Sportler protestieren in Belarus: „Wir sind Teil des Volkes“
Beachtlich viele belarussischen Sportler und Sportlerinnen gehen auf Distanz zu Präsident Lukaschenko – trotz Entlassungen und Stopp für Stipendien.
Dass die Proteste gegen das Lukaschenko-Regime alle zivilen Bereiche erfasst haben, demonstrierte am Montagabend das Fußballpokalfinale der Frauen im Minsker Dynamo-Stadion. Wundersamerweise waren für das Spiel überhaupt Zuschauer zugelassen. Es kamen zwar nur 500, aber die hatten – obwohl draußen schon die Gefangenentransporter warteten – keine Angst, ein endloses und ungestörtes „Uchodi!“ (Hau ab!) in das Rund zu schicken. Gemeint ist natürlich Präsident Lukaschenko, dessen aktuelle Amtszeit Mitte September endet und der nach den gefälschten Wahlen offenbar kein Mandat für eine weitere hat.
Dabei war dasselbe Stadion vor etwas über einem Jahr noch Schauplatz der Eröffnungsfeier der zweiten Eurogames, einer aufwändig gestalteten Zeremonie mit stolzen Sportlern und einem sicher im Sattel sitzenden Präsidenten. Wie schnell sich der Wind doch drehen kann. Denn ein nicht unerheblicher Teil der Sportler hat sein Band mit dem um sich schlagenden Präsidenten und seiner Prügelgarde aufgelöst und fordert nun ganz unverblümt dessen Rücktritt und sofortige Neuwahlen. Nicht wenige drohen damit, unter einem Präsidenten Lukaschenko bei nationalen und internationalen Wettkämpfen nicht mehr für ihr Land anzutreten.
Das erste unüberhörbare Zeichen sendeten die Unterzeichner eines offenen Briefes, der nur wenige Tage nach den Wahlen in der Sportzeitung Pressbol erschienen war. Darin verurteilen 350 Aktive, Trainer, leitende Verbandsangestellte, Funktionäre und Sportjournalisten die Fälschung der Wahlergebnisse sowie die grobe Gewalt durch die Sicherheitskräfte. Gefordert wurden Neuwahlen sowie Freilassung und Rehabilitierung aller inhaftierten Demonstranten und politischen Gefangenen.
Unter den Unterzeichnern fanden sich auch zahlreiche Olympiasieger, Welt- und Europameister, etwa Andrei Krauchanka, olympischer Silbermedaillengewinner im Zehnkampf in Peking 2008, die Europameisterin im Hürdenlauf, Elwira Herman, Maryna Arsamassawa, Welt- und Europameisterin im 800-Meter-Lauf, Marathon- Europameisterin Wolha Masuronak,, die Weltmeisterin und zweifache Vize-Olympiasiegerin im Schwimmen, Aljaksandra Herassimenja, sowie Hanna Huskowa, Freestyle-Olympiasiegerin 2018 in Pyeongchang, auf die man in Belarus ganz besonders stolz gewesen ist und deren Bild sogar eine Briefmarke schmückt.
Bis zu zwanzig Entlassungen
Der Brief war mit dem Zusatz versehen, dass im Falle von Bedrohungen, Entlassungen oder gar Inhaftierungen alle Unterzeichner solidarisch agieren würden, bis zur möglichen Weigerung, für die Nationalmannschaft anzutreten oder internationale und nationale Sportveranstaltungen zu organisieren. Trotzdem, so berichteten es nur wenig später zahllose Athleten, seien Unterzeichner von Mitarbeitern des Sportministeriums und der Sicherheitsbehörden unter Druck gesetzt worden, ihre Unterschrift zurückzuziehen. Es hätte außerdem bis zu 20 Entlassungen und Suspendierungen sowie zahlreiche Einfrierungen von Sportstipendien gegeben.
Andrei Krauchanka, Zehnkämpfer
Betroffen ist beispielsweise Zehnkampf-Vize-Olympiasieger und Sportpolizist Andrei Krauchanka, der aus seinem Dienst beim KGB entlassen wurde. „Ich habe 13 Medaillen bei großen internationalen Wettkämpfen für mein Land errungen und damit einen nicht ganz unwichtigen Beitrag für den Sport in Belarus geleistet“, so der 34-Jährige. Das sei nun mit einem kühlen Abschied beendet worden. „Dabei habe ich nur meine Bürgerrechte wahrgenommen. Aber die Wahlen haben mir gezeigt, wie gut die Menschen in Belarus sind. Eine solche Nation ist wunderschön, intelligent, talentiert, friedlich und geduldig. Belarus ist ein kleines Land, zeigt der Welt aber gerade sein mutiges Herz.“
Beeindruckende Demo
Und dafür stehen in einem so sportbegeisterten Land eben auch die Athleten. Im langen und beeindruckenden Demonstrationszug am Sonntag entlang des Prospekts des Sieges raus zum Präsidentenpalast Lukaschenkos marschierten hinter einem großen Banner mit der Aufschrift, „Sportler mit dem Volk“ Männer und Frauen aller denkbaren Disziplinen. Nicht zu übersehen die Basketballerin Elena Levchenko, die vor einigen Jahren zu den besten fünf Spielerinnen Europas zählte, oder Stsiapan Papou, Welt- und Europameister in der Kampfsportart Sambo.
Papou hatte vor einem Jahr Schlagzeilen gemacht, als er bei den Europaspielen im Finale seinen Konkurrenten auf den Schultern von der Matte trug, nachdem er ihn so schwer verletzt hatte, dass der sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Im Zug auch der 2,05 Meter große Jahor Mescarakau, der stellvertretender Verbandspräsident im Basketball ist und erklärte: „Es ist an der Zeit zu zeigen, dass wir nicht unserer Würde beraubt wurden, dass wir stolz sind und mit den Menschen zusammen sind. Wir sind Teil dieses Volkes!“
„Gewohnt, bis zum Ende zu kämpfen“
Und dazu scheinen auch immer mehr Funktionäre der alten Nomenklatura des Lukaschenko-Regimes zu widersprechen. Höhepunkt war ein Interview mit dem ehemaligen Generalsekretär des Nationalen Olympischen Komitees in Belarus, Anatoly Kotau. Darin erklärte der einstige Spitzenfunktionär: „Die Sportler drücken ihre Position in erster Linie nicht in Bezug auf Loyalität oder Untreue gegenüber den Behörden aus. Die Athleten weisen vielmehr auf alles Missmanagement und die Verfehlungen der vergangenen sechs Monate hin. Und dabei in allererster Linie auf die nicht hinnehmbare Gewalt. Unter diesem Gesichtspunkt bin ich froh, dass es mehr als 300 Unterzeichner gab, die keine Angst hatten, ihre wichtigen Stipendien und die eigene Karriere zu riskieren, und ihre Haltung zum Ausdruck brachten, dass die Methoden aus der Mitte des 20. Jahrhunderts im 21. Jahrhundert inakzeptabel sind.“
Auf die Frage, ob er denke, dass die Athleten den Weg bis zu Neuwahlen und dem Rücktritt von Alexander Lukaschenko zu Ende gehen, antwortete Kotau: „Ich hoffe, dass Sportler, die es gewohnt sind, bis zum Ende zu kämpfen, auch in dieser Sache in der Mehrheit den Willen zum Sieg zeigen.“
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