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Sorgerechtsstreit in HannoverMutter soll 30 Tage in den Knast

Ein Gericht verhängt eine Ordnungshaft für Anette W., weil sie dem Wunsch ihrer zehnjährigen Tochter folgte und die Tochter nicht zum Vater brachte.

Hinter diesen Mauern muss Anette W. 30 Tage einsitzen, wenn die Haft vollzogen wird: JVA Vechta Foto: Friso Gentsch/dpa

Hamburg taz | Extrem verfahren ist ein Sorgerechtsstreit in Hannover. Vorläufiger Höhepunkt ist, dass das Oberlandesgericht (OLG) Celle jetzt 30 Tage Haft für die Mutter Anette W. verfügte, weil diese im Zeitraum vom 9. Dezember 2021 bis zum 9. Februar 2022 ihre zehnjährige Tochter nicht an den Vater herausgab. Die Frau muss nun damit rechnen, vom Gerichtsvollzieher verhaftet und in die Justizvollzugsanstalt Vechta gebracht zu werden.

Die Situation, in der Mutter und Tochter seit anderthalb Jahren leben, ist schwierig: Das Mädchen fuhr im Juni 2021 allein mit der Straßenbahn zur Wohnung der Mutter und sagt seither, sie wolle dort bleiben und nicht zum Vater zurück. Bei ihm lebt noch die jüngere Schwester. Für beide hat der Vater allein das Sorgerecht. Das hat das OLG jetzt noch mal bestätigt. Die Mutter gilt den Richtern als nicht erziehungsfähig, weil sie die Bindung der Kinder zum Vater zu wenig toleriere.

Die Mutter sagt der taz, sie habe dem Vater mehrfach angeboten, das Kind abzuholen, das habe er nicht getan. Sie respektiere aber den Willen des Kindes. „Meine Tochter ist für mich kein Gegenstand, den ich rauszugeben habe. Sie ist ein Mensch mit Rechten.“ Die Richter setzten in dem Beschluss Ende Januar dagegen, die Mutter hätte die Tochter durch aktives Tun in die Obhut des Vaters geben müssen.

Kurios ist: Selbst wenn Frau W. ihre Tochter jetzt sofort beim Vater absetzt, bleibt ihr die Haft nicht erspart. „Diese Ordnungsmittel haben auch Sanktionscharakter, weshalb ihnen nicht entgegensteht, dass der maßgebliche Zeitraum verstrichen ist“, sagt OLG-Sprecher Andreas Keppler. Allerdings gibt es diese Art von Strafe erst seit einer Gesetzesreform von 2009, obwohl Frauen protestierten.

Die Schule ist ein Problem

Die Frage ist ferner, warum das Gericht nicht zunächst als milderes Mittel ein Ordnungsgeld verlangt. Dagegen spricht laut Keppler nach Einschätzung der Richter, dass es sich hier um einen Wiederholungsfall handele und das Kind auch dem Schulbesuch entzogen werde. Zudem habe man der ­Mutter schon im Juni 2021 gesagt, dass bei solchen Verstößen Ordnungshaft drohe.

In der Tat ist die Schule ein Problem. Wie die taz berichtete, war es W. vergangenen Sommer nicht möglich, ihre Tochter für eine 5. Klasse anzumelden – weil sie das Sorgerecht nicht hatte. Bereits zuvor wollte das Mädchen ihre Grundschule nicht mehr besuchen. Sie war dort im Januar 2020 schon einmal von der Polizei abgeholt und zum Vater gebracht worden. Wie auch ein Kinderpsychiater in einem Attest schrieb, hatte sie Angst, das passiere wieder.

Wegen der festgefahrenen Situation plädierte im September wohl auch die Verfahrensbeiständin der Kinder dafür, der Mutter das Sorgerecht für die Tochter zu übertragen. Kinder sollten als Subjekte und nicht als Objekte gesehen werden; alle Prozessbeteiligten sollten die Gesamtsituation in den Blick nehmen.

Doch die Richter am OLG Celle beeindruckte das nicht. Zeitgleich mit der Ordnungshaft erging ein Beschluss zum Sorgerecht. Die Beschwerde der Mutter und der Verfahrensbeiständin dagegen, dass der Vater dies allein hat, wurde abgewiesen. Sollte das Mädchen den Vater ablehnen, könnte es vorübergehend in eine Einrichtung.

