Sorgfaltspflicht vor Meinungsfreiheit: Politikfreie Fassade

Das Göttinger Studentenwerk streitet mit der studentischen Wohnrauminitiative – weil WGs wegen aufgehängter Transparente abgemahnt wurden.

Mussten von den Studierenden in Göttingen wieder eingerollt werden: politische Transparente. Bild: Alciro Theodoro da Silva

GÖTTENGEN taz | Ein paar aus dem Fenster gehängte Transparente haben in Göttingen einen heftigen Streit ausgelöst. In einem von rund 40 Gruppen unterstützten Offenen Brief wirft die studentische Wohnrauminitiative dem Studentenwerk Schikane und das Verbot politischer Meinungsäußerung vor. Das Studentenwerk wehrt sich gegen die seiner Ansicht nach „kleinteilige Kritik“ und verweist auf die Sorgfaltspflicht im Sinne andersdenkender Bewohner, die nichts mit den politischen Inhalten und Parolen zu tun haben.

Wiederholt hatte das Studentenwerk von Heimbewohnern gefordert, Transparente mit politischen Parolen wie „Kapitalismus abschaffen – Die Festung Europa einreißen!“ und „Gegen Arbeit, gegen Miete – alles für alle!“ von den Hausfassaden zu entfernen. Zwei Wohngemeinschaften sei wegen der abgerollten Spruchbänder gar mit Abmahnungen gedroht worden, weil sie auf Transparenten den Erhalt von Wohnheimen und Gemeinschaftseinrichtungen gefordert hatten. Im Schreiben nennt die Initiative auch den Namen eines Studentenwerks-Mitarbeiters, der den betreffenden Wohnheimen persönlich „einen Besuch abgestattet“ habe.

Die Wohnrauminitiative prangert zudem geplante „Entmietungen“ von Häusern des Studentenwerks und eine Anhebung der Mietpreise an. Weiter heißt es: Das Studentenwerk solle lieber seine Aufgabe, die Studierenden „wirtschaftlich, gesundheitlich, sozial und kulturell zu fördern“, wahrnehmen, die nähere Ausgestaltung dessen aber den Bewohnern überlassen und Eigeninitiative nicht mit „einengender Auslegung“ der „Allgemeinen Mietbedingungen“ bekämpfen – eben diese Bedingungen sind es, die das Anbringen von Außenantennen, Plakaten, Schildern und Transparenten in und an den Wohnheimen untersagen.

Die Initiative bemängelt weiter, dass Parkflächen vor den Wohnheimen nicht genutzt werden dürften und die Haltung von Kleintieren häufig untersagt werde. „Die Keller von mehreren Häusern wurden einfach geräumt und stehen nun leer, geschützt von sorgsam verriegelten und extra beschlagenen Türen.“ In einem Fall sei gar damit gedroht worden, ein parkendes Auto der Bewohner „verschrotten“ zu lassen. Das Studentenwerk habe den Bewohnern „nicht vorzuschreiben, wie sie zu leben haben, sondern günstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen“. Stattdessen saniere es Gemeinschaftseinrichtungen zu Einzelwohnungen, verbiete politischen Ausdruck und verweise bei Kritik auf Gremien, in denen es selbst die Mehrheit stelle.

Bundesweit betreuen 58 Studentenwerke rund 2,2 Millionen Studierende von über 300 Hochschulen.

Bei der Vermittlung und Vermietung von vergleichsweise preiswertem Wohnraum liegt ein Schwerpunkt.

45 Wohnobjekte mit 4.600 Plätzen betreibt das Göttinger Studentenwerk. Dazu kommen vier Mensen, neun Cafeterien, Sozialdienste, ein Kulturbüro und fünf Betreuungseinrichtungen für Kinder.

Einige Wohnheime hat es an die Universität übertragen, andere werden saniert und die Mietpreise erhöht. Ein leer stehendes früheres Wohnheim wurde im vergangenen Jahr kurzzeitig besetzt. RP

In seiner scharfen Antwort verwahrt sich das Werk gegen die Vorwürfe. Es seien da „zusammenhanglose Beispiele zusammengefasst worden, um eine vermeintliche bösartige Strategie des Studentenwerks Göttingen zu konstruieren“. Im Übrigen bestehe eine Sorgfaltspflicht auch gegenüber denjenigen Heimbewohnern, die sich nicht mit dem Anbringen von Transparenten politischen Inhalts identifizieren. Auf deren Wunsch sei der strittige Passus erst in die Allgemeinen Mietbedingungen aufgenommen worden.

Weiteren Kritikpunkten kontert das Studentenwerk mit dem Hinweis, dass die Nutzung von Freiflächen und Kellerräumen nicht zur Mietsache gehöre. Bei Kleintierhaltung müssten kulturelle Unterschiede, Allergien und Ängste gegenüber Tieren berücksichtigt werden, die bei Bewohnern nicht selten seien.

Dass in dem offenen Brief einzelne Mitarbeiter namentlich genannt und angegriffen würden, verurteile das Studentenwerk „auf das Schärfste“: „Dies entspricht nicht unseren Vorstellungen von einem fairen Umgang miteinander.“ „Befremdet“ sei man auch von der Übergabe des Schreibens, dem Geschäftsführer und einem Mitarbeiter wurde das frühmorgens in ihre Privatwohnungen überbracht.

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