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Sprache und LebensrealitätFeministin nur mit Genderdiplom?

Wie weiter? Mit ein bisschen mehr Gelassenheit. Statt sich gegenseitig auf die Nerven zu gehen, sollten sich Frauen zusammentun und solidarisch sein.

Der Unterschied macht's: Frauen sollten sich untereinander solidarisieren Foto: Xuehka

Dit nervt: Ick bin und bleibe Sänger.“ Sagt eine meiner Freundinnen, eine bekannte Musikerin und eine der stärksten Frauen, die ich kenne: sozial und gerecht bis in die Fußnägel, offen im Alltag für jede und jeden und alles. Zunächst ernährte sie zwei Kinder und einen Mann, später brachte sie ihre Kinder und sich als Alleinerziehende durch. Sie muss sich gegen Männer auf der Bühne durchsetzen und knallharte Honorarverhandlungen führen. Sie weiß, was es heißt, benachteiligt zu sein und sich jeden Morgen fit zu machen für die Herausforderungen in einer Männerdomäne.

Trotzdem bleibt sie beinhart beim generischen Maskulinum, der sie als Frau – zumindest sprachlich – ausschließt. Sie hasst dieses ganze Gescharre um Political Correctness: all die Binnen-Is, Unterstriche und Sternchen, Unisex-Toiletten, Gleichstellungsbeauftragten und Quoten. „Brauch ich alles nicht, mein Leben als Frau wird nicht besser, wenn es das alles gibt“, sagt sie.

In dieser Freundin vereint sich das Desaster der aktuellen Feminismusdebatten und der gegenwärtigen Frauenbewegung: Ist nur eine „echte Feministin“, wer Sänger*innen sagt und schreibt? Wer queer ist und nicht einfach „nur“ lesbisch oder schwul? Wer vegan oder wenigstens vegetarisch isst?

Oder darf sich auch eine als Feministin sehen, die mit den universitären Diskursen nichts anfangen kann, aber nach allen feministischen Regeln lebt? Die ihre Kinder ohne Geschlechterklischees erzieht, bei Aldi den Chef der Filiale anranzt, weil der eine Verkäuferin angeranzt hat, weil die nicht schnell genug abkassiert hat? Und die gleich mal nachfragt, ob die Frauen an der Kasse genauso viel verdienen wie der Mann, der draußen die Einkaufswagen zusammenschiebt?

Sein bestimmt das Bewusstsein

Es ist eine alte Kluft, die Frauen offenbar nicht schließen können: Statt sich zusammenzutun und miteinander solidarisch zu sein, gehen sie sich gegenseitig an (und auf die Nerven), weil die einen angeblich nicht politisch korrekt sprechen und die anderen angeblich nicht richtig leben. Weil Letztere – wegen der Kinder und der Familie – Teilzeit oder gar nicht arbeiten, obwohl sie durch ihr Studium und ihre feministischen Mütter doch wissen, dass das ein wirtschaftliches und persönliches Risiko ist und außerdem schlecht für die Rente.

Frauen*taz

Rechtspopulisten wollen uns einheitlich und schwach: als deutsche, heterosexuelle Frau und Mutter. Wir halten dagegen: Wir sind People of Color, muslimisch, migrantisch. Wir sind hetero, queer, divers. Wir sind viele. Und wir sind stark.

Lesen Sie am 8. März 11 Sonderseiten der taz zum Internationalen Frauen*tag. Mit Texten u.a. von und mit: Christa Wichterich, Hengameh Yaghoobifarah, Amina Yousaf, Judy Gummich.

Es ist ein dialektisches Problem: Kog­ni­tions­forscher*innen haben herausgefunden, dass das, was in der Sprache nicht vorkommt, auch nicht gedacht und damit auch nicht gelebt wird. Wer als Kind immer nur von Trompetern, Fußballern und Taxifahrern hört, denkt irgendwann, dass nur Männer musizieren, Fußball spielen und Auto fahren können. Die oder der kommt dann nie auf die Idee, dass Frauen und Männer das Gleiche können und dafür gleich bezahlt werden müssen. Und Väter ebenso gut für ihre Kinder sorgen können wie Mütter.

Andererseits bestimmt das Sein das Bewusstsein. Wenn eine selbstbestimmt lebt und das macht, was sie für richtig hält, eine in jeder Hinsicht emanzipierte Frau ist, braucht sie vielleicht tatsächlich keine gegenderte Sprache. Weil sie längst weiß, worum es geht. Und dafür weder einen Sprachkurs noch ein Genderdiplom braucht.

Social Bot zum Weltfrauentag

Zum Weltfrauentag bekommen wir virtuelle Unterstützung – von einem Social Bot. Wir haben ein Programm geschrieben, das die Frauenbewegung auf Twitter unterstützen soll. Ein Social Bot, der feministische Fakten verbreitet und frauenfeindliche User zurechtweist. Meet @JudithBotler.

