Sport als Propagandavehikel in Russland: Politische Schachzüge
Großmeister Sergei Karjakin ist ein wichtiger Propagandist für die russische Kriegserzählung. Dabei setzt er immer auch seine Biografie ein.

D ie letzten großen Shows sind gelaufen. Die verschiedenen Trainerschulen der russischen Eiskunstlaufszene durften noch einmal zeigen, zu welchen Leistungen ihre Zöglinge imstande sind. Natürlich hüpften auch die Schülerinnen der bei den Olympischen Spielen von Peking so erfolgreichen wie angefeindeten Trainerin Eteri Tutberdidse über die Eisflächen – auch Kamlia Walijewa, das 15-jährige Mädchen, in dessen Dopingprobe man ein verbotenes Herzmittel gefunden hatte, das dennoch im olympischen Einzelwettbewerb starten durfte, um dann dort fast nichts von dem, was sie kann, zeigen zu können. Der Druck der Weltöffentlichkeit, der das Supertalent kritisch, wohlwollend oder mitleidig beäugte, war wohl zu groß für Walijewa.
Ihr Fall ist immer noch Thema in Russland. Die offizielle Bewertung des Falls ist auch eindeutig. Der Westen ist schuld am Schicksal „unseres Mädchens“, wie es so oft heißt in der Sportberichterstattung. Weil man den Russen die Goldmedaille im olympischen Teamwettbewerb, bei dem Walijewa noch nicht von Dopingvorwürfen belastet einen glanzvollen Auftritt hingelegt hatte, nicht gönne, habe man alles getan, um einem unschuldigen Mädchen einen Dopingfall anzuhängen, so die gängige These.
Das hört sich dann so an: „Es ist schade, dass europäische und amerikanische Funktionäre den Sport als Sprungbrett für ihre politischen Ambitionen nutzen, anstatt den Sport zu einem Ort zu machen, an dem alles in einem fairen Wettbewerb entschieden wird.“ Der russische Schachgroßmeister Sergei Karjakin hat das am vergangenen Wochenende zur Causa Walijewa gesagt. Als er das sagte, trug er einen Kapuzenpulli mit einem Aufdruck, der den sonnenbebrillten russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin zeigt.
So stellt sich Karjakin, der 2016 gegen den norwegischen Dominator Magnus Carlsen um die Krone im Weltschach gespielt hat, die Trennung von Sport und Politik vor. Ähnlich unpolitisch findet er gewiss auch seinen Auftritt im Zentralen Haus des Schachspielers in Moskau am Wochenende.
Kind des Donbass
Dort spielte er mit Kindern aus dem Donbass Schach, verteilte Autogramme und ließ sich mit den Kleinen aus dem ukrainischen Kriegsgebiet ablichten. In russischen Medien wird diese Geschichte gerne erzählt. Dass der Donbass in der Ukraine liegt, wird dabei ebenso verschwiegen wie die Tatsache, dass gerade ein blutiger Krieg dort wütet, den Russland vom Zaun gebrochen hat.
Karjakin eignet sich wie kein zweiter für russische Propagandaerzählungen über die Krim und die Ostukraine. Er ist auf der von Russland annektierten Halbinsel geboren und in der umkämpften ostukrainischen Stadt Kramatorsk aufgewachsen. Seine Rolle als Propagandist hat Karjakin längst verinnerlicht. Nachdem er in einem offenen Brief seinem Präsidenten Wladimir Putin volle Unterstützung zugesichert hat, hat der internationale Schachverband Fide Karjakin für sechs Monate gesperrt. Dagegen will der Großmeister sportrechtlich vorgehen. Sein Argument ist nur allzu bekannt. Er sei wegen seiner politischen Haltung gesperrt worden. Und der Sport solle doch möglichst frei von Politik sein.
An einem Brett wird man ihn bis zur Klärung seines Falls ohnehin nicht sehen. Andere russische Schachspieler dürfen weiterspielen. Der russische Verband ist zwar suspendiert, aber die Einzelsportler dürfen antreten. Die Suspendierung ist von der Europäischen Schachunion ausgegangen. Diesen Bann will der russische Verband nun umgehen, indem er sich der asiatischen Schachföderation anschließt. Karjakin findet das natürlich „genau die richtige Idee“. So wie er gewiss nichts dagegen hat, dass Dimitri Peskow, der Sprecher des russischen Präsidenten, Vorsitzender des Stiftungsrates des russischen Schachverbands ist.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!