Initiative beklagt „moderne Hexenjagd“

Der Anwalt von Anette W., Stefan Nowak, sagt, das OLG habe in seiner Entscheidung „beachtliche Kritikpunkte in keiner Weise gewürdigt“, etwa, dass das Mädchen mehrfach zur Mutter flüchtete, bevor es bei ihr blieb. Er will deshalb gegen den Beschluss vorgehen. W. hofft, dass es noch gelingt, die Haft abzuwenden.

Zudem gibt es am 16. Februar wieder einen Termin vor dem Amtsgericht, wo über einen Antrag Nowaks verhandelt wird, ob die Tochter auch ohne Sorgerecht durch eine sogenannte Verbleibensanordnung bei der Mutter bleiben kann – so wie bei Pflegeeltern möglich. Christina Mundlos, die ein Buch zur Praxis der Familiengerichte schrieb, sagt, es drohe hier die Inhaftierung der Mutter „aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Kritik am OLG Celle“.

Man könnte auch moderne Hexenjagd sagen

Anna Hansen, Initiative Frauen für Gewaltschutz

Anna Hansen, die im Herbst mit W. die Initiative „Frauen für Gewaltschutz“ gründete, sieht in der Ordnungshaft „institutionelle Gewalt. Man könnte auch moderne Hexenjagd sagen.“

Laut einer Evaluation jener Familiengesetz-Reform von 2009 erklären übrigens die meisten Richter, es komme „selten bis nie“ zu Ordnungshaft. Das niedersächsische Justizministerium konnte die Frage, wie oft dies vorkommt, nicht beantworten.

Miriam Hoheisel vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter sagt: „Ordnungsgeld und Ordnungshaft lehnen wir weiterhin ab.“ Im Kindschaftsrecht ginge es nicht um Geld oder Strafe, sondern um ein Kind und menschliche Beziehungen. „Und eine Ordnungshaft des betreuenden Elternteils belastet immer auch das Kind.“

Ganz wohl scheint auch dem OLG Celle bei der Sache nicht zu sein. So sprach Präsidentin Stefanie Otte von einer „Tragödie für alle Beteiligten“. Die juristische Entscheidung obliege zwar allein den Richtern. Im Sinne einer ganzheitlich guten Lösung, appelliere sie aber „an beide Eltern, wieder miteinander ins Gespräch zu kommen“. Dafür sei Mediation ein guter Weg. Dazu sagt Anette W.: „Ich biete das an.“

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21 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Eine Vielzahl von Gerichtsentscheidungen sind mir bekannt, wo das Kind sein Leben lang bestens durch seine Mutter versorgt wurde, sie ganz offensichtlich die primäre Bindungsperson des Kindes ist und dennoch das Gericht Kind und Mutter getrennt hat. Kein Einzelfall - ganz offenbar ein systemisches Problem.

  • Es bleibt anhand Ihrer Schilderung der familiengerichtlichen Dynamik im Artikel schwierig bis unmöglich, sich ein halbwegs klares Bild der Vorgänge zu machen. Es gibt viele ungerechte und unverhältnismäßige Entscheidungen an Familiengerichten in diesem Land, nicht zuletzt auch zu Nichtanordnung von Ordnungsgeld. Ob diese Entscheidung rein juristisch dazu gehört, vermag ich jedenfalls nach Ihrer Schilderung nicht zu beurteilen (und natürlich ist Ordnungshafte das allerletzte Mittel und muss davor alles Weitere ausgeschöpft werden). Viel zu oft krankt die familigerichtliche und kinder- und jugendhilferechtliche Praxis in diesem Land eher am Gegenteil, der fehlenden Durchsetzungsbereitschaft der familialen Professionen. 2022 verhängte immerhin z. B. das OLG Frankfurt a. M. Ordnungsgeld gegen einen Vater, der trotz des Kindeswunsches den Kontakt nicht wahrnehmen wollte, verwies dabei auf neuere Literatur und Rechtsprechung zu Eltern-Kind-Entfremdung. openjur.de/u/2453370.html Richtig so! Nach der Lektüre Ihres Artikels ist allenfalls klar, dass Sie allgemeine Vorbehalte gegen Gesetzesparagrafen haben, historische Protesthaltungen (die gab es auch zur Gleichstellung zur Vergewaltigung in der Ehe Ende der 1990er Jahre) hierfür zitieren und keinen Blick nach Straßburg und in andere, stärker feministisch geprägte europäische Familienrechtssysteme wagen - so als ob am deutschen Wesen das Kindeswohl genesen wüde. Und wo kämen wir hin, wenn Familiengerichte nicht einmal Beschlüsse vollstrecken könnten?

