Sprintchampion aus Westafrika: Königin der Bahn
Sprinterin Gina Bass ist Gambias größter Sportstar. Sie trainiert im Ausland, weil sie in ihrer Heimat keine geeigneten Bedingungen vorfindet.

W er in Gambia unterwegs ist, kommt um Gina Bass nicht herum. Der offensichtlichste Grund dafür ist, dass sie einen Werbevertrag mit einem Telekommunikationsanbieter hat und Plakate im ganzen Land verkünden: „Schnellste Athletin – schnellstes Internet“. Weniger profan, weil Gina Bass der größte Sportstar des westafrikanischen Küstenstaats ist. Und zwar geschlechterübergreifend. In dieser patriarchalen Gesellschaft, an deren Stränden fast nur Männer Sport treiben, ist die erfolgreichste Athletin eine Frau.
Geboren wurde Gina Bass dabei gar nicht im Land, aber immerhin in Senegal nahe der Grenze, und ist als Kind mit ihrer Familie übergesiedelt. Schon in der Grundschule entwickelt sie Leidenschaft fürs Laufen: „Wenn ich laufe, bin ich immer glücklich.“ Früh wird ihr Talent entdeckt, sie spezialisiert sich auf die Sprintdistanzen 100 und 200 Meter. Ihre Idole: Jamaikas Olympiasiegerin Shelly-Ann Fraser-Pryce sowie Murielle Ahouré-Demps und Marie Josée Ta Lou-Smith von der Elfenbeinküste. Denn daheim fehlen ihr weibliche Vorbilder.
Dass Bass es in die Weltspitze geschafft hat, ist ein kleines Wunder angesichts ihrer Voraussetzungen. „Jeder weiß, dass uns hier in Gambia viele Dinge fehlen“, sagte sie 2022 in einem TV-Interview. „Wir haben im Laufsport nicht mal die Hälfte von dem, was Jamaika hat. Der Wettbewerb mit ihnen hat mich wirklich motiviert, denn ich habe dadurch verstanden, wer ich heute bin. Dafür muss ich bis zum Äußersten gehen.“
Die heute 29-jährige Sprinterin wird zuvorderst gefeiert, weil ihr gelingt, was in dem winzigen Staat kaum jemandem gelang: Erfolg auf der Weltbühne. Als erste Person, die für Gambia antritt, hat sie sich für ein WM-Finale qualifiziert, sie ist die erste gambische Medaillengewinnerin bei den Afrikameisterschaften, holte bislang insgesamt fünf Mal Gold bei den Afrikaspielen und Afrikameisterschaften und war die erste Gambierin, die sich für Olympia qualifizieren konnte. Sie hält zig nationale Rekorde. Auf der ganz großen Bühne, bei bislang drei Olympischen Spielen, gelang es ihr allerdings nie, bis ins Finale vorzustoßen.
Training im Senegal
Das mag auch mit ihrer Lebenssituation zusammenhängen. Viel Respekt erfährt Gina Bass einerseits, weil sie heimatverbunden ist. Ihr bescheidenes Geld investiert sie nicht im Ausland, sondern hat in Gambia für ihre Familie ein Haus gebaut und ein Auto gekauft. Bis heute trainiert sie direkt um die Ecke, im senegalesischen Dakar.
So richtig freiwillig ist das aber nicht. Bass macht keinen Hehl daraus, dass sie am liebsten in die USA übersiedeln würde. „In den USA würde ich mich mit viel besseren Athletinnen messen, das würde mir helfen. Im Senegal bin ich die Schnellste, das hilft mir nicht.“ Doch für die USA fehlten ihr die finanziellen Mittel.
Die Geschichte von Gina Bass ist daher auch eine des ewigen Clinchs mit den heimischen Sportbehörden, denen sie fehlende finanzielle und strukturelle Unterstützung vorwirft. Nach ihren ersten Olympischen Spielen 2016 titulierten internationale Medien Bass als „die arme Olympionikin“ – weil sie nicht mal genug Geld hatte, um in ihrer Heimat den ÖPNV zu nutzen. Dass sich Staat und viele Fans die meiste Zeit des Jahres vor allem für drittklassige Fußballer interessieren, diese Kritik hat Bass nicht exklusiv.
Und so bleibt das Verhältnis von Gina Bass zur eigenen Heimat und ihren Fans gespalten. „Gambia ist echt schwer“, sagte sie 2022 im TV. „Wenn der Wettbewerb läuft, kennt dich jeder. Wenn der Wettbewerb vorbei ist, vergisst dich jeder. Das motiviert wirklich niemanden.“
Vor den Olympischen Spielen in Tokio wünschte sie sich, irgendwann über 200 Meter einen neuen Weltrekord aufzustellen. Aber die Verhältnisse sind wohl nicht auf ihrer Seite. Für die sind schon ihre aktuellen Medaillen ganz groß. Die Queen of the Tracks hat nach eigenen Angaben viele Nachwuchssportler:innen inspiriert. „Ich sehe viel Talent in Gambia. Das Einzige, woran es fehlt, ist Unterstützung. Ohne die wird es nicht viele Gina Bass’ geben.“
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