Sozialarbeiterin über Prostitution: „Wir brauchen kein neues Gesetz“
Juanita Henning von der Beratungsstelle Doña Carmen kritisiert das neue Gesetzesvorhaben zur Prostitution. Menschenhandel hält sie für einen Kampfbegriff.
taz: Frau Henning, es gibt derzeit eine neue Debatte über das Verbot der Prostitution. Gleichzeitig plant die künftige Große Koalition ein neues Prostitutionsgesetz. Ist das in Ihrem Interesse?
Juanita Rosina Henning: Die Debatte über das Verbot geht an den tatsächlichen Problemen völlig vorbei. Das betrifft vor allem das geplante Gesetzesvorhaben.
Was rügen Sie an den Plänen?
Dabei geht es um eine weitgehende Reglementierung von Prostitutionsstätten. Die Betreiber sollen alle Frauen, die bei ihnen tätig sind, bei den Behörden melden. Sie sollen die aufenthaltsrechtlichen Papiere der Frauen kontrollieren. Die Frauen würden möglicherweise alle zentral polizeilich registriert. Das lehnen wir entschieden ab.
Das Argument für mehr Kontrolle lautet, dass man so dem Menschenhandel wirksamer begegnen könne.
„Menschenhandel“ – das ist doch ein Kampfbegriff gegen die Prostitution. Dass der Begriff mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat, zeigt ein Blick auf die Zahlen. Im Jahre 2010 gab es 761 Fälle von mutmaßlichen Opfern von Menschenhandel, bei geschätzt 200.000 Prostituierten. Davon waren 159 Fälle, in denen die Opfer tatsächlich Gewalt, Drohung, körperliche Misshandlung erlebt hatten. Das sind also weniger als ein Promille.
ist Sozialarbeiterin und Sprecherin und Mitgründerin der Beratungsstelle für Sexarbeiterinnen Doña Carmen e. V. in Frankfurt am Main. Seit 1991 engagiert sich Henning für die politischen und sozialen Rechte von Prostituierten.
Es heißt ja immer, die Dunkelziffer sei so hoch, weil es sich um organisierte Kriminalität handelt und die Frauen sich nicht trauten, auszusagen.
In den vergangenen elf Jahren gab es im Schnitt pro Jahr 130 gerichtlich festgestellte Täter im Menschenhandel, das Täter-Opfer-Verhältnis war dabei in etwa eins zu eins. Das spricht gegen organisierte Kriminalität. In einer Studie des Bundeskriminalamtes von 2006 konnte keine organisierte Kriminalität in diesem Bereich festgestellt werden.
Union und SPD haben sich auf eine Überarbeitung des Prostitutionsgesetzes geeinigt. Die „ordnungspolitischen Kontrollmöglichkeiten“ sollen gesetzlich „verbessert“ werden. Gegen Freier von Zwangsprostituierten soll härter „vorgegangen“ werden. Das Aufenthaltsrecht der Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel soll „verbessert“ werden, unter Berücksichtigung ihres „Beitrags zur Aufklärung“ und ihrer „persönlichen Situation“.
Die Beratungsstelle für Sexarbeiterinnen, Doña Carmen, veranstaltet vom 22. bis 24. November in Frankfurt am Main die 2. Frankfurter ProstitutionsTage. (bd)
Das heißt, das Bild der armen Frau aus Osteuropa, die nach Deutschland gelockt und hier von einer Bande unter Druck gesetzt wird, ist falsch?
Ja. Ich habe selbst eine Studie durchgeführt, bin durch die Bordelle gegangen, habe die Frauen interviewt. Über 90 Prozent der Frauen, die nach Deutschland kommen, wissen, dass sie in der Prostitution arbeiten werden.
Es besteht also kaum Handlungsbedarf?
Doch. Aber wir brauchen eben kein neues Sondergesetz, das die Bordelle stärker kontrolliert, um gegen die Fälle von Gewalt und Misshandlung vorgehen zu können. Dazu reichen die Strafrechtsparagrafen, die es gibt: Nötigung, Erpressung, Körperverletzung. Es geht auch viel ums Arbeitsrecht, Einbehaltung von Lohn etwa. Da müsste man nur die normale Rechtsprechung greifen lassen. Gewerberechtlich reicht es aus, wenn Prostitutionsstätten nach Paragraf 14 der Gewerbeordnung anzeigepflichtig wären.
Was fordern Sie noch?
Wir wollen zum Beispiel, dass selbstständige Prostitution endlich als freiberufliche Tätigkeit anerkannt wird. Damit hätten die Frauen mehr Möglichkeiten, auch in Wohngebieten legal zu arbeiten. Außerdem sind wir für die Abschaffung der Strafrechtsparagrafen, die Zuhälterei und die Förderung der Prostitution verbieten. Damit wird es Arbeitgebern nämlich unmöglich gemacht, Prostitution als sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis anzubieten.
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