Soziologe Markovits über Super League: „Die Uefa wird den Kampf gewinnen“
Der US-Soziologe Andrei Markovits erklärt, weshalb er eigentlich eine europäische Super League gut fände und warum die Pläne scheitern.
taz: Herr Markovits, es gibt viele Proteste gegen die Super League. Zu Recht?
Andrei S. Markovits: Auf der einen Seite stört mich diese Engstirnigkeit und Beschränktheit von Sportfans, die immer auf Tradition pochen. Alles so belassen, wie es schon immer war – das ist kein Argument. Und in diesem Fall ist es auch hochnationalistisch.
Und auf der anderen Seite?
Mein wichtigster Vorbehalt ist, dass es eine geschlossene Liga sein soll, ohne Auf- und Abstieg. Begrüßen kann ich das Projekt, solange der Fußball pyramidenförmig aufgebaut ist. In einer Welt, in der es europäisches Geld gibt, einen Europäischen Gerichtshof, ein Europäisches Parlament – warum soll es nicht eine europäische Fußballliga geben? Und zwar eine, in die alle einbezogen werden.
Nun ist das Fehlen von Auf- und Abstieg ein Charakteristikum der amerikanischen Major Leagues, und die sind sportlich auch sehr stark.
Der Hinweis, dass die Besitzer von Manchester United, Arsenal und Liverpool Amerikaner sind, war zu hören. Aber die wichtigsten Betreiber sind Agnelli von Juve und Pérez von Real Madrid, ein Italiener und ein Spanier also. Letztlich ist das aber egal.
Weil es Großklubs sind, die gegen Verbände vorgehen?
Und Leute, die sonst Fifa und Uefa hassen, stellen sich in dieser Auseinandersetzung an die Seite der Fifa und Uefa. Seit über hundert Jahren wird der Fußball regiert wie die katholische Kirche. Wenn du nicht gehorchst, wirst du von der Diktatur exkommuniziert.
Woher kommt diese Macht?
Solange es im Fußball „Club and Country“ gibt, also neben dem Verein, der kapitalistisch organisiert ist, noch die Nationalmannschaft, wird es für die Spieler immer wichtig sein, für ihr Land zu spielen.
geb. 1948, ist Professor an der University of Michigan. Seit Jahrzehnten forscht und publiziert er zum Fußball in Europa und den USA.
Das ist in den USA anders?
Ja, in den großen Sportarten gibt es keine Nationalteams, zumindest keine bedeutenden: im Football der NFL und dem Baseball der MLB gar nicht und im Basketball der NBA alle vier Jahre eine für die Emotion der Fans nicht sehr wichtige Olympiaauswahl.
Was heißt das für den europäischen Fußball?
Solange ein Spieler wie Ronaldo nicht nur mit seinem Verein, sondern auch für Portugal Titel holen will, haben Fifa und Uefa die Macht, ihn bei Fehlverhalten zu exkommunizieren.
Nationalteans wird es auch mit der Super League geben.
Aus diesem Grund wird das Projekt auch nicht funktionieren. Die Spieler werden nicht mitmachen. Für sie ist Country genau so wichtig wie Club.
Die Uefa ist in der Covidpandemie und der völlig offenen Euro-Planung angeschlagen, die Fifa hat vor der WM in Katar auch viel an Macht verloren.
Gewiss, aber es ist kein Grund, sich an deren Seite zu stellen. Mir ist beispielsweise nicht klar, warum die Bundesliga hoch und heilig als demokratische Errungenschaft gepriesen wird.
Sie ist durchlässig aufgebaut, mit Auf- und Abstieg.
Bayern wird jedes Jahr Meister, das ist doch ein Monopol. In Spanien ist es ein Oligopol von Barcelona und Real. In Italien und Frankreich sind es auch nur wenige. Diese Vereine sind selbstverständlich kapitalistisch organisiert. Und Klubs wie Bayern sind doch eh immer in Europa dabei. Ich sehe in einer Europäisierung überhaupt kein Problem.
Wenn es durchlässig zugeht?
Die neue Liga sollte breiter sein. Statt 20 sollte man 24 Klubs teilnehmen lassen. Es sollte auf- und abgestiegen werden, meinetwegen vier Auf- und vier Absteiger, ermittelt in Playoffs.
Nun sind mit Bayern München und Paris Saint-Germain zwei europäische Spitzenklubs nicht in der Super League dabei. Warum?
PSG gehört ja zu 100 Prozent Katar, und die Champions-League-Rechte für Asien liegen alle bei der katarischen Staatsfirma beIN-TV. Die haben kein Interesse am Angriff auf die Champions League. Bei Bayern ist es wiederum nicht so leicht zu erklären. Aber ich bin sicher, wenn es mit der Super League tatsächlich klappen sollte, dann kämen Bayern und PSG auch ins Boot, wie auch Borussia Dortmund.
Die Super League sagt, sie wolle den übrigen Vereinen hohe Solidaritätszahlungen leisten.
Nicht nur das: Sie haben auch erklärt, dass sie sofort eine Frauenliga ins Leben rufen wollen: eine Super League der europäischen Frauen. Das soll die Uefa mal nachmachen.
Ist das mehr als der Versuch, Kritiker verstummen zu lassen?
Das ist doch egal. Ob sie das nur veranstalten, um progressiv dazustehen, weiß ich nicht. Wenn sie es machen, ist es gut.
Entfernen wir uns dennoch nicht zu sehr von der Perspektive, den Fußball zu demokratisieren?
Es geht darum, diese demokratische Tür des Aufstiegs aufzubekommen. Dass prinzipiell jeder die Chance hat aufzusteigen.
Unterm Strich sind Sie also ein Befürworter der Super League?
Es wird bloß nichts bringen. Wie gesagt: Die Spieler haben als Teil der Nationalmannschaften kein Interesse an dieser Super League. Und wegen dieser monopolistischen Macht des ewigen Ausschlusses von abtrünnigen Spielern werden Uefa und Fifa diesen Kampf gewinnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag