Spekulationsgeschäfte im Rathaus: Strafe für FDP-Kommunalpolitikerin
Das Landgericht Mannheim verurteilt Christel Augenstein auf Bewährung. Sie zockte und hörte auch dann nicht auf, als die Dinge aus dem Ruder liefen.
Weishaar kam 2002 ins Amt und fand einen überschuldeten Haushalt in der baden-württembergischen Kommune vor. Zunächst versuchte sie, die Zinslast einzudämmen, indem sie variable Zinssätze durch Swaps (Tauschgeschäfte) mit Banken in fixe Zinssätze umwandelte. Solche Absicherungen sind zulässig. Ab 2004 wurde Weishaar verwegener und vereinbarte mit der Deutschen Bank Zinsswaps, um Gewinne zu erzielen. Das war aber nicht erfolgreich. Im September 2006 hatten die Swaps einen „negativen Marktwert“ von 17,9 Millionen Euro.
Nun offenbarte sich Weishaar der Oberbürgermeisterin und bot ihren Rücktritt an. Doch die FDP-Politikerin lehnte das ab, wohl auch um das eigene Renommee nicht zu gefährden. Gemeinsam beschloss man, die Deutsche-Bank-Swaps in neue, noch riskantere Swap-Geschäfte „umzustrukturieren“, um endlich Gewinne zu machen. Geschäftspartner der Stadt war jetzt die Bank JP Morgan. Doch der negative Marktwert stieg immer weiter an.
Die FDP-Politikerin wurde 2009 als OB abgewählt. Erst anschließend kam es aufgrund einer anonymen Anzeige zu strafrechtlichen Ermittlungen. Ihr Nachfolger Gert Heger (SPD) beendete 2010 die Geschäfte – mit einem vorläufigen Schaden von 57 Millionen Euro. Immerhin zahlte JP Morgan vier Jahr später 37 Millionen Euro zurück und die Deutsche Bank 2016 weitere 7,7 Millionen Euro. Am Ende blieb der Stadt noch ein Schaden von rund 12 Millionen Euro.
Anklage wegen Untreue
Die Staatsanwaltschaft klagte Augenstein und Weishaar 2013 wegen schwerer Untreue an. Sie hätten durch die Zinswetten ihre Vermögensbetreuungspflichten für den Pforzheimer Haushalt verletzt. Angeklagt wurden dabei nur Geschäfte ab 2006. Zur damaligen Zeit hätten viele Kommunen riskante Zinswetten abgeschlossen. Aber fast alle hätten aufgehört, nachdem die Dinge aus dem Ruder liefen. Dagegen seien Augenstein und Weishaar noch mehr Risiken eingegangen, so die Staatsanwälte.
Das Mannheimer Landgericht folgte der Anklage weitgehend. Es sei völlig klar, dass die Stadtverantwortlichen keine unbegrenzten Risiken für den Haushalt eingehen dürfen, sagte der Vorsitzende Richter Andreas Lindenthal. Und wandte sich gegen die „Mär“, die Banken hätten Kommunen damals betrogen.
„In den Verträgen stand eindeutig, dass es um unbegrenzte Risiken geht“, so der Richter. „Sie haben kein Osterei gekauft und dann eine Handgranate geliefert bekommen“, wandte er sich an die beiden Frauen, „Sie wussten, dass es um Handgranaten geht und haben nur gehofft, dass sie nicht hochgehen.“
Verteidiger Kubicki kündigt Revision an
Das Gericht wählte ein Strafmaß, das gerade noch die Aussetzung der Freiheitsstrafen zur Bewährung erlaubt. „Wir haben damit Ihre konstruktive Mitwirkung bei der Aufklärung des Sachverhalts belohnt“, so Richter Lindenthal.
Augensteins Verteidiger, FDP-Vize Wolfgang Kubicki, kündigte noch im Gerichtssaal an, dass seine Mandantin Revision beim Bundesgerichtshof einlegen wird. Das Landgericht Mannheim habe wohl die Struktur von derivativen Finanzgeschäften nicht richtig verstanden. Nach Angaben von Kubicki haben bundesweit mehr als 800 Kommunen solche Geschäfte getätigt.
In ihren letzten Worten hatten beide Frauen auf einen Freispruch gehofft. Augenstein sagte, sie sehe sich als Opfer von „intransparenten Angeboten“ eigentlich vertrauenswürdiger Banken. Augenstein ist Diplom-Finanzwirtin, Weishaar Wirtschaftsmathematikerin. Wenn der BGH die Urteile bestätigt, müssen die beiden Frauen noch mit Schadenersatzforderungen rechnen. Die Stadt Pforzheim hatte sich dies ausdrücklich offen gehalten. Die heute 68-jährige Augenstein muss zudem um ihre Pensionsansprüche bangen.
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