Stadt will Arbeiter loswerden: Hafenfirma manövriert sich aus
Das Arbeitsgericht Lübeck verdonnert die Lübecker Hafengesellschaft zur Übernahme der 150 Leiharbeiter des Hafenbetriebsvereins. Dabei wollte sie Geld sparen.
Die LHG ist mit 300 Beschäftigten der größte Hafeneinzelbetrieb Lübecks. Ihre Hauptgesellschafter sind die Stadt Lübeck und die Deutsche-Bank-Tochter „Reef Pan European Infrastructure Two Luxe“. Zusammen mit sieben weiteren Hafenbetrieben war die LHG Gesellschafter beim Hafenbetriebsverein, dessen vornehmliche Aufgabe es ist, Hafenarbeiter als Leiharbeiter den Hafenunternehmen in Stoßzeiten zur Verfügung zu stellen – die letzten Jahre fast ausschließlich für die LHG.
Im vergangenen Sommer musste der HBV Insolvenz anmelden, weil die acht Gesellschafter keine Erhöhung der Umlagen zwecks Finanzierung beschließen wollten. Als Insolvenzverwalter war der Hamburger Rechtsanwalt Klaus Pannen eingesetzt.
Wurde die Insolvenz der LHG bewusst herbeigeführt?
Der HBV-Betriebsrat vermutet, dass die Insolvenz von der LHG bewusst betrieben worden ist, um billigere private Leiharbeitsfirmen in Anspruch nehmen zu können. Deren Mitarbeiter müssen nicht – wie beim HBV – nach den Hafentarifen der Gewerkschaft Ver.di bezahlt werden. „Man kann eine Insolvenz selbst provozieren, um die Mitarbeiter möglichst günstig loszuwerden“, sagt der Hamburger Arbeitsrechtsanwalt Klaus Bertelsmann, der zusammen mit Ver.di die 150 HBV-Beschäftigten vertritt. Diese klagen auf Festanstellung beim LHG vor dem Lübecker Arbeitsgericht.
Denn nach der Eröffnung der Insolvenz stellte sich heraus, dass der HBV bis Ende 2013 keine Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit zur Arbeitnehmerüberlassung hatte. Wenn ein Verleiher keine Erlaubnis für die Arbeitnehmerüberlassung besitzt, entsteht nach Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Entleiher. „Wir sind der Auffassung, dass ein solches Arbeitsverhältnis mit der LHG entstanden ist, da der HBV jedenfalls nach Auflösung des Gesamthafenbetriebs 1999 eine Genehmigung zur Arbeitnehmerüberlassung hätte haben müssen“, sagt Bertelsmann.
Im Klartext: Alle zwischen 1998 und 2013 bei der LHG beschäftigten HBV-Malocher sind formal bei der LHG beschäftigt gewesen. Die LHG argumentiert indes, nach der Auflösung des Gesamthafenbetriebs 1998 habe der HBV die Aufgabe übernommen und genieße einen Sonderstatus nach dem Hafengesetz von 1950.
Die Lübecker ArbeitsrichterInnen folgen der Argumentation der Beschäftigten. Damit hat die LGH ein zusätzliches Problem. Wenn sie alle vor 2013 eingesetzten HBV-Hafenarbeiter übernehmen muss, kommen diese zu den LHG-Beschäftigten hinzu, die nach 2013 eingestellt worden sind und die LHG hätte – trotz plötzlichen Umsatzrückgangs – nunmehr 450 Beschäftigte auf den Gehaltslisten, weit mehr als sie braucht.
Die LHG werde daher nach dem Urteil der letzten und sechsten Kammer und vorliegenden schriftlichen Urteilsbegründungen Beschwerde beim Kieler Landesarbeitsgericht einlegen, kündigte LHG-Sprecherin Natascha Bumenthal der taz an.
Im Moment herrscht faktisch ein Moratorium. Die HBV-Beschäftigten hätten zwar Anspruch auf eine Zwangsvollstreckung der Arbeitsgerichts-Urteile, die bis zu einer endgültigen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts eine Festanstellung garantieren, sagt Anwalt Bertelsmann. Sie nehmen aber davon bislang Abstand. Denn der HBV bezahlt seine Beschäftigten, die fast ausnahmslos bei der LHG arbeiten, bisher weiter – sogar zu besseren Konditionen als die LHG. „Der Betrieb läuft weiter“, sagt Insolvenzverwalter Klaus Pannen der taz.
Eine Lösung könnte ein Sozialtarifvertrag sein. Nach ersten Gespräche sind die Verhandlungen aber ins Stocken geraten. „Wir hoffen alle, dass es eine vernünftige Lösung zwischen der LHG, der Gewerkschaft Ver.di und unter Einziehung des Insolvenzverwalters gibt“, sagt Anwalt Bertelsmann. „Mit einer solchen Lösung muss gewährleistet sein, dass vielleicht ein Teil der Beschäftigten des HBV über einen Sozialplan sozialverträglich abgebaut wird, dass aber der größte Teil der Beschäftigten von der LHG zu den bisherigen Bedingungen übernommen wird.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Bisheriger Ost-Beauftragter
Marco Wanderwitz zieht sich aus Politik zurück