Staatssekretär über Hilfe für arme Länder: „Wir haben uns alle verschätzt“
Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth hat einen brisanten Bericht erstellt. Dort erklärt er, warum Industrieländer zu wenig Klimahilfen auftreiben.
taz: Herr Flasbarth, Ihr Bericht zeigt: Die Industrieländer haben die Zusage, ab 2020 mindestens 100 Milliarden Dollar jährlich an Hilfen für die armen Länder zu beschaffen, nicht eingehalten. Wie fühlt es sich an, schwarz auf weiß zu schreiben, dass wir Industrieländer unser Versprechen gebrochen haben?
Jochen Flasbarth: Wir sind in diesem Report nicht die Pressesprecher der Industrieländer. Sondern wir haben uns bemüht, unparteiische Vertreter für den gesamten Prozess zu sein. Wir sollten darstellen, wo wir stehen, wo kurz vor Glasgow noch zusätzliche Finanzmittel herkommen können und wie sich das bis 2025 entwickelt. Das haben wir ganz gut hinbekommen, wir haben zusätzliche Zusagen und wir werden von 2021 bis 2025 im Durchschnitt bei 100 Milliarden Dollar jährlich liegen.
Die Entwicklungsländer werden sagen: Wir können euch nicht vertrauen. Ihr habt 100 Milliarden versprochen und liefert nur 80.
Das könnte passieren, wäre aber nicht ganz in Ordnung. 80 Milliarden sind nicht nichts. Schon Ende 2022 werden wir nah am Ziel sein, danach werden wir die 100 Milliarden übersteigen. In der Gesamtbilanz verstehe ich, dass Entwicklungsländer laut ihren Ärger äußern. Ich würde es aber nicht verstehen, wenn sie das als fundamentalen Vertrauensbruch interpretieren.
Woran lag es, dass die 100 Milliarden nicht erreicht wurden?
Es gibt ja keine klaren Verantwortlichkeiten, wer wie viel zahlen soll. Das macht es nicht einfach. Dann haben wir uns alle verschätzt beim sogenannten Hebelfaktor für privates Kapital …
… dem Anreiz für Privatinvestoren, sich Geld zu leihen, um es zu investieren.
Dieser war schwächer, als wir angenommen haben. Das liegt auch daran, dass wir nur mit einem Teil der öffentlichen Gelder überhaupt private Mittel anziehen können.
Warum wurde das so überschätzt?
Ein Grund dafür ist positiv: Die Erneuerbaren sind so billig geworden, dass sie häufig gar keinen öffentlichen Anschub mehr brauchen. Das sind Geschäftsmodelle, die von selbst funktionieren. Wenn also kein staatliches Geld fließt, zahlt das nicht auf das Versprechen mit den 100 Milliarden ein. Ein anderer Grund sind hohe Hürden bei den Empfängerländern, wenn private Investitionen mit öffentlichem Geld gehebelt werden. Da müssen manche Entwicklungsländer etwa die Rechtssicherheit verbessern.
Sie sagen, das Problem liegt bei den armen Ländern?
Ich will da keine Verantwortung abschieben. Es gibt auch Hürden bei uns. Ich habe zum Beispiel gelernt, dass der Einsatz privater Mittel von Banken oder Unternehmen eigentlich am besten durch staatliche Garantien abgesichert werden könnte. Aber wenn wir nur Garantien geben und die Unternehmen letztlich nicht in Anspruch nehmen, kann man das nicht auf die offizielle Quote für Entwicklungshilfe anrechnen. Aber weil für alle Industriestaaten diese Quote politisch wichtig ist, wird dieses gute Instrument kaum genutzt. Da stellen wir uns selbst ein Bein. Es gibt also keinen Grund, die Schuld bei anderen zu suchen, wir müssen dafür sorgen, dass private Investitionen mit öffentlichen Mitteln besser in Gang kommen.
Kommen die jetzt erreichten 80 Milliarden eher aus privaten oder aus staatlichen Töpfen?
62,9 Milliarden davon sind öffentliches Geld, also etwa drei Viertel, der Rest ist privat.
Wo sollen die zusätzlichen Mittel herkommen? Wo findet man 20 Milliarden?
Die USA haben angekündigt, ihre internationale Klimafinanzierung auf 11,4 Milliarden zu vervierfachen, Italien hat fast verdreifacht. Auch Schweden will seinen Beitrag verdoppeln. Deutschland ist mit 7,8 Milliarden dabei, die öffentliche Finanzierung aus Haushaltsmitteln beläuft sich hierbei auf über 5 Milliarden. Hiervon sind 95 Prozent Zuschüsse. Dann vergeben wir für 2,5 Milliarden Kredite und hebeln mit unserer Klimafinanzierung insgesamt auch nur 192 private Millionen. 2025 werden wir unsere öffentlichen Ausgaben dafür auf 6 Milliarden erhöhen.
Hilfskredite können die armen Länder immer tiefer in die Schulden treiben. Sie müssen sich gegen die Klimakrise absichern, die sie selbst nicht verursachen.
Ja, das ist eine große Ungerechtigkeit. Wir empfehlen in unserem Bericht eine neue Politik: Wir brauchen echte Zuschüsse für die am wenigsten entwickelten Länder. Für viele von denen ergeben Kredite keinen Sinn, weil sie vorher schon so hoch verschuldet sind. Ich will aber Kredite für andere Länder gar nicht schlechtreden. Darüber kann man im Zweifel mehr privates Kapital mobilisieren, und die Bereitschaft bei den Gebern ist natürlich viel höher, wenn sie das Geld zurückbekommen. Und in einem Schwellenland wie Indien braucht man häufig keine Zuschüsse, da reicht die Wirtschaftskraft für Kredite.
Ihr Bericht spart ein explosives Thema aus: Hilfen für Schäden, die bereits jetzt durch den Klimawandel entstehen, genannt „Loss and Damage“. Ist das Thema zu heiß für einen solchen Bericht?
Das Thema ist für die Industriestaaten sehr heikel. Aber jenseits der Frage von juristischer Verantwortung sollten wir uns weiter vorwagen. Wir müssen dieses Problem ernsthaft angehen. Menschen verlieren ihr Hab und Gut im Klimawandel, darauf muss die Weltgemeinschaft Antworten geben. Was wir brauchen ist ein Prozess, der das Thema außerhalb der Klimaverhandlungen anspricht und alle Beteiligten zu Lösungen zusammenführt. Das ist eine übergeordnete Frage, für die bisher weder die Klimarahmenkonvention noch das Pariser Abkommen ausreichen.
Was schlagen Sie vor?
Die Behandlung von Klimaschäden, wie wir sie gerade im Ahrtal erleben und die uns 30 Milliarden Euro kosten, sollte einen eigenen UN-Prozess bekommen. Das könnte einen Anker in der Klimarahmenkonvention haben, geht aber weit darüber hinaus, etwa bei Flüchtlingsströmen und Katastrophenhilfe. Das braucht einen übergeordneten Rahmen, und wir müssen es viel entschlossener angehen.
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