Spionageaffäre in Kolumbien: Militär bedroht Pressefreiheit
Die kolumbianische Armee hat systematisch Zivilisten und Journalist*innen ausspioniert. Auch Korrespondenten von US-Medien sind betroffen.
Betroffen sind außerdem der Amerikadirektor von Human Rights Watch, José Miguel Vivanco, ein Anwaltskollektiv, das Opfer von Menschenrechtsverletzungen vertritt, Gewerkschaftler, Oppositionspolitiker, ein ehemaliger Regierungsmitarbeiter und hochrangige Militärs. Die meisten haben sich kritisch mit Armee und Regierung auseinandergesetzt.
In den Akten haben Einheiten des Militärs sensible persönliche Informationen zusammengetragen: Telefonnummern, Adressen, Organigramme mit Namen von Verwandten, Freund*innen, Kolleg*innen, Kontakten und Quellen und Bewegungsprofile angelegt.
Unter den Bespitzelten sind auch Korrespondenten von US-Medien wie Wall Street Journal, National Geographic, dem Radionetzwerk NPR und Time. Der prominenteste Betroffene ist Nicholas Casey, der ehemalige Leiter des Andenbüros der New York Times.
Überraschender Rücktritt
Er hatte im Mai über die neuen Zielvorgaben für Tötungen der Armee berichtet – und der Sorge einiger Militärs, dass diese zu neuen „Falsos Positivos“ führen könnten. So wurden unschuldige Zivilisten bezeichnet, die die Armee ermordete und als Guerilleros verkleidete, um Kopfprämien zu kassieren. Nach dem Bericht mussten Casey und Fotograf Federico Ríos aus Sicherheitsgründen das Land verlassen, später trat der damalige Verteidigungsminister Guillermo Botero zurück.
Mit dieser Veröffentlichung wurde offenbar auch die Bespitzelungsakte von Casey angelegt. Unklar ist, wer das Sammeln von Informationen veranlasste. Die Bespitzelung begann, als General Nicacio Martínez das Heer leitete, und hörte Anfang Dezember auf. Am 27. Dezember trat Martínez überraschend „aus privaten Gründen“ zurück – laut Revista Semana ein Vorwand. Martínez streitet ab, von der Bespitzelung gewusst zu haben, und bezeichnet sich selbst als „Opfer einer Diffamierungskampagne“.
Eigentlich sollte Martínez Kolumbiens neuer Abgesandter bei der Nato werden. Am Samstag ließ Präsident Iván Duque ihm ausrichten, dass er sich umentschieden habe. Ebenfalls am Wochenende verkündete der Verteidigungsminister die Entlassung von elf Offizieren. Der Leiter der Geheimdienstabteilung reichte seinen Rücktritt ein.
Junge Journalist*innen besonders gefährdet
Die Spionageaffäre bringt vor allem kolumbianische Journalist*innen und Medien, die in den Akten auftauchen, in Gefahr, etwa das Team des Onlinemediums Rutas del Conflicto. Die Redaktion recherchiert und dokumentiert Menschenrechtsverletzungen in den Regionen. Viele, die hier arbeiten, sind unter 30 – und fast alle tauchen in den Akten auf.
Aber auch die Veröffentlichung von Revista Semana könnte kolumbianische Journalist*innen zusätzlich gefährden. Mehrere Journalist*innen, die hier mit Foto und Namen auftauchen, wussten nach taz-Recherchen vorab nichts davon. Der Fotojournalist Andrés Cardona, 31 Jahre alt, sagt, er sei erschrocken, als er sein Foto im Internet sah. Cardona ist Kriegswaise, viele seiner Verwandten wurden im Bürgerkrieg ermordet oder vom Militär vertrieben. Seine Familiengeschichte dokumentiert er in einem Langzeitprojekt.
Er arbeitet mit internationalen Medien zu Menschenrechtsverletzungen und illegaler Abholzung. Seit 2019 habe er akute Sicherheitsprobleme, sagt Cardona. Im Juni bedrohten ihn Unbekannte in der Nähe seiner Wohnung mit dem Tod. Er ließ seine Daten in der Onlineversion nachträglich schwärzen. „Aber die gedruckte Zeitschrift ist draußen. Jetzt bin ich exponiert.“ Deshalb will er nun versuchen, für eine Weile ins Exil zu gehen.
Die Opposition im Parlament hat angekündigt, ein Misstrauensvotum gegen Verteidigungsminister Carlos Holmes Trujillo und Präsident Duque zu prüfen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Die kolumbianische Wahrheitskommission forderte das Verteidigungsministerium zudem auf, alle Unterlagen herauszugeben.
Bisher sind noch nicht alle Betroffenen der Überwachung informiert. Die Organisation Reporter ohne Grenzen und die UN forderten Aufklärung und Schutzmaßnahmen für Journalist*innen.
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