Sprache und Rassismus: Reden wir endlich über „Räiß“!
Kann man von „Rassenunruhen“ in Ferguson sprechen? Die Ereignisse dort haben offengelegt, wie ungehobelt die deutsche Sprache ist.
![](https://taz.de/picture/94065/14/race_33.jpg)
Wir müssen wieder über Rassen sprechen. Die Ereignisse in Ferguson haben uns das beschert. Waren das Rassenunruhen? Und was sagen sie über Rassenbeziehungen aus? Bei Diskussionen über „race relations“ haben wir nur dieses Wort, besudelt von den Nazis, als hätte es 70 Jahre Nachkriegszeit nicht gegeben. Eine Verständigung darüber, wie wir über Rassismus sprechen wollen, täte gut, denn den gibt es nicht nur in Ferguson, sondern auch in Deutschland. Und um über Rassismus sprechen zu können, müssen wir auch über Rasse sprechen. Oder besser: über race. Räiß.
Das Wort „race“ einfach mit „Rasse“ zu übersetzen geht nicht, denn im Deutschen hat dieses Wort nicht denselben Bedeutungswandel durchlebt. Menschenrassen im Sinne einer zoologischen Taxonomie gibt es nicht, aber Menschen, Institutionen und Staaten behandeln andere Menschen, als gäbe es sie. Darüber müssen wir sprechen können. Auf Englisch tut man das mit „race“, was nichts anderes bedeutet als „willkürlich zusammengestellte Menschengruppen, die behandelt werden, als seien sie eine Rasse“. Es ist eine politische Kategorie.
Dieses Vokabular brauchen wir auch auf Deutsch, denn race wird auch hier tagtäglich verhandelt. Wenn die NPD den Slogan „Deutsche helfen Deutschen“ verwendet, meint sie damit selbstverständlich nur weiße Deutsche – wenn die taz ironisierend dazu titelt „Bratwurst nur für Deutsche“, übernimmt sie diese Gleichsetzung von weiß und deutsch. Wenn Unionspolitiker von „Deutschenfeindlichkeit“ faseln, ist das Täter-Opfer-Schema unausgesprochen deutlich: nichtweiße deutsche Jugendliche mobben weiße deutsche Jugendliche. „Deutsch“ ist „weiß“.
Diese Gleichsetzung hat ihre Weiterführung im Scheingegensatz „deutsch/Migrant“, mit dem JournalistInnen verkrampft versuchen, über race zu sprechen. Nur in den seltensten Fällen geht es wirklich um Migration; meist sind es nur schlecht formulierte Stellvertreter für „Weiße“ und „Nichtweiße“.
Wenn taz-Chefredakteurin Ines Pohl eine Migrantenquote fordert, sind damit auch weiße Deutsche mit einem österreichischen Elternteil gemeint? Vermutlich nicht. Absurd wird es, wenn Spiegel Online unseren Krampf wieder in die USA exportiert und in einem Bericht über weiße Kinder in US-Schulen diese als „Kinder ohne Migrationshintergrund“ beschreibt.
Pauschalisierungen sind überall
Die Angst vor den Nazis und ihrer Wortwahl hat uns unfähig gemacht, über Probleme zu sprechen, die weitaus aktueller sind. Wir müssen darüber sprechen können, welche Privilegien weiße Deutsche haben und welchen Anfeindungen Afrodeutsche ausgesetzt sind. Wir müssen darüber sprechen, dass Türkischdeutsche und Arabischdeutsche oft in eine Gruppe rassifiziert werden, ihnen trotz aller Vielfalt pauschal zugeschrieben wird, MuslimInnen zu sein und – im ausgedachten Gegensatz etwa zu Vietnamesischdeutschen – unterstellt wird, „schlecht integriert“ zu sein.
Rassistische Pauschalisierungen sind überall. Die Diskussion täte auch dem Deutschsein gut, denn „deutsch“ als rassistische Kategorie ist mindestens so alt wie der Slogan „Deutsche, kauft nicht bei Juden“.
Dass die Nazis das Wort „Rasse“ besetzt haben, muss kein Hindernis sein. Wir schaffen es über Sterbehilfe – im Englischen „euthanasia“ – zu sprechen, ohne das Nazi-Wort „Euthanasie“ zu verwenden. Wir sprechen über Abschiebungen – auf Englisch „deportations“ – ohne gleich an den Holocaust zu erinnern.
Wir können auch über race sprechen, oder wie wir es zuletzt am Rande einer Sitzung eindeutschten: über Räiß. Angesichts der Mühe, die wir uns sonst geben, einfach alles falsch zu machen, ist das vielleicht nicht die schlechteste Übersetzung.
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