Soziale Krise in Sierra Leone: Ausgangssperre nach Protesten

Bei landesweiten Demos gegen zu hohe Lebenskosten sind dutzende Menschen gestorben. Präsident Maada Bio spricht jedoch von einem Terrorakt.

Menschen stehen in einer Straße versammelt zum Protest

Demonstrationen gegen die Regierung in Freetown lösten eine landesweite Protestwelle aus Foto: Umaru Fofana/ reuters

COTONOU taz | Bei gewaltsamen Protesten gegen die Regierung in Sierra Leone gab es dutzende Tote und Verletzte. Wie viele Personen tatsächlich gestorben sind, ist weiterhin ungeklärt. Verschiedenen Quellen zufolge wurden mindestens 21 Zi­vi­lis­t*in­nen und sechs Po­li­zis­t*in­nen getötet sowie zwischen 100 und 130 Personen verhaftet. Die Behörden haben eine Ausgangssperre verhängt. Für Sierra Leone, wo Anti-Regierungs-Proteste selten sind, ist das ein gesellschaftlicher Schock.

Grund für die Proteste sind die steigenden Preise. Nach Schätzung des Welternährungsprogramms (WFP) leben 53 Prozent der rund 8,5 Millionen Ein­woh­ne­r*in­nen des Landes unterhalb der Armutsgrenze. Am Mittwoch versammelten sich zunächst Marktfrauen in der Hauptstadt Freetown, um auf die hohen Lebenshaltungskosten aufmerksam zu machen. Schnell eskalierte der Protest. Auch in anderen großen Städten im Land wie Makeni im Norden kam es zu spontanen Demonstrationen. Videos zeigen, wie hunderte Menschen durch die Straßen rennen, Autoreifen brennen und Polizeiautos durch die Gegend fahren.

Präsident macht Diaspora verantwortlich für Gewalt

Julius Maada Bio, Präsident von Sierra Leone, bestätigte in einem Interview mit der British Broadcasting Corporation (BBC) die schwierige Situation der Bürger*innen: „Definitiv gibt es Not. Die meisten Jugendlichen sind arbeitslos. Wir haben Verständnis für ihre Situation, und als Regierung haben wir ziemlich viel getan, um diese Situation anzugehen.“ Allerdings positionierte er sich auch deutlich gegen die Demonstrierenden.

In den vergangenen Tagen habe es sich nicht um Proteste gehandelt, sondern um einen Terrorakt. Drahtzieher seien Personen aus dem Ausland. „Wir haben ein paar Menschen aus Sierra Leone, die in der Diaspora leben und damit gedroht haben, Terror in Sierra Leone auszulösen“, sagte er. In einer Ansprache an die Nation ging noch einen Schritt weiter. Es sei der Versuch gewesen, eine „demokratisch gewählte Regierung“ zu stürzen.

Maada Bio – 2018 gewählt – ist noch bis Juni 2023 im Amt. Im Februar ernannte ihn seine Partei, die Volkspartei von Sierra Leone (SLPP), zum Spitzenkandidaten für die kommende Präsidentschaftswahl. Lokale Medien berichten allerdings, dass es einigen parteiinternen Widerstand gibt.

NGOs fordern Aufklärung der Gewalt

Die Hochkommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Michelle Bachelet, nannte die Berichte über Tote und Verletzte „alarmierend“. Die Regierung müsse die Vorfälle „umgehend, unparteiisch und gründlich“ untersuchen, Verantwortliche zur Rechenschaft ziehen und einen Dialog aufnehmen. Auch müssten Menschenrechte und Grundfreiheiten geachtet werden.

Das fordert auch die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International. „Bei der Überwachung von Versammlungen sind die Sicherheitskräfte verpflichtet, Schäden und Verletzungen zu minimieren, Menschenleben zu bewahren und bei der Anwendung von Gewalt Zurückhaltung zu üben“, betont sie. Kritisch sei auch zu bewerten, dass am Mittwoch und Donnerstag das Internet zeitweilig abgeschaltet wurde. Dabei würden soziale Netzwerke die Möglichkeit bieten, „online wie offline zu protestieren“.

Preis für Brot bereits im letzten Jahr verdreifacht

Die Preise für Nahrungsmittel und Transport waren in den vergangenen Monaten weiter gestiegen. Zwischen Januar und März erhöhten sich Preise für Benzin, Diesel und Gas beispielsweise jeweils um mehr als 34 Prozent. Die Regierung setzte den Preis für einen Liter Benzin von 84 Euro-Cent auf 1,04 Euro fest.

Auch Bus- und Taxipreise verteuerten sich. Die Preise für Brot hatten sich bereits im vergangenen Jahr verdreifacht. Im Entwicklungsindex der Vereinten Nationen belegt Sierra Leone Platz 182 von 189. Das Land leidet nicht nur unter den Folgen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs. Während des Ebola-Ausbruchs waren 2014 und 2015 offiziellen Angaben zufolge knapp 4.000 Menschen gestorben.

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