Spionagevorwurf gegen Edward Snowden: Zersetzung für Anfänger
Medien versuchen, Aktivisten gegen staatliche Überwachung zu diskreditieren. Das geschieht auf zynische und unprofessionelle Weise.
Dass sogenannte Zersetzungsmaßnahmen mit dem Ende des Ministeriums für Staatssicherheit nicht zum historischen Phänomen wurden, sondern Standardrepertoire der heutzutage operierenden Geheimdienste geblieben sind, braucht nicht zu überraschen. Was irritiert, ist, dass Medien sich, wenn es zu Fragen der Staatssicherheit (der aktuellen, nicht jener aus der DDR) kommt, bisweilen wie Handlanger von Behörden und Diensten aufführen.
Kaum bekommt Journalist X ein Zuckerchen im Hintergrundgespräch mit dem Ministerialbeamten Y oder der Geheimdienstkoordinatorin Z, kennt er keine kritische Distanz mehr, keine Nachfrage, keinen Faktencheck.
Und so kommt es, dass die britische Sunday Times ihren Leserinnen und Lesern erläutert, dass russische und chinesische Geheimdienste Zugang zu den Snowden-Dokumenten hätten und deshalb sogar Agenten aus laufenden Einsätzen abgezogen werden mussten. In Geheimdienstkontexten mag das sogar glaubhaft klingen. Zu beweisen oder widerlegbar ist es jedoch nicht. Einzig die Aussagen nicht genannter und damit nicht überprüfbarer informeller Quellen begründet den schweren Vorwurf, Snowden habe „Blut an seinen Händen“.
Wie substanzlos die gesamte Geschichte ist, die da bar aller überprüfbarer Fakten in die Welt gesetzt wurde, belegt ihr Autor Tom Harper in einem Interview mit CNN gleich selbst. Vier Fragen zum Hintergrund des Berichtes werden Harper gestellt. Dreimal antwortet er mit: „Wir wissen es nicht“, einmal mit: „Da haben wir keine Klarheit“. Was er jedoch feststellt, ist, dass die Times mit dem Bericht „die offizielle Position der britischen Regierung“ präsentiere. Allerdings fehlt selbst dafür eine offizielle Bestätigung.
Botschaft ohne Fakten
Glenn Greenwald, der sich als Snowden-Vertrauter verständlicherweise persönlich angegriffen fühlt, nennt diese Art von Journalismus „Stenografie“. Man könnte sie aber auch als „Teilnahme an Zersetzungstätigkeit“ bezeichnen. Die Stasi hat so etwas gefasst unter: „zielstrebige Untergrabung von Überzeugungen im Zusammenhang mit bestimmten Idealen, Vorbildern usw.“
„Zersetzungsmaßnahmen können sich sowohl gegen Gruppen, Gruppierungen und Organisationen als auch gegen einzelne Personen richten[.]“
„Zersetzungsmaßnahmen sind insbesondere anzuwenden […] zur Einschränkung der Wirksamkeit politisch zersetzender Auffassungen bzw. von schadenverursachenden Handlungen[.]“
„Bewährte anzuwendende Formen der Zersetzung sind [die] systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes, des Ansehens und des Prestiges auf der Grundlage miteinander verbundener wahrer, überprüfbarer und diskreditierender sowie unwahrer, glaubhafter, nicht widerlegbarer und damit ebenfalls diskreditierender Angaben [sowie die] zielstrebige Untergrabung von Überzeugungen im Zusammenhang mit bestimmten Idealen, Vorbildern usw.“
Quelle: Richtlinie 1/76 des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR im Januar 1976
Allerdings hatte die Stasi (zumindest im eigenen Land) keine tatsächlich unabhängige Presse als möglichen Gegner zu fürchten. So ein armseliges Interview wie mit CNN wäre Tom Harper sicher erspart geblieben. Aber selbst mit allen Fehlern, Ungereimtheiten und offensichtlicher Propaganda in einem einzigen Zeitungsartikel wird dieser nicht einfach die Toilette runtergespült. Nein, er ist Anlass, wenn schon nicht die herbeihalluzinierten Fakten, so doch wenigstens die dahinter stehende Botschaft weiterzutragen.
So schafft es die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Frage, inwieweit Fakten für die journalistische Bewertung eines Vorgangs von Bedeutung seien, ohne Umstände vom Tisch zu wischen. Ob die Vorwürfe nun zuträfen, sei zwar nicht klar, dass Snowden die „wichtige Arbeit der Geheimdienste“ geschwächt habe, träfe aber in „jedem Fall“ (!) zu.
