Stadionbann für Frauen im Iran: Der Tod des blauen Mädchens
Nach der Selbstverbrennung von Sahar Khodayari wächst der Druck auf Iran, endlich Frauen in die Stadien zu lassen. Nimmt die Fifa das Thema ernst?
Für Maryam Shojaei gibt es keinen Zweifel. „Fifa ist schuld“, sagt die Aktivistin, die seit mehr als zehn Jahren dafür kämpft, dass endlich auch Frauen in der Islamischen Republik Iran Fußballspiele von Männern im Stadion anschauen dürfen. Wenn der Internationale Fußballverband seine eigenen Antidiskriminierungsregeln durchsetzen würde, wäre Sahar Khodayari noch am Leben, da ist sie sich sicher. Das Schicksal der Frau hat in dieser Woche die Welt bewegt.
Im März wollte sie sich als Mann verkleidet ein Spiel ihres Herzensvereins Esteghlal Teheran anschauen. Sie wurde verhaftet. Anfang September begann der Prozess gegen sie. Als sie erfuhr, dass man sie für ein halbes Jahr einsperren wollte, übergoss sie sich mit einer brennbaren Flüssigkeit. Eine Woche später erlag sie ihren Brandverletzungen. Seitdem spricht die Sportwelt über das traurige Ende ihres Lebens. Als „Blue Girl“ ist sie zu einer tragischen Berühmtheit geworden. Blau sind die Farben von Esteghlal Teheran.
Im Netz macht ein Video vom Training des Großklubs aus der Hauptstadt die Runde. Die Spieler bilden einen Kreis und gedenken der verstorbenen Anhängerin. Mit der Trauer über den Tod der jungen Frau wird das Stadionverbot, das seit der Islamischen Revolution 1979 für Frauen gilt, zu einem bestimmenden Thema im Land.
Masoud Shojaei, der Kapitän der iranischen Männernationalmannschaft, hatte nach dem Sieg seines Teams in der WM-Qualifikation gegen Hongkong von der Selbstentflammung gehört und das Stadionverbot für Frauen als Ergebnis eines „verkommenen und widerlichen Denkens“ bezeichnet.
Er ist der Bruder von Maryam Shojaei, die ihren Kampf für Frauen seit Jahren vom Ausland aus führt. Sie ist kanadische Staatsbürgerin und tourt als Gesicht der Plattform „Open Stadiums“ durch die Welt, um bei Auftritten der iranischen Nationalmannschaft im Ausland Protestplakate in den Stadien zu zeigen. Auch bei der WM 2018 in Russland hat sie das getan. Mehr als zehnmal hat sie sich mit Schreiben an die Fifa gewandt, hat Petitionen mit mehr als 200.000 Unterschriften übergeben, wollte, dass die Fifa Druck ausübt, dem iranischen Verband mit dem Ausschluss von internationalen Wettbewerben droht.
Druck von mehreren Seiten
Doch so richtig aggressiv ist der Weltverband nie gegenüber den Iranern aufgetreten. Kleine Erfolge im Kampf für die Zulassung von Frauen in die Stadien wurden gefeiert. Dabei sind bei einem Freundschaftsspiel gegen Bolivien ein paar hundert Frauen ins 100.000 Zuschauer fassende Azadi-Stadion von Teheran gelassen worden. Beim Finale der asiatischen Champions League Ende 2018 wurden ein bisschen mehr als 1.000 Frauen, meist aus dem Umfeld der Spieler und Funktionäre, mit Tickets versehen.
Nun heißt es, die Fifa schicke dieser Tage eine Delegation nach Teheran. In einem Statement fordert der Verband „die iranischen Behörden auf, die Freiheit und Sicherheit aller Frauen zu gewährleisten, die sich an diesem legitimen Kampf zur Beendigung des Stadionverbots für Frauen im Iran beteiligen“.
Der Trip nach Teheran ist indes keine spontane Reaktion auf den Tod des blauen Mädchens. Er war ohnehin geplant. Es sollte geklärt werden, wie der Zugang für Frauen beim anstehenden WM-Qualifikationsspiel gegen Kambodscha geregelt wird. Iran hatte der Fifa schon zugesichert, weibliche Fans zu dem Spiel zuzulassen. Man darf gespannt sein, was die Iraner präsentieren.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Nach dem Tod von Sahar Khodayari wird die Fifa nicht nur von NGOs wie Amnesty International unter Druck gesetzt. Auch die große Fußballprominenz von Paul Pogba bis Hedvig Lindahl bewegt der Fall. Am Ende sollte sich der Weltverband jedenfalls nicht so über den Tisch ziehen lassen wie der Internationale Volleyballverband. Der vergab 2017 ein Nations-League-Turnier an Iran und ließ sich zusichern, dass auch Frauen in die Hallen gelassen würden.
Es seien Tickets für Frauen und Männer im Angebot gewesen, um die Zahl der Frauen beschränken zu können, hieß es. Kaufen konnten Frauen dann keine Karten. Ausverkauft, meldete das Ticketportal. Am Ende waren dann doch nur Männer im Publikum. Es hatte wohl gar keine Frauentickets gegeben.
Wie verlogen der Umgang mit dem Thema im Iran ist, zeigen auch Äußerungen aus dem Umfeld von Staatspräsident Hassan Rohani. Dessen Stabschef Mahmoud Vaezi meinte, wenn sich das Publikum angemessen verhalte, dann könne man auch Frauen ins Stadion lassen. Angeblich ist das Sportministerium in Verhandlungen mit Fanorganisationen, um zu erreichen, dass Hassgesänge und jegliche Gewalt aus den Kurven verschwinden. Ob das beim Volleyball auch das Problem war?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“