beantworten İhnen gern alle Fragen.

    Liebe Grüße und fly free Twiggy

    • @Ayşegül Körs:

      Danke💖🌺🙋

    • @Ayşegül Körs:

      Das stimmt mich aber sehr traurig, habe ich dich selbst schon viele Male offensichtlich erkrankte Tauben zur erwähnten Tierarztpraxis gebracht, allerdings habe ich die Behandlungskosten nicht übernommen. Insofern dort Einschläferung die erste Wahl ist, wäre ich zutiefst betrübt. Ich wollte die wunderbaren Tiere nicht zum Schafott führen.

  • Ein kleiner Hinweis: Die Tierarztpraxis heißt nicht Rödinger, sondern so:



    Tierarztpraxis Rödiger - Das Veterinärmedizinische Zentrum Berlin und hat 24h geöffnet.

     

    Vielen Dank für den Hinweis, wir werden den Fehler in Kürze korrigieren.

    Mit freundlichen Grüßen, taz Kommune.

    • @WickiMo:

      Ist auch offizielle Annahmestelle für erkrankte Wildvögel.

  • Danke für den Bericht und das Bild zum Andenken an Twiggy, Susanne Memarnia.

    Der Behandlung von Wildtieren sollte von der Politik mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung gewidmet werden. Auch die Kosten sollte man reduzieren durch andere Tarife und eine neue Art Versicherung.

  • Trichonomaden sind nicht heilbar? Oder sind es TrichoMoNaden.

     

     

    Vielen Dank für den Hinweis, wir werden den Fehler in Kürze korrigieren.

    Mit freundlichen Grüßen, taz Kommune.

    • @Stoffel:

      Was Nichts daran ändert, dass die Trichomoniasis natürlich therapierbar ist! Was voraus setzt, dass man zu einem ----> kundigen (!!) Tierarzt geht, der ein Minimum an Interesse für das zu behandelnde Tier aufbringt!