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Staatliche DrogenpolitikGegen die Verdrängung

Zu viel Repression, zu wenig Hilfe: Bremer So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen kritisieren am Gedenktag für Drogengebrauchende den staatlichen Kurs.

Bremer Ak­ti­vis­t*in­nen fordern ein Ende der Prohibition und mehr sichere Räume für Drogengebrauchende Foto: Boris Roessler/dpa

HAMBURG taz | „Drogentod ist Staatsversagen“: Das ist das Motto, wenn am Freitag mehrere Einrichtungen und Organisationen in Bremen den Gedenktag für verstorbene Drogengebrauchende begehen. Der erinnert an den 21. Juli 1994: Damals starb im nordrhein-westfälischen Gladbeck der junge Drogengebrauchende Ingo Marten. Seine Mutter setzte sich erfolgreich für eine Gedenkstätte ein und rief mit anderen den Gedenktag ins Leben; seit 1998 gibt es ihn bundesweit.

In Bremen nun organisieren eine Demonstration mit zwei Kundgebungen unter anderem die Organisation JES – das steht für „Junkies, Ehemalige und Substituierte“. Einer davon ist Lenny, der seit 20 Jahren substituiert wird. Mehr als 20 seiner Freun­d*in­nen seien an den Folgen des Konsums gestorben.

Lenny weiß aber auch, wie gefährlich gerade der Verfolgungsdruck sein kann: „Ich brauchte damals jeden Tag 50 D-Mark, um meine Sucht zu befriedigen. Ich musste dann stehlen gehen, einbrechen und so weiter, oder halt auch dealen. Und dann wird man irgendwann erwischt und landet im Knast.“

„Die Mehrheit der Gebraucher sogenannter harter Drogen verstirbt nicht an dem Stoff selbst“, erklärt die JES-Bundesorganisation. Vielmehr seien „Verunreinigungen, Überdosierungen, äußere Umstände des Konsums, staatliche Repression und mangelnde Hilfsangebote“ Gründe dafür, dass Menschen der Sucht nicht entkommen – und „schlimmstenfalls ihr Leben lassen“.

Nicht für alle Gebrauchenden ist Abstinenz das wichtigste Ziel: „Ich lebe jetzt schon seit 30 Jahren mit Drogen und hab das alles überlebt“, sagt Lenny. Wichtige Bedürfnisse seien etwa „der Wunsch nach Obdach, Substitution, niedrigschwelliger medizinischer Versorgung, Krankenversicherung, einem legalen Aufenthaltsstatus, sauberer Kleidung, einem Ort zum Runterkommen“: So steht es in einem Positionspapier der Gruppe „Fix it“. Nichts davon „kann durch das Bremer Drogenhilfesystem ausreichend erfüllt werden“.

Die Demo

Demonstration „Drogentod ist Staatsversagen“: Freitag, 21. 7.,

14 Uhr Sammlung und Kundgebung am Hauptbahnhof

15:15 Uhr Start der gemeinsame Demo zum Ziegenmarkt

16 Uhr Ankunft und Kundgebung am Ziegenmarkt

„Fix it“, das sind So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen aus der Drogenhilfe, die anonym bleiben wollen. Sie kritisieren Prohibition und überhaupt „verfehlte Drogenpolitik“. Sie verurteilen auch die Vertreibung Betroffener etwa vom Bremer Hauptbahnhof: Inwieweit, fragt „Fix it“, reichen „subjektive Gefühle“ als Grund, „eine ganze Personengruppe von einem öffentlichen Ort auszuschließen“?

Die So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen prangern auch an, dass das „Recht auf Rausch“ im öffentlichen Raum sehr ungleich verteilt ist. Dieses werde nämlich nur denen zugestanden, die „noch ein Mindestmaß an gesellschaftlichen Normen erfüllen“, etwa alkoholisierten Fußballfans, oder Volksfest-Besucher*innen. Dabei ergebe für Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in der Drogenszene haben, ihr Konsum „in vielerlei Hinsicht viel Sinn“. Denn „wenn Lebensgeschichten von Gewalterfahrungen und Ausschluss geprägt sind, scheint die Selbstmedikation durch Drogenkonsum sehr logisch“.

Die Armut und Verwahrlosung in der Drogengebrauchende oft leben seien zudem „Problemlagen, die von einer Gesellschaft produziert werden“, die durch ihre kapitalistische Ordnung „Unangepasstheit und psychische Erkrankungen stigmatisiert und ausgrenzt“. 2021 gab es in Bremen 25 Drogentote, 2022 waren es 29. Zuvor waren die Zahlen leicht rückläufig – entgegen dem Bundestrend.

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8 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Während in Deutschland immer noch eine Dämonisierungskampagne gegen Cannabis aus den 70erm aufrecht erhalten wird und eine Pflanze als "Horrordroge" dargestellt wird, Schmerzpatienten (unter anderem wie ich, seit 19 Jahren schon) regelrecht abgezockt und stigmatisiert werden, verteilt man Tilidin wie Smarties schon an Minderjährige, ohne Rückhalt, ohne Nachzudenken.



    (ich bin auch jahrelang durch diese Tilidin-Hölle gegangen, weil man mir das auferlegt hatte).

    Soviel zu "Drogen und Deutschland", während der Hart-Alk in Kinderhände Reichweite an jedem verfrellten Supermarkt steht.

    Deutschland ist an absolut JEDER Ecke völlig desaströs kaputt.

  • Gerade bei der Drogenpolitik zeigt sich, dass medizinische und psychologische Fachleute mit ihren Konzepten zu Konsumräumen einen schweren Stand haben.