Nun ist dieser FAZ-Text ein Kommentar, ein Meinungsstück also, in dem es selbstverständlich völlig zulässig ist, Snowden für seine Enthüllungen scharf zu kritisieren. Selbst der literarisch inspirierte Titel „Der talentierte Mr. Snowden“, der wohl die vermeintlich verbrecherische Amoral des Whistleblowers herausstellen soll, lässt sich problemlos als Teil eines offenen und demokratischen Meinungsstreites verbuchen. Die Behauptung eines Schadens für die Geheimdienstarbeit aber einfach aufrechtzuerhalten, und das bei gleichzeitigem Eingeständnis der mangelnden Faktenbasis, ist schlicht unredlich – und nimmt den Sicherheitsbehörden die Zersetzungsarbeit ab.
„Krankhaftes Misstrauen“
Misstrauen wird gesät, Personen und mit ihnen ganze Bewegungen werden diskreditiert. Die Frage, inwieweit die Enthüllungen Snowdens tatsächlich die Arbeit der Geheimdienste behindern, und zwar bei ihrem (nebenbei bemerkt illegalen) Versuch die eigene Bevölkerung flächendeckend zu überwachen, gerät in den Hintergrund.
Ein Rahmen wird gesteckt, in dem ganz im Sinne des Freund-Feind-Schemas Carl Schmitts die Person Snowden und ihr Handeln als „feindlich“ eingestuft und damit der freien gesellschaftlichen Debatte ganz entzogen werden soll. Wer es wagt, sich positiv auf Snowden zu beziehen, ihn gar nachzuahmen oder wie der Guardian und Greenwald seine Dokumente zu veröffentlichen, wird selbst zum „Feind“. Zum Feind einer Gemeinschaft die nach Ansicht der FAZ besser darauf achten sollte, dem Staat nicht so ein „krankhaftes Misstrauen“ entgegenzubringen.
Pathologisierung und Dämonisierung und die Konstruktion einer zu verteidigenden Wagenburg: Was bleibt den Apologeten der Überwachungsmaschine auch anderes übrig; und wie müssen sie Edward Snowden verfluchen. Man kann wohl annehmen, dass das Leben des jungen Mannes so umfassend durchleuchtet sein dürfte, dass noch seine kleinste Regung zwischen Geburt und dem 29. Lebensjahr, als er sich entschied, eines der größten Geheimdienstprojekte der Geschichte in die Öffentlichkeit zu tragen, bei den interessierten Geheimdiensten dokumentiert ist.
Mediale Schützenhilfe
Dass nun bis heute keine ernsthaften Verfehlungen Snowdens bekannt geworden sind, lässt die Vermutung zu, dass er sich einfach nichts Berichtenswertes hat zu Schulden kommen lassen. Edward Snowden scheint gewissermaßen der langweiligste Mensch der Welt gewesen zu sein – zumindest bis er der meistgesuchte wurde. Das macht die Zersetzung nicht gerade leichter, Medien aber leisten willkommene Schützenhilfe.
Tom Harper von der Sunday Times hat recht, wenn er im CNN-Interview über journalistische Arbeit im Geheimdienstkontext sagt, dass es sich dabei um die vielleicht „härteste zu knackende Nuss“ handelt. In seinem Fall wäre es gewiss korrekter gewesen von der unmöglich zu knackenden Nuss zu sprechen. Denn statt zum Verständnis der Sache beizutragen, verkauft Harper einfach Propaganda als Information.
Ob es nun also zutrifft, dass Russen und Chinesen Snowdens Material überhaupt in den Händen haben und entschlüsseln konnten und dadurch etwa britische Agenten gefährdet wurden, ist eine zwar interessante, aber bislang gänzlich unbeantwortete Frage.
Dass Snowden in den westlichen Gesellschaften dazu beigetragen hat, die Kenntnis über den „Geheimdienstleviathan“ zu schärfen und damit bis in die Parlamente hinein eine Debatte um die Methoden der Sicherheitsorgane angestoßen hat, trifft aber in jedem Fall zu. Wer nun die Aktiven gegen staatliche Überwachung diese Tatsache vergessen machen möchte, wird sich eventuell etwas mehr Mühe geben müssen mit der Zersetzung.
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