Sprecherin von RSF über Gesetz in Frankreich: „Risiko einer Selbstzensur“
Frankreich plant ein neues Sicherheitsgesetz. Es beeinträchtigt die malträtierte Pressefreiheit in Frankreich, sagt die Sprecherin von Reporter ohne Grenzen.
taz: Frau Adès-Mével, Reporters sans frontières sagt, die gegenwärtig von den Abgeordneten debattierte Gesetzesvorlage über „globale Sicherheit“, die Filmaufnahmen von Polizisten verbietet, gefährde die Pressefreiheit. Warum?
Pauline Adès-Mével: Der Gesetzestext in seiner jetzigen Form enthält den Artikel 24, der für die Publikation von Bildern, die eine Identifizierung von Polizeibeamten ermöglichen können, strenge Strafen vorsieht: bis 45.000 Euro Buße und ein Jahr Haft! Daran ändert auch der Zusatzantrag nichts, dass für ein solches Verbot oder Strafverfolgung eine „offensichtliche böswillige Absicht“ vorliegen müsse. Wir ersuchen die Abgeordneten der Nationalversammlung eindringlich, bei der Abstimmung am Dienstag diesen Artikel zurückzuweisen.
Was wären die konkreten Auswirkungen für die Medien?
Pauline Adès-Mével, 52, ist Chefredakteurin bei Reporter ohne Grenzen (RSF) in Paris. Sie befasst sich für RSF vor allem mit Angriffen auf die Medienarbeit in Europa. Sie war selber früher Fernsehreporterin bei Thomson-Reuters und Journalistin bei Canal+. Seit 2015 ist sie parallel zu ihren Aufgaben bei RSF Dozentin für Journalismus an der Hochschule für Politische Wissenschaften Sciences Po.
Für eine Verurteilung müsste die Staatsanwaltschaft belegen, dass die Absicht existierte, den gefilmten Polizisten zu „schaden“. Da dies eigentlich kaum von professionellen Journalisten beabsichtigt wird, deren Aufgabe die Information ist, könnte es darum theoretisch sehr selten zu Verurteilungen kommen. Trotzdem hat der Artikel Konsequenzen für die Medientätigkeit: Falls ein Polizist Klage einreicht, würde es der Staatsanwaltschaft freistehen, bei einem Journalisten eine Hausdurchsuchung anzuordnen und seine Äußerungen zu überprüfen. Der Tatbestand, vorsätzlich schaden zu wollen, ist viel zu vage und kann verschieden interpretiert werden.
Strafverfolgungen wären also kaum zu erwarten, aber eine Verunsicherung bei Reportagen?
Die Journalisten haben das Recht, Vorgänge und Polizeiaktionen zu filmen. Es geht nicht an, dass sie dabei eine Festnahme riskieren, weil ein Polizeibeamter sich beklagt, weil die Bilder ihm eventuell schaden könnten. Die Kameraleute können nicht die Hälfte filmen, und bei Direktübertragungen ist es unmöglich, Gesichter (von Polizisten) unkenntlich zu machen. Auch wenn eine Verurteilung unwahrscheinlich ist, würde eine Festnahme die Reportage verunmöglichen. Und das hat eine abschreckende Wirkung für alle: Wenn man befürchtet, wegen gewisser Aufnahmen ein Strafverfahren zu riskieren, könnte darauf aus Vorsicht verzichtet werden. Da wären wir bei einer Form von Selbstzensur!
Was schlägt RSF denn vor?
Natürlich ist es legitim, dass Polizisten fordern, vor Beschimpfungen und Bedrohungen geschützt zu werden. Als Erstes sollte dazu auf übermäßige oder missbräuchliche Gewalt bei Ordnungseinsätzen verzichtet werden, die dann jeweils gefilmt wird. Die Behörden müssen davon ausgehen, dass die Medien da sind, um über das Geschehen zu berichten und nicht, um einen Beamten wegen eines Übergriffs zu gefährden.
Innenminister Gérald Darmanin hat den Journalisten geraten, sich bei Polizeieinsätzen bei den Behörden zu akkreditieren. Schwebt ihm da eine Art „Embedded-Journalismus“ vor?
Er wurde deswegen zu Recht kritisiert. Er hat das zurückgenommen, was aber nicht genügt. Denn eine solche Bewilligungspflicht gibt es schlicht nicht. Das ist zum Glück auch nicht in der Gesetzesvorlage vorgesehen.
Sehen Sie denn die Freiheit der Medien in Frankreich insgesamt gefährdet?
Auf unserer Rangliste der Pressefreiheit hat Frankreich zwei Plätze verloren und befindet sich heute auf dem 34. Rang, das ist nicht glorreich. Vor allem in den letzten zwei Jahren sind mehrfach Journalisten bei Reportagen über Polizeiaktionen bei Demonstrationen der Gelbwesten und gegen die Rentenreform behindert oder festgenommen worden.
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