Stadtentwicklung in der Pandemie: Kreative Ideen gegen das Scheitern
Unter dem Motto „Stadt gemeinsam gestalten!“ versuchen Nürnberg, Hannover, Münster und Altenburg bestimmte Stadtteile zu verschönern. Klappt das?
Als im September 2018 unter den 100 Bewerbern die vier Sieger-Konzepte präsentiert wurden, schwammen die Teams auf einer Welle der Euphorie, sagt Tomasz Lachmann. Der 36-Jährige steckt hinter einem der vier Gewinnerprojekte, dem Verein „Gesellschaft für außerordentliche Zusammenarbeit“ (GfaZ) in Hannover. Dessen Ansatz lautete so: 60 Initiativen aus den Stadtteilen Linden, Limmer und Nordstadt sollen so gut vernetzt werden, dass beim Miteinander „Prozesse effektiver laufen“ und die Akteure sich „gegenseitig beflügeln“. Angesichts eines Gesamtetats von bis 700.000 Euro sollten bestehende Gemeinwohlprojekte ausgebaut und dauerhafte Einrichtungen für die Zukunft geschaffen werden.
Die „Nationale Stadtentwicklungspolitik“ ist eine gemeinsame Initiative von Bund, Ländern und Kommunen. Sie entwickelt Ideen für eine nachhaltige Stadtentwicklungspolitik gerade für benachteiligte Viertel. Die Initiative basiert auf der „Leipzig Charta“ der Europäischen Union. Die Charta wurde Ende 2020 aktualisiert und stellt jetzt Herausforderungen für Städte durch den Klimawandel, Migration oder Pandemien in den Mittelpunkt.
Alle zwei Jahre werden neue Projekte ausgeschrieben, für die sich Teams aus allen deutschen Städten bewerben können. Angesiedelt ist die Nationale Stadtentwicklungspolitik beim für Bauen zuständigen Bundesinnenministerium. Zuvor waren aber auch schon andere Ministerien wie Umwelt und Verkehr zuständig; nach der Bundestagswahl im September wäre ein erneuter Ressortwechsel keine Überraschung. j. s.
Ein anderer Sieger, das Nürnberger Urban Lab, machte den langgezogenen Raum von zwölf U-Bahn-Stationen samt Umfeld zum „Quartier U1“, das durch viele kleine Ideen aus der Bevölkerung attraktiver werden sollte.
Mit dem „Hansaforum“ schuf sich in Münster die gemeinnützige B-Side, der Entwickler und Betreiber eines Soziokulturzentrums, ein Aktionsfeld für das im Wandel befindliche Hansa-Viertel im Süden der Stadt.
Und das „Stadtmensch“-Projekt der Gesellschaft „Erlebe was geht“ in Altenburg rückte den alten Kern der vom Bevölkerungsrückgang geplagten Thüringischen Kleinstadt in den Fokus.
„Abrupter Cut mit der Stadtgesellschaft“
Nach der Findungsphase sollten die Projekte 2020 richtig durchstarten. Doch mitten in den ersten Beteiligungsprozessen tauchte im März das Coronavirus auf und zwang zum Umdenken. „Es hat sich viel verschoben“, sagt Lisa Schopp, die bei der Nationalen Stadtentwicklungspolitik zusammen mit ihrem Kollegen Stephan Willinger die Projekte in den vier Städten betreut. „Es war ein krasser, abrupter Cut mit der Stadtgesellschaft“, bestätigt Anja Fehre (30), die Projektleiterin in Altenburg. Das Klingeln an Haustüren, um Leute fürs Mitmachen und Einspeisen von Ideen zu animieren, musste gestoppt werden.
Gelder flossen in Technik statt Catering, neue Ideen waren gefragt. „Corona, was wolle, wir machen trotzdem was“ lautete der Slogan in Altenburg. Junge Kreative peppten Schaufenster auf und drehten Werbevideos für Einzelhändler.
„Was mit Herz“ hieß die Antwort auf die Pandemie in Hannover, wo eine gleichnamige Initiative seit Sommer 2020 Lebensmittel organisiert und an Bedürftige verteilt. Ein wegweisendes Förderprojekt der GfaZ, die im gleichen Hinterhofhaus residiert und von dort aus „Zusammenarbeit außerhalb der gewohnten Ordnung“ in die Wege leitet.
Kaffemaschine aus der Bibliothek
Dabei gab es auch Probleme. Es sei zu lange diskutiert worden, findet Lachmann, man habe zu viele Dinge angepackt – von Technik-Equipment über einen Raumcontainer und einer Netzwerk-Software bis zu einem alternativen Bezahlsystem, das auf Token und Fonds baut statt auf Euros. Lachmann: „Wir hätten zwei Jahre mehr Zeit gebraucht.“
Es folgten Personalwechsel und die Konzentration aufs Wesentliche – etwa auf das „Platzprojekt“ auf einem gepachteten Metro-Areal. 140.000 Euro flossen in die Infrastruktur des „Ortes für alle, die sonst in der Stadt keinen Platz haben“. 28 Nutzer:innen haben dort ein Domizil, 300 Mitglieder sind aktiv. Die Angebote reichen vom Skatepark über diverse Start-ups und einem Gemeinschaftsgarten bis zur „Bibliothek der Dinge“, wo es Werkzeug, Musikanlagen, Laminiergeräten oder Kaffeemaschinen zum Ausleihen gibt.
