Sportwettenverbot für Hartz-IV-Empfänger: Perfekte PR-Aktion eines Betreibers
Kalkulierte Aufregung: Was hinter dem Sportwettenverbot für Hartz-IV-Empfänger steckt und welche Rolle Nordrhein-Westfalen dabei spielt.
FREIBURG taz | Ganz Deutschland schüttelte den Kopf über die vermeintlich skurrile Entscheidung des Kölner Landgerichts, Hartz-IV-Empfänger in Nordrhein-Westfalen dürfen keine staatlichen Sportwetten ("Oddset") mehr abschließen, so die einstweilige Verfügung, die der private Wettanbieter Tipico gegen die staatliche Gesellschaft Westlotto erwirkt hatte.
In NRW fragten sich nun die Betreiber von Lotto-Annahmestellen, wie sie mit dem Beschluss umgehen sollen. "Man sieht den Menschen doch nicht an, ob sie Hartz IV empfangen", sagte ein Betreiber in Düsseldorf.
Tipico hat diese Aufregung gewollt. "Da sieht man doch, wie absurd die sogenannten Schutzvorschriften im Glücksspiel-Staatsvertrag sind", sagte der Anwalt von Tipico. "Das Personal der Annahmestellen kann Zigaretten und Zeitungen verkaufen, ist aber völlig überfordert, wenn es spielsuchtgefährdete Personen erkennen soll."
Laut Glücksspiel-Staatsvertrag von 2007 müssen Annahmestellen bestimmte Kundenkreise sperren, wenn sie vom Personal erkannt oder von anderen Personen gemeldet werden. Konkret geht es um Menschen, die "spielsuchtgefährdet oder überschuldet sind, ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen oder Spieleinsätze riskieren, die in keinem Verhältnis zu ihrem Einkommen oder Vermögen stehen". Mit Hilfe von Testkäufern hatte Tipico beim Landgericht in rund zehn Fällen nachgewiesen, dass die Pflichten verletzt wurden.
Für Wirbel sorgte die Verfügung vor allem deshalb, weil das Gericht - auf Antrag von Tipico - die Liste der zu sperrenden Personen noch um den Zusatz "insbesondere Hartz-IV-Empfänger" ergänzte. So als ob Hartz-IV-Bezieher mit jeder Sportwette gleich ihre Existenz gefährden. Dass Tipico seinen Coup gerade in Nordrhein-Westfalen landete, ist auch kein Zufall.
"Westlotto geht zum Schutz seines Monopols auch massiv gegen uns vor. Jetzt haben wir zurückgeschlagen", so der Anwalt. Bis zum Fall des staatlichen Monopols werde es noch "hunderte" weitere Klagen von privaten Anbietern und deren Verbänden geben. Derzeit verhandeln die Ministerpräsidenten über eine Öffnung des Staatsmonopols bei Sportwetten. Es sollen aber nur einzelne private Anbieter eine Konzession erhalten.
Leser*innenkommentare
Peter Adam
Gast
Wie weit ist es in diesem Land gekommen?
Wann wird denn eine Kennzeichnungspflicht für das "Prekariat", insbesondere für die Empfänger staatlicher Transferleistungen beschlossen?
Die Lobhudelei von wegen perfekter PR-Kampagne ist schlicht unerträglich, denn in meinen Augen ist das eine Art Beifall zur Diskriminierung der sozial Schwachen. Von einem linksorientierten Blatt hätte Ich anderes erwartet, aber vielleicht ist die Hetze in diesem Land gegen Leute wie mich (Hartz4-Empfänger) noch nicht zur Perfektion gelangt.
Offenbar braucht diese Nation immer einen Sündenbock auf dem sie rumhacken kann, damit der Rest der Gutmenschen, diejenigen mit "sicherem" Einkommen sich besser fühlen kann.
Meiner Meinung nach befinden wir uns auf dem Weg in eine neofeudale, wirtschaftsfaschistische Gesellschaftsordnung. Was soll´s??
Hauptsache Ich hab Sonntags meinen Braten auf dem Tisch, meinen kleinen Garten hinterm Haus, und nach mir die Sintflut.
AlterKnacker
Gast
Sie müssen, ob sie wohl wollen oder nicht, kenntlich gemacht werden, wenn es nach einem Urteil eines deutschen Gerichts gehen soll. Ist halt nur die Frage, WIE?
http://freies-in-wort-und-schrift.info/2011/03/10/kennzeichnung-fr-hartz-iv-empfnger/
Bodo Löffler
Gast
Vielen Dank,
dass sie den Namen des Wettanbieters so oft erwähnen...
Mit freundlichen Grüßen
Bodo Löffler
Offenburg