    Die politischen Entscheider sind größtenteils fachfremd und man muss den meisten von ihnen jede Qualifikation für das Thema absprechen.

    Folglich ist die Diskussion von Dogmen, Vorurteilen und Populismus geprägt.



    Zum Schaden der Erkranken.

    Bestes Beispiel ist Bernhard Seidenath in Bayern, Jurist, Soldat und medizinisch völlig ahnungslos, der entgegen jeder wissenschaftlicher Erkenntniss an seiner dogmatischen Linie festhält.

  • Korrigiere: "Drogengebrauchende". Köstlich.

  • "Drogenbebrauchende" Köstlich!

  • Und was ist die Lösung?



    Einfach machen lassen? Auf Spielplätzen, Bahnhöfen und in Parks das Dealen und "Gebrauchen" ignorieren?

    Oder Zwangseinweisung in die Entzugsklinik mit anschließender Wohnungsvergabe und Zwang in eine Tätigkeit zur "selbständigen Erwirtschaftung des Lebensunterhaltes"?



    --> „der Wunsch nach Obdach, Substitution, niedrigschwelliger medizinischer Versorgung, Krankenversicherung, einem legalen Aufenthaltsstatus, sauberer Kleidung, einem Ort zum Runterkommen“

    Ich habe auch den Wunsch diesen Menschen zu helfen, aber finde wirklich ein "Weggucken" und "selber machen lassen/substituieren lassen/legalisieren" schwierig.

    Müssen wir als Gesellschaft, nur weil wir den Fehler mit Alkohol begehen, auch alle anderen Drogen legalisieren?

    Es wäre ein Wunsch von mir, wirkliche Lösungsansätze in der taz (mit Vor- und Nachteilen) zu lesen!

    • @Nervensäge:

      Es gibt längst Lösungsansätze.

      Räumlichkeiten in denen Menschen sicher konsumieren können und kostenfrei Spritzen erhalten.

      Da immer jemand vor Ort ist mit Naloxon kann eine Überdosis direkt verhindert werden.

      Vorteile:

      Auch Menschen die drogenabhängig sind sitzen lieber im warmen.

      Weniger Drogentote.

      Konsument*innen könne so niedrigschwellig Hilfsangebote bekommen. Sei es um Clean zu werden oder bei der Reintegration.

      Gehen wir einen Schritt weiter:



      Noch besser wären Tests für sämtliche Drogen.

      Vorteile:

      Bessere Aufklärung.

      Ein Angebot für gelegentliche Konsumentinnen, keine reine "Fixerstuben".

      Noch einen Schritt weiter:

      Kostenfreie/ Kostengünstige staatliche Versorgung von Suchtkranken mit dem Suchtmittel oder Substituten.

      Vorteile:

      Der Schwarzmarkt wird ausgetrocknet.

      Keine Beschaffungskriminalität mehr.

      Die Polizei wird entlastet und kann sich auf wichtigeres konzentrieren.

      Kurz: An die Stelle der Verfolgung tritt in den Fokus den Menschen zu helfen. Bei allen 3 Stufen.

      Nachteil ist bei allen 3 Modellen:



      Kosten. Diese werden jedoch durch den sinkenden Schaden durch Kriminalität, sinkenden Aufwand bei der Polizei und steigende % Rate bei der Reintegration ausgeglichen.

      Es gibt kein Pro und Kontra. Es gibt keine sachlichen Argumente FÜR die aktuelle Drogenpolitik.

      Wie bei den meisten politischen Themen geht es hier nur um Bauchgefühl und Meinung.

      • @sociajizzm:

        Aber was sind "gelegentliche" Konsumenten und warum sollen wir deren Konsum und die eventuelle Sucht unterstützen?

        Wie kann man z.B. Kokain über die staatliche Versorgung sicherstellen? Unterstützt man damit nicht immer Terrorismus und Blutvergießen in Südamerika?

        Das Argument, das damit dem Menschen geholfen wird lasse ich leider nicht gelten. Kurzfristig wird die Sucht vielleicht bedient aber langfristige Verbesserung?

        Es gibt das finnische Modell, welches lange als Vorbild galt, mit freien Wohnungen und Konsumräumen. Aber auch dort scheint sich keine Lösung eingestellt zu haben.



        de.euronews.com/20...e-mit-drogen-makel

    • @Nervensäge:

      "Es wäre ein Wunsch von mir, wirkliche Lösungsansätze in der taz (mit Vor- und Nachteilen) zu lesen!"

      Das geht mir auch so.

      Wobei Sie irgendwie den Tabak vergessen haben, der ja noch mehr Menschen tötet als Alkohol und illegale Drogen zusammen. Merkwürdigerweise fallen Tabak und Alkohol auch bei den "Drogentoten" immer unter den Tisch. Die Zahlen im Artikel sind insofern mit Sicherheit falsch und irreführend: "2021 gab es in Bremen 25 Drogentote, 2022 waren es 29."

      Ich hoffe, Ihr Vorschlag des Zwangs in eine Tätigkeit zur "selbständigen Erwirtschaftung des Lebensunterhaltes" war nicht wirklich ernst gemeint. Erstens haben wir diesen Zwang faktisch bereits, zweitens dürfte er eher eine (gewichtige) Ursache für Selbstvernachlässigung und Suchtkarrieren sein als ein Heilmittel.



      Abgesehen davon ist er ethisch überhaupt nicht vertretbar, ökonomisch unsinnig und nach meiner Lesart mit dem Grundgesetz unvereinbar (Recht auf Leben, Schutz der Würde gelten nicht nur für "Erwerbstätige", sondern für alle Menschen, darüber hinaus Verbot der Zwangsarbeit, Recht auf freie Berufswahl).