In Münster stand wegen der Corona-Pandemie der „Konvent“ auf der Kippe, der zweimal im Jahr mit rund 100 repräsentativ und per Zufall ausgewählten Teilnehmer:innen tagt. 2019 hatte dieser einen umfassenden „Quartier-Gemeinwohl-Index“ beschlossen – mit 16 Kriterien, von Klimapositivität über Bildung, Kultur, Nachbarschaft, Gesundheit, Wohnen bis Verkehr, für die Umsetzung von Projektvorschlägen.
Bei einer Umfrage per Briefwahl stimmten „nur zwei von 80 für eine Zoom-Konferenz“, berichtet Leonie Nienhaus (30). Die große Mehrheit wollte Konvent-Spaziergänge mit Maske, Abstand und in Gruppen mit maximal 25 Leuten. Der „Konvent“ ging in Etappen auf Tour, erst im Juni 2021 erstmals wieder gemeinsam.
Hoffnung auf Langzeitfolgen
In Altenburg läuft seit kurzem der Umbau des „OpenLab“-Ladens, so dass die 2016 gestartete „Stadtmensch“-Initiative weiter besteht. Das 290 Quadratmeter große Domizil wird für 45.000 Euro so umgestaltet, dass auch das Kunstkollektiv „Farbkküche“ einziehen und dort Kreativkurse samt Ausstellungen veranstalten kann. Alle „#selbermachen“-Projekte sollen vom 23. bis 26. September beim bereits dreimal verschobenen „Stadtmensch-Festival“ präsentiert werden. Verbunden mit Diskussionen über die Zukunft der Kleinstadt, der jahrelang die jungen Menschen davongerannt sind.
Während die Altenburger Stadtspitze das Projekt kräftig unterstützt, hat es in Münster etwas gedauert, bis sich Verwaltung und Kommunalpolitik auf die Ideen des „Hansa-Forums“ einließen. In Hannover und Nürnberg drängte dagegen die (letztlich erfolglose) Kulturhauptstadt-2025-Bewerbung das Stadtgestaltungsprojekt in den Hintergrund.
In Nürnberg sind 29 Ideen in zwei basisdemokratischen Beteiligungsprozessen abgesegnet worden. Dazu gehören ein grüner „Naschzaun“, der Passanten zum Zugreifen bei Kräutern oder Beeren einlädt, und konsumkritische „(K)Einkaufswagen“, die an U-Bahnhöfen zum Tauschen von Pflanzen animieren oder für eine mobile Fahrradwerkstatt sorgen. Etliche Initiator:innen sind am 25./26. September bei einem „Testival“ zu erleben. Dass das geplante „Amt für Ideen“ als zentrale Kontaktstelle lange nur digital vorhanden war, gilt als Manko: Erst im April 2021 tauchte es in Form eines mobilen Containers auf.
Nun hofft das Team um Basti Schnellbögl (31) auf deutlich mehr Leute quer durch alle sozialen Schichten, die einen 400-Euro-Mikrozuschuss für ihre Projektidee beantragen. Da die Anschlussfinanzierung gesichert ist, wird das „Amt für Ideen“ auf jeden Fall auch 2022 unterwegs sein.
Die Palette der 72 bisher beschlossenen Projekte in Münster reicht von Nistkästen über Regenwasserbehälter bis zu einem Platz für Skater. Das große Aushängeschild ist aber das Soziokulturzentrum „B-Side“, das ab Oktober für 7,5 Millionen Euro in einer Ex-Lagerhalle entstehen wird. Neben kulturellen Podien und einem Dachbiergarten wird auch der Ruderverein eine Heimat bekommen.
Nicht nur in Münster hofft man auf Langzeiteffekte, die sich durch nachhaltige, gemeinsam entstandene Projekte einstellen. Und die letztlich das Image der Stadt stärken und bewirken, dass aktiv beteiligte Student:innen am Ort bleiben. Die Teams in den vier Städten sehen sich nicht als Konkurrent:inen, sondern helfen und beraten sich gegenseitig. Aktuell feilen jeweils 40 bis 50 Aktive an den letzten Projekten.
In der Abschlussdokumentation werden die besten Beispiele aus allen vier Städten präsentiert, die zum Nachahmen anregen, aber auch vor Fehlern warnen sollen. „Die Projekte sind Experimente. Scheitern gehört dazu“, betont Lisa Schopp von der Nationalen Stadtentwicklungspolitik, die im Herbst 2020 einen neuen Projektaufruf gestartet hat – zum Thema „Post-Corona-Stadt“. 13 Städte von Aachen über Erlangen und München bis Weimar beschäftigen sich bis Ende 2023 mit dem Thema. Scheitern wird auch hier dazugehören.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!