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SondervermögenReicht das, um die deutsche Infrastruktur zu modernisieren?

Die neue Bundesregierung will viele Milliarden Schulden aufnehmen und investieren. Gelingt die Modernisierung?

Zum Symbol geworden: Die Carolabrücke in Dresden Foto: Robert Michael/dpa

Berlin taz | Es gibt dieses Bild der eingestürzten Carolabrücke in Dresden. Die Ursache waren wohl unsichtbare Risse im Stahl, die niemand hätte erahnen können. Aber um Ursachenforschung geht es an dieser Stelle nicht. Die eingestürzte Brücke wurde zum Sinnbild. Die Erzählung, dass Deutschland eine moderne Volkswirtschaft sei, hat Risse bekommen. Straßen sind marode. Kinder kommen mit Bauchschmerzen nach Hause, weil sie die Schultoiletten nicht benutzen wollen. Und über die Deutsche Bahn wird geschimpft wie über das Wetter – als wäre Unpünktlichkeit eine Naturgewalt.

Deutschlands Infrastruktur braucht ein Update. Darin sind sich auch Union und SPD einig. Noch bevor eine neue Regierung gebildet wurde, haben sie mithilfe des alten Bundestags beschlossen, 500 Milliarden Euro locker zu machen, um Straßen, Schienen, Energienetze, Schulen und Krankenhäuser zu ertüchtigen. Bei einer Laufzeit von 12 Jahren sind es im Schnitt gut 41,6 Milliarden pro Jahr. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) beziffert den Investitionsstau auf 600 Milliarden Euro.

Umso wichtiger ist es, wohin die Milliarden fließen. Laut Koalitionsvertrag sollen Länder und Kommunen 100 Milliarden bekommen, weitere 100 Milliarden sollen in den Klima- und Transformationsfonds fließen. Aus dem Bundesanteil des Sondervermögens sollen zunächst bis 2029 Maßnahmen in Höhe von rund 150 Milliarden Euro finanziert werden.

Das Land wagt also eine Großbaustelle. Doch wer an Großprojekte wie Stuttgart 21 denkt, darf sich zu Recht fragen: Kann Deutschland das eigentlich?

Es braucht Personal

Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB), der sich über den Geldsegen freut, hat keinen Zweifel. „Die Bauindustrie steht parat und kann sofort loslegen“, sagt deren Hauptgeschäftsführer Tim-Oliver Müller. In Deutschland seien „noch nie Bauprojekte daran gescheitert, weil wir nicht leistungsfähig gewesen wären.“

Doch ganz so easy sieht es nicht jeder. Zentral sei, ob ausreichend Baukapazitäten vorhanden sind, also Maschinen plus Personal, das sie bedienen kann, erklärt Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). „Gerade der Tiefbau ist bereits gut ausgelastet“, so Gornig. Der Tiefbau umfasst grob gesagt alles, was unter der Erde und an der Erdoberfläche liegt – also Tunnel, Straßen, Schienen, aber auch Brücken. Gornig begrüßt das Sondervermögen, aber damit es „nicht einfach in den Preisen verpufft, braucht es hier dringend eine Kapazitätsausweitung“, erklärt er.

Es ist eine einfache Rechnung: Wenn die Nachfrage steigt, aber die Kapazität nicht, macht sich das in Preissteigerungen bemerkbar. Doch Kapazitäten ließen sich nicht von heute auf morgen erhöhen, so Gornig. Es brauche auch mehr Personal in den Ämtern: „Bevor der erste Arbeiter eine Baustelle betritt, muss viel passiert sein.“ Wichtig sei also, das Geld „klug und über einen längerfristigen Zeitraum einzusetzen.“

Ökonom Jens Südekum sieht das ähnlich. Für den Kapazitätsaufbau spreche zumindest der lange Zeithorizont des Sondervermögens: Baufirmen könnten davon ausgehen, dass „es die nächsten zehn Jahre viele staatliche Aufträge geben wird, nicht nur punktuell.“ Dies könne dafür sorgen, dass mehr eingestellt wird. „Aber diese potentiellen Bewerber muss es erstmal geben“, sagt Südekum. Deshalb brauche es Reformen, „um die Erwerbsbeteiligung zu erhöhen.“ Werde das nicht berücksichtigt, führe das Finanzpaket „nicht zu Wachstum, sondern zu höheren Baupreisen und Inflation.“ Und steigende Preise für Bautätigkeit würden sich „auch im privaten Wohnungsbau bemerkbar machen.“

Nur Geld reicht nicht

Nur mit mehr Geld, darin sind sich Ex­per­t*in­nen einig, sei es nicht getan. Wichtig sei, die öffentlichen Auftraggeber in die Lage zu versetzen, die zusätzlichen Projekte auch bewältigen zu können“, sagt der Verband der Deutschen Bauindustrie. Planungsprozesse müssten beschleunigt werden. Bisher gäbe es zu viel Klein-Klein und ein unflexibles Vergaberecht.

Laut Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot soll das Bauen schneller, besser und kostengünstiger werden. In den ersten 100 Tagen soll ein Gesetzentwurf für einen Bauturbo vorgelegt werden. Kann aber auch sein, dass das alles trotz bester Absichten ein Papiertiger bleibt. Stichwort: Bürokratieabbau oder Digitalisierung. Welche Vorgängerregierung hat sich das nicht vorgenommen?

Nehmen wir das Beispiel des digitalen Bauantrags – der ist nicht unwichtig, um die Prozesse zu beschleunigen und die Kosten unter Kontrolle zu halten. Schon Bundeskanzler Olaf Scholz hatte im Zuge seines Deutschlandpakts angekündigt, dass bis Ende 2023 in allen Bundesländern der digitale Bauantrag umgesetzt wird. Auf Nachfrage heißt es nun: Aktuell böten bundesweit „594 der 934 Vollzugsbehörden den Dienst „Digitale Baugenehmigung“ an. Das entspricht etwa 64 Prozent. Eigentlich war die Idee, dass alle Bundesländer das gleiche System nutzen, aber einige Länder haben lieber eigene Lösungen entwickelt.

Der Deutsche Städtetag begrüßt das Sondervermögen Infrastruktur, aber sieht Fallstricke. Bund und Länder müssten „zügig dafür sorgen, dass die Mittel unkompliziert und schnell vor Ort ankommen“, fordert Markus Lewe, Präsident des Deutschen Städtetages, der auch Oberbürgermeister in Münster ist. „Was wir nicht brauchen, sind komplizierte Förderprogramme, für die wir Projektmanager einstellen müssen“, sagt er.

Er fordert, dass Städte aus dem Sondervermögen feste Budgets bekommen, „um das zu machen, was vor Ort notwendig ist.“ Doch derzeit ist nicht mal klar, nach welchem Verteilungsschlüssel das Geld fließen soll. Der Landkreistag in Sachsen-Anhalt fordert gar einen „Faktor Ost“ – die ostdeutschen Bundesländer sollen besonders berücksichtigt werden.

Was ist mit dem Wohnungsbau?

Unklar ist, was durch das Sondervermögen unterstützt werden soll. In der Berichterstattung scheint der Wohnungsbau meist nicht gemeint zu sein. Wenn der Fokus nun auf Straße und Schiene liegt, fürchten manche, dass der ohnehin durch hohe Zinsen gebeutelte Wohnungsbau noch stärker leidet. Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt teilt die Sorge nicht. Wenn nun tatsächlich Anschubinvestitionen flößen, würde „auch der Wohnungs- und Gebäudebau davon profitieren“, teilt Sprecher Frank Tekkiliç der taz mit.

Etwas skeptischer sieht das Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts. „Ich war erschrocken, als die 500 Milliarden im Raum standen und der Wohnungsbau keine Rolle spielte“, sagt er der taz. Günther fordert schon lange ein Sondervermögen für den Wohnungsbau, insbesondere die Zahl der Sozialwohnungen sinkt seit Jahrzehnten.

Wohnen sei „nicht nur die soziale Frage unserer Zeit, sondern auch Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg“, sagt Günther. „Dringend benötigte Fachkräfte müssten auch irgendwo wohnen.“ Schon heute sei der Wohnraummangel eine Bremse für die Gewinnung von Mitarbeitern, sagt auch Axel Gedaschko, Präsident des Interessenverbands der Wohnungswirtschaft GdW.

Doch können die Mittel aus dem Sondervermögen auch für den Sozialen Wohnungsbau verwendet werden? Noch-Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) antwortete kürzlich auf dem Wohnungsbautag ausweichend: Das Sondervermögen werde „mit einem Wirtschaftsplan ausgestattet, wo wir unterschiedliche Bedarfe etablieren.“ Klar sei aber, „dass es eine zusätzliche Förderung“ brauche.

Eine Sprecherin des SPD-Vorstands teilt der taz auf Nachfrage hingegen mit: „Über das Sondervermögen kann auch der Wohnungsbau gefördert werden.“ Auch die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen fordern, dass Mittel aus dem Sondervermögen „gezielt über kommunale Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften in den Bau neuer Wohnungen fließen“ sollten. Doch ob die Union das genauso sieht, ist unklar. Eine Sprecherin der Union verweist lediglich auf das geplante Errichtungsgesetz für das Sondervermögen. Darin müssten Details festgelegt werden.

Ob Deutschland also so viel bauen kann, wie es sich vorgenommen hat, hängt von vielen Stellschrauben ab – viel Potential also, dass sich noch unsichtbare Risse auftun.

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8 Kommentare

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  • Das Sondervermögen ist ein schlechter Witz, den wir, nebenbei bemerkt, auch den Grünen zu verdanken haben. Ein geschenkter Gaul, den die neue Regierung von hinten aufzäumen kann.

    Die genannten 500 Milliarden Euro reichen kaum aus, um die aufgelaufenen Schulden von Gemeinden und Länder zu decken. Die haben, Stand 2024, Schulden von 776,3 Milliarden Euro und ohne haushaltstechnische Tricksereien wären viele Städte längst pleite.

    Dass so eine große Summe nicht einfach mal so in sinnvolle Maßnahmen fließen kann, legt der Artikel ja dar. Aber da lauern noch andere Nebenwirkungen, nicht nur Preissteigerungen:

    Man hofft auf ein Jobwunder, aber es werden keine soziale Frage gelöst. Im Gegenteil, zur Gegenfinanzierung sollen Mittel für z.B. Integrationskurse gestrichen werden.

    Mit Bürokratieabbau und beschleunigten Verfahren sollen vor allem auch Rechte für Mitbestimmung und Verbraucherschutz gestrichen werden und die BürgerInnen dem Wirken von Politik, Staat und Wirtschaft noch mehr ausgeliefert.

    Wo Infrastruktur gebaut oder erneuert wird und nicht nur da, leidet die Umwelt, denn es wird Material und Energie verbraucht, Bauschutt und andere Abfälle bleiben übrig.

  • Ich fände es sehr wichtig, dass die A22 endlich kommt. Wenn das ein Sondervermögen leistet, prima. Und ich sage das als bekennender Nicht-Autofahrer.

  • Wer mit dem Auto unterwegs ist und die endlosen Straßen"bau"stellen sieht, die jahrelang den Verkehr verhindern und bei denen man nur im Schneckentempo einen Fortschritt sieht, der hat dazu sicher eine eigene Meinung. Klar, womit der Tiefbau gerade beschäftigt ist. Damit, seine Baufahrzeuge auf den Autobahnen parken zu lassen.



    Ich wohne im Rheinmain-Gebiet und sehe, dass auch der Ausbau einer Bahnstrecke durchaus erfolglos viele Jahre dauern kann. Hier wurde gerade eine S-Bahn-Strecke fertig ausgebaut. Nach Jahren für ein paar Kilometer ist die Bahn auf dieser Strecke nun noch unzuverlässiger. Viele Pendler steigen entnervt wieder aufs Auto um.



    Also ich sehe da eher gebremsten Optimismus, was tatsächlich passieren wird.

  • Danke für die Gegenüberstellung von Wohnraummangel (auch für die noch anzuheuernden Facharbeiter) und sagenhafter Geldausschüttung in Gefahr schlicht in einer Preisinflation zu versackern.



    Zur Frage und den Kosten der Digitalisierung der Behörden: ob's denn auch wirklich effizienter werