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Personalmangel in Bremer JustizStaatsanwälte müssen sich in Triage üben

Der Bremer Staatsanwaltschaft fehlen Stellen. Das hat Folgen: Wenn Ermittlungen zu lange dauern, kommt es oft nicht mehr zu Verfahren.

Der Bremer Justiz fehlt es an Personal. Vor allem in der Staatsanwaltschaft gibt es nicht ausreichend Stellen für die Arbeit Foto: Michael Reichel/dpa

Bremen taz | Der Bremische Richterbund schlägt Alarm: Die Justizbehörde hat ausgerechnet, wie viele Stellen die Bremer Justiz eigentlich bräuchte. Ob Rich­te­r*in­nen oder Fachangestellte für die Verwaltung: Vom Soll sind alle weit entfernt. Vor allem aber in der Staatsanwaltschaft ist der Mangel gravierend: 97 Vollzeitstellen, so zeigen es die Berechnungen, bräuchte es dort, um mit der täglichen Arbeit hinterherzukommen. Aber nur 66 Stellen (aufgeteilt auf 83 Staatsanwält*innen) gibt es tatsächlich – etwa ein Drittel unter Soll.

Schuld ist nicht der Fachkräftemangel: Ausgeschriebene Stellen werden laut Justizbehörde schnell besetzt. Das Problem ist vielmehr: Es werden nicht ausreichend Stellen eingeplant. Es fehlt an Geld.

Die Justizbehörde bedauert den Zustand. Schließlich sind es ihre eigenen Zahlen, die den Mangel belegen. Man habe den festen Willen, die fehlenden Stellen auszuschreiben – aber das Justizressort habe im Gesamthaushalt des Landes einfach nicht ausreichend Geld zur Verfügung gestellt bekommen. Das Ressort baut so gegenüber den anderen senatorischen Behörden schon einmal Druck auf für die schwierigen Haushaltsverhandlungen für das Jahr 2026 im Herbst.

Dabei ist in den letzten Jahren schon mehr Geld in die Personalausstattung der Bremer Justiz geflossen. Seit 2020 wurden zehn neue Staats­an­wäl­t*in­nen eingestellt. Das Problem: Schon vorher hat die Personalausstattung nicht gereicht; und seit einigen Jahren wächst die Arbeit in der Behörde rasant an: Rund 60.000 Fälle gab es Jahr für Jahr für die Staatsanwaltschaft, relativ gleichbleibend bis 2022, so die Sprecherin des Justizressorts. 2023 kam dann der Sprung auf 72.000 Verfahren. Kein einmaliger Ausreißer: 2024 waren es sogar 78.000 neue Fälle, bei denen Beschuldigte bekannt waren; alle anderen Verfahren werden ohnehin meist eingestellt.

Warum steigen die Fallzahlen?

Das Phänomen der steigenden Fallzahlen gibt es im ganzen Bundesgebiet; auch anderswo kommen die Behörden nicht nach beim Schaffen neuer Stellen.

Erklärungsversuche gibt es: So ist es plausibel, dass die Internetkriminalität zugenommen hat – oder dass dank Netzwerkdurchsuchungsgesetz von 2017 mehr Hasskommentare aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Auch im Sexualstrafrecht gibt es neue, zusätzliche Straftatbestände, die einen Teil des erhöhten Aufkommens erklären könnten. Und vielleicht, so eine weitere Überlegung, hat sich auch das Meldeverhalten in der Bevölkerung verändert.

Was davon entscheidend ist, oder ob es weitere Gründe gibt bleibt aber unklar. Die Ursachenanalyse ist seltsam unausgeleuchtet; es gibt bisher offenbar keine wissenschaftliche Untersuchung, die den Anstieg zufriedenstellend erklären könnte.

Auch bei den gesellschaftlichen Folgen der Überlastung bleiben viele Fragen offen. Auf den ersten Blick ändert sich wenig: Die Bearbeitungsdauer pro Fall bleibt seit Jahren bei durchschnittlich 2,3 Monaten. Was allerdings gewachsen ist, ist die Zahl der Fälle, die zum Zeitpunkt des Jahreswechsels noch nicht zu einem Ende gebracht waren: Silvester 2023 waren es 10.000. Zum Stichtag ein Jahr später ging es um 17.000 Fälle.

Seit einigen Jahren wächst die Arbeit der Staatsanwaltschaft rasant an. 2024 gab es 78.000 neue Fälle

Das widerspricht sich nur auf den ersten Blick: Die unfertigen Fälle konnten schließlich noch nicht in die Bearbeitungsdauer einfließen. Viele schnell zu bearbeitende Fälle werden gleich erledigt, gerade langwierige Verfahren sammeln sich bei den Altfällen. Erst, wenn sie irgendwann abgearbeitet sind, können sie den Bearbeitungsschnitt nach unten drücken.

Manche Fälle fallen erst mal hinten runter

Bei zu wenig Ressourcen, so viel ist klar, müssen bestimmte Fälle nach hinten gestellt werden. Festlegen möchte sich die Staatsanwaltschaft nicht auf Entscheidungskriterien für diese juristische Triage. In der Tendenz aber werden zum einen besonders gravierende Fälle schnell behandelt, zum anderen solche, die unkompliziert und schnell zu bearbeiten sind.

Andere Verfahren wandern dann womöglich nach hinten. Das hat Folgen: Wenn zwischen Straftat und Abschluss der Ermittlungen zu viel Zeit vergangen ist, wird bei leichteren Fällen eine Strafe von den Gerichten nicht mehr als angemessen eingeschätzt. Verfahren werden dann oft gegen Geldauflage eingestellt.

Die schlechteste Prognose gibt es damit für Fälle, die bei normalem Strafverfahren eher ein kleines Strafmaß nach sich ziehen würden und gleichzeitig schwer zu ermitteln sind. Gerade im Bereich der Wirtschaftskriminalität trifft diese Kombination auf viele minder schwere Fälle zu. Öffentliche Zahlen zu Einstellungen in diesem Bereich gibt es aber aktuell noch nicht.

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2 Kommentare

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  • Solange die Zeit für alle "Pimmel" und alle Shampookarikaturen reicht, kann es so schlimm ja noch nicht sein.

  • Ich denke der Artikel "spielt" die Tragweite dessen was hier passiert herunter.

    Warum lässt sich sehr einfach auf den Punkt bringen:

    "Ein Rechtsstaat der nicht mehr der rechtsstaatlichen Strafverfolgung nachkommen kann



    --> der ist auch kein Rechtstaat mehr."

    Es ist möglicherweise noch schlimmer.



    Denn die Frage "welche" Straftaten verfolgt werden und welche Ermittlungen eingestellt werden weil die Resoucen fehlen ist ein "Einfallstor" für politische Willkühr.

    Es sei daran erinenrt das für eine "Du Pimmel" -Beleidiung gegen einen 'Poltiker große Aufwände samt Hausduchsuchung vorgenommen worden.

    Bei Normalbürgern dagegen wird vieles an Verfahren "schnell" eingestellt oder verschleppt.



    Vor 1,5 Jahren habe ich Strafanzeige und Strafantrag wegen einer Nötigung gestellt -- die im übrigen um die ca. 3000,-€ Schaden hervorgerufen hat --.



    Bis heute keine Rückmeldung ausser der Eingangsbestätiung der Anzeige.

    P.S.: Vorschlag:

    Wenn die Resourcen nicht reichen:



    --> Dann doch bitte "Pipifax-Delikte" die kleine Ladendiebstäle, Schwarzfahren und die sogenante "Hass-Rede" zu Ordnungswidrigkeiten runterstufen.