  • Kaija Kutter , Autorin des Artikels, Redakteurin taz-Hamburg

    Am 10. Oktober 2007 schrieben der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) Bundesverband e.V., der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe Frauen gegen Gewalt e.V., die Frauenhauskoordinierung e.V., das Kommunikationszentrum für Frauen zur Lebens- und Arbeitssituation (Kofra), die Zentrale Informationsstelle autonomer Frauenhäuser (ZIF) sowie Prof. Dr. Marianne Breithaupt, Fachhochschule Landshut, Prof. Dr. Sybilla Flügge, Fachhochschule Frankfurt a. M., Dr. Anita Heiliger, Dr. Kerima Kostka, Prof. Dr. Ludwig Salgo, Fachhochschule und Universität Frankfurt a. M., Prof. (em.) Dr. Dr. Gisela Zenz, Universität Frankfurt a. M. und die Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen (EAF) e.V. zur damaligen FGG-Reform eine ausführliche Stellungnahme.

    „§ 89 Ordnungsmittel

    Die Unterzeichner/innen lehnen Ordnungsgeld und Ordnungshaft zur Durchsetzung von Umgangsregelungen und Herausgabe von Personen ausdrücklich ab. Diese Mittel belasten die Situation eines betroffenen Kindes in nicht zu verantwortendem Ausmaß“.

    Es handelt sich also um ein von vornherein umstrittenes Gesetz, dessen Anwendung auch 10, 15 Jahre kritisch beäugt werden darf.

    • @Kaija Kutter:

      Sie stellen die stetige EGMR-Rechtsprechung zu Ordnungsgeld in Frage, in dem Sie Gesetze mit Hinweisen auf Protestaktionen hinterfragen??!

    • @Kaija Kutter:

      Sie zitieren hier einseitig eine von einem Verband und gegen z. B. den Verband berufstätiger Mütter propagierte Abwehrhaltung gegen das Gesetz und die verstetigte EGMR-Rechtsprechung. Die Familiengerichte haben nach dem EGMR alle notwendigen Maßnahmen zur Förderung der Vollstreckung des Umgangs zu ergreifen, die nach den besonderen Umständen des Falles vernünftigerweise verlangt werden können. Dies ist insbesondere auch bei der Auswahl und Festsetzung der Höhe des Ordnungsmittels zu beachten. [EGMR v. 15.1.2015 - Nr. 62198/11 (Kuppinger), FamRZ 2015, 469 (470 f.)]" Schauen Sie nach Dänemark - wahrlich keine Hölle für frauenpolitische Belange. Mutter entfremdet das Kind erfolgreich - Sorgerecht sofort weg. Entschied 2020 der dortige Oberste Gerichtshof.

    • Kaija Kutter , Autorin des Artikels, Redakteurin taz-Hamburg
      @Kaija Kutter:

      10, 15 Jahre später, sollte es heißen

  • Offensichtlich sind beide Elternteile faktisch in der Lage jeweils ein Kind zu betreuen.



    Inobhutnahmen wegen angeblich zu viel Nähe zwischen Mutter und Kind gab es schon öfter.



    Für mich ist das hier ein ähnlich gelagerter Fall.



    Liebevolle, menschliche Beziehungen nach Schema F zu bewerten und daraus Zwangsmaßnahmen abzuleiten, ist meines Empfinden nicht verfassungskonform.



    Denn die Würde des Menschen ist unantastbar.



    Das gilt auch für Kinder.

    Ich frag mich, was bei dem Vater nicht stimmt, das er diesen ganzen Streit seiner Familie antut.

  • Das Kind ist weggelaufen und alles was ihm angeboten wird, ist ins Heim gesteckt zu werden, wenn es nicht macht wie ihm gesagt wird. Unter anderem deswegen habe ich null Vertrauen in staatliche Institutionen.

  • Wo ist jetzt der Skandal? Eine Mutter schleppt Ihren Sorgerechtsstreit auf Kosten der Kinder in die Presse und die taz spielt mit. Die Mutter hat kein Sorgerecht (warum wird überhaupt nicht thematisiert) und weigert sich, das Kind zum Vater zu lassen/schicken, trotz erfolgter Androhung von Ordnungsgeld. Selbst wenn ich unterstelle, dass das Kind nicht zum Vater wollte, hin uns wieder muss auch ein Kind etwas machen, was es nicht will. Wenn es nach meinen Kindern ginge, wären die heute morgen auch nicht in die Schule... Mache ich die beiden zum Objekt, wenn ich sage: Ihr müsst, ob ihr wollt oder nicht?

    • @Strolch:

      Der skandal ist das der Wille des Kindes vom Richter in keinster Weise gewürdigt wird

      • @pablo:

        Naja, er hat gesagt, das Kind könne auch in ein Heim statt zum Vater.



        Wenn das Kind dieses Angebot annimmt, wird es höchste Zeit, die Frage nach dem Sorgerecht neu zu stellen.

      • @pablo:

        Die Tochter ist mehrmals vom Vater zur Mutter geflohen und will nicht mehr zurück. Das macht ein 10-jähriges Kind nicht einfach so. Dem muss nachgegangen werden. Eventuell schützt man damit auch die jüngere Schwester. Es geht hier doch nicht um Mütter und Väter. Es geht um die Kinder! Die müssen geschützt werden - vor wem auch immer... Aber man hat das Gefühl, das das Gericht hier aus Dessinteresse eine einmal getroffene Entscheidung nicht überprüfen will. Das darf nicht sein!!!

    • @Strolch:

      ja es ist nicht so: Mutter=gut und Vater =nicht so gut. Im Text wurde ja der Mutter das Sorgerecht entzogen eben weil sie die Bindung der Kinder an den Vater nicht akzeptieren konnte. Wenn alle miteinander sprechen würden, wäre es viel einfacher.

    • @Strolch:

      Der Skandal liegt darin, dass das Kind nicht frei entscheiden kann.



      Das Kind wirď behandelt wie ein Gegenstand.

  • Ich will verbittert klingen, aber tauscht Vater und Mutter in den Text aus und dieser Artikel wäre nie entstanden. Mir wurde mehr als nur einmal sehr deutlich klar gemacht, von Gerichten, Polizei und dem Jugendamt, dass ich als Vater nur für Unterhalt und gelegentliche Umgänge gut bin, entgegen dem ausdrücklichen Wunsch der Kinder, gemäß OLG muss ich die Kinder wohl manipuliert haben, denn kein Kind will viel Zeit mit dem Vater verbringen. Die Schicksale der Kinder sind tragisch.

    • @Angrimm:

      Ich finde es unmöglich, sich auf Grund dieses Artikels ein Bild über die Situation zu machen. Und ja, da haben Sie recht; wären Vater und Mutter vertauscht, würde kein Hahn danach krähen.

  • Es wird allerhöchste Zeit, dass auch hier der EuGH für Menschenrechte unsere Juristen mal wieder auf den Pfad der Tugend zurück holt.

    • @Bolzkopf:

      Seit 2019 hat der EGMR nach Moldova 2 Mal hintereinander Italien, Ukraine und Bulgarien auf Schadensersatz aus Staatshaftung wegen Eltern-Kind-Entfremdung verurteilt.

    • @Bolzkopf:

      "Die Familiengerichte haben nach dem EGMR alle notwendigen Maßnahmen zur Förderung der Vollstreckung des Umgangs zu ergreifen, die nach den besonderen Umständen des Falles vernünftigerweise verlangt werden können. Dies ist insbesondere auch bei der Auswahl und Festsetzung der Höhe des Ordnungsmittels zu beachten. [EGMR v. 15.1.2015 - Nr. 62198/11 (Kuppinger), FamRZ 2015, 469 (470 f.)]"

    • @Bolzkopf:

      EuGH ist kein Gerichtshof für Menschenrechte und (leider) für nationaldeutsches Familienrecht weitgehend unzuständig, wie - vlt. abgesehen von Ihnen - eigentlich allseits bekannt. Vlt. meinen Sie aber dem EGMR? Dieser hat eine inzwischen verstetigte Rechtsprechung nicht nur zu Ordnungsgeld, sondern auch zur Eltern-Kind-Entfremdung als einer ernst zu nehmenden Form psychischer Kindesmisshandlung, einschl. Schadensersatz für betroffene Elternteile (aus Staatshaftung). sui-generis.ch/article/view/sg.160/1661

      • @E. H.:

        EGMR- Genau den meinte ich.



        Hatte mir jetzt die Recherche nach der korrekten Abkürzung geklemmt ...