Was ist nun richtig, durchdacht und lebensnah? Sagen wir mal so: Wenn wir uns alle zurücklehnen und genau überlegen, was Diversity für uns persönlich heißt, nämlich auch andere Äußerungen und Haltungen ernst zu nehmen, dann wären wir um einiges entspannter. Ob mit Sternchen oder ohne.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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10 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Sehr geehrte Frau Schmollack,

    sie habe da etwas verwechselt:

    "Kognitionsforscher*innen haben herausgefunden, dass das, was in der Sprache nicht vorkommt, auch nicht gedacht und damit auch nicht gelebt wird."

    Nö, es heißt: Quod non est in actis, non est in mundo  - Was nicht in den Akten ist, ist nicht in der Welt.

     

    2. Könnten Sie bitte mal Links auf die Forschungsergebnisse der Kognitionsforscher*innen veröffentlichen?

    Denn wer behauptet muss auch beweisen.

  • Mehr Pluralismus wagen und der Sprache ihre angemessene Wichtigkeit zu lassen ist ein guter Ansatz. Wenn Sprache tatsächlich der wichtigste feministische Belang wäre, so wäre dies der Offenbarungseid des Feminismus: Alles wesentliche erreicht, nur noch weniger wichtige Punkte übrig.

  • "Es ist eine alte Kluft, die Frauen offenbar nicht schließen können[...]Es ist ein dialektisches Problem."

    Leider falsch, es ist ein identitärer bzw sozialer Konflikt. Wenn ich mich als emanzipierte und engagierte Mutter positionieren will, brauche ich doch eine Gruppe zu der ich mich abgrenzen kann.

    Da eignen sich konservative, erflogreiche Frauen deutlich weniger, haben sie doch was erreicht, als alleinerziehende Hartz-Muttis, welche ihre Familie quasi als Matriarchin führen. Die sind nämlich meißtens nicht zugegen, wenn über sie gesprochen wird. Außerdem schreit einen die generelle Abscheu gegen das sexistisch-besoffene, afd wählende Prekariat grade zu an, wenn man "intellektuelle" Magazine nur aufschlägt.

    Ich, als Unterschichtmacker, muss hier mal klarstellen: Sprachhygiene ist ein totalitäres Konzept!

    Und wer eh kaum was verdient, kann auch mal Hausmann sein :D

    Wir Armen und Ungebildeten sind das revolutionäre Potenzial und ihr schnöseligen Bessermenschen seid der Status Quo!

    Achso: Cis-Menschen sind psychisch krank. Sie empfinden sich als "normal". Wenn das keine narzistische Neigung ist... und sie beschränken ihre Persönlichkeit auf Eigenschaften, welche dem jeweiligen Geschlecht zugeordnet sind. Das macht vorallem Männern zu schaffen.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    "Wer als Kind immer nur von Trompetern, Fußballern und Taxifahrern hört, denkt irgendwann, dass nur Männer musizieren, Fußball spielen und Auto fahren können."

     

    Achjott achjott, was tun mir all die Englischsprecher dieser Welt so leid.

  • Seit wann hat denn das grammatische Geschlecht etwas mit dem wirklichen Geschlecht zu tun ? Der Mond-die Sonne; im Französischen ist es genau andersherum: il soleil-la lune. Ich (als Mann) empfinde überhaupt keine Diskriminierungsgefühle, wenn man mich mit "die" Geschäftsleitung weiblich betitelt oder wenn es heißt, ich wäre "die" Fachkraft für diesundjenes. Und egal wie viele männliche Männer man nimmt, es heißt im Plural immer "die" Männer. Der Plural macht aus allen Männern in der Mehrzahl etwas mit weiblichem Artikel. Hat sich jemals ein Mann darüber aufgeregt, sich herabgesetzt oder benachteiligt gefühlt ? Dieses Gefühl der Diskriminierung ist –sorry, liebe Damen- rein subjektiv. Die Frage müßte doch eher lauten, wie es zu solchen auffallenden Gefühlen kommt. Daß wir hierzulande zuwenig Gentlemen haben, den Damen generell zuwenig Aufmerksamkeit gewidmet wird, muß allerdings zugegeben werden. Aber ob die Damen sich wirklich besserfühlen, wenn man sie mit Binnen-I oder irgendwelchen unsprechbaren x- oder xs-Formen anspricht, halte ich für fraglich. So ein Sprachgebrauch klingt doch in Wirklichkeit total lächerlich. Und wenn man sich vorstellt, in einer öffentlichen Ansprache würden alle diesen komisch klingenden Verdrehungen und künstlichen Formen tatsächlich benutzt werden, hätte ich die Erwartung, daß das Publikum –ein Effekt, wie bei des Kaisers neuen Kleider- urplötzlich losprustet und alles der totalen Lächerlichkeit preisgibt. Nein, diese -sorry- theoretische Sprachpanscherei ist etwas für den wissenschaftlichen Elfenbeinturm. Da kann sie von mir aus auch bleiben.

  • Feminismus sollte eine soziale Bewegung und Grundeinstellung in der Bewegungsfamilie der Neuen Linken sein. Seit den 1960ern wurden soziale Kämpfe ( LGBTI, AntiAkw, Postkolonialismus, Frauenbewegung, Arbeiter*innenbewegung etc. etc.) zusammengedacht, die selbstgemachte Zersplitterung und Entsolidarisierung ist ein Rückschritt hinter diese Zeit. Feminismus sollte sich als Ideologiekritik an Klasse orientieren und nicht rerassifizierte Identitätspolitik bedeuten. Die Bewegung liegt am Boden.

  • Schön wär’s, wenn wir alle miteinander "um einiges entspannter" wären. Ich fürchte nur, Simone Schmollacks Wunsch wird sich nicht all zu rasch erfüllen. Wir Menschen haben nämlich unsre Eigenheiten.

     

    Ich kann die Freundin gut verstehen. Ihr "Dit nervt!" ist Ausdruck ihrer Überforderung. Mit Musik zwei Kinder und einen Mann zu ernähren, ist in einem Land, in dem die Leute eher auf Autos abfahren, nicht immer leicht. Und in einer Männerdomäne zu bestehen, wenn man alleinerziehend ist, ist auch nicht grade einfach in einer konkurrenzbasierten Welt. So etwas kostet sehr viel Kraft. Kraft, die mensch manchmal einfach nicht verfügbar machen kann. Dann kommt der Stress. Und Stress ist eine starke Emotion. Eine, die "Schluss jetzt!" brüllt, weil sie sich um unsre Gesundheit sorgt.

     

    Das Argument der Kognitionsforscher*innen, "dass das, was in der Sprache nicht vorkommt, auch nicht gedacht und damit auch nicht gelebt wird", ist eher eins, das den Verstand anspricht, und zwar vergleichsweise leise. Wer grade angebrüllt wird von seinen Emotionen, kann diese leise Ansprache schlecht wahrnehmen. Wenn aber eine*r mit dem Megaphon versucht, dem Argument mehr Druck zu geben, dann macht er damit auch nur Stress. "Schluss jetzt!" ist schließlich eine klare Ansage. Sie meint "Schluss jetzt!" und nicht: "Einer geht sicher noch!"

     

    Wer sich grade erst auf Anweisung seines Gefühlshaushaltes von der Dominanz der Männer (halbwegs) freigemacht hat, der zeigt mitunter wenig Neigung, sich anschließend nahtlos von Frauen dominieren zu lassen. Frauen, finde ich, sollten das beachten, wenn sie Mitstreiterinnen gewinnen wollen. Sie kommen an der Natur des Menschen einfach genau so wenig vorbei, wie Männer. Wer’s gern entspannter haben will, muss anpacken und Stress reduzieren, nicht mehr Stress machen. Sonst fragen die Betroffefen: "Andre Probleme hast du nicht?!“ Und gehen ihre eignen Wege, mit Sternchen oder ohne.

  • In Gottes Herde ist Platz für jedes Schäfchen. Das kann doch bei den Feministinnen auch so sein.

     

    Warum ist die Frau vom Eingangsbeispiel eigentlich "benachteiligt"? Ich finde, es sollte nicht so leichtfertig mit diesen Zuschreibungen umgegangen werden ... es genügt doch schon lange nicht mehr nur Frau zu sein, um benachteiligt zu werden. Das können wir am Frauentag doch ruhig mal hervorheben. Diese Defizit-Haltung macht böse ...

  • "Kognitionsforscher*innen haben herausgefunden, dass das, was in der Sprache nicht vorkommt, auch nicht gedacht und damit auch nicht gelebt wird"

     

    Achso, das ist ja praktisch! Dann schaffen wir einfach Wörter wie "Völkermord" oder "Diskriminierung" ab und zack! Schon gibt's das alles nicht mehr!

     

    Aber mal im ernst: Guter und wichtiger Artikel. Auch wenn es mir als Mann nur halb so weh tut, wenn der Feminismus nicht so recht voran kommt: Etwas mehr Gelassenheit und Betonung der Gemeinsamkeiten statt ständiger Selbstzerfleischungen würde die Schlagkraft deutlich erhöhen!

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @Yoven:

      Diese Forscher würde ich gerne mal kennenlernen. Wie wollen sie denn wissen, dass etwas nicht gedacht wird, wenn es in der Sprache nicht genannt ist? Dazu müssen sie es ja erst mal benennen, aber das können sie ja nicht, weil es ja nicht gedacht wird...

       

      Die Innuit, habe ich mir mal sagen lassen, benennen x Sorten Schnee oder weiß, weil es für sie wichtig ist. Wenn es für uns wichtig wäre, würden wir auch die rechten Wörter finden. Ist es dies nicht, nützen auch künstliche Wörter nicht, um Wichtigkeit zu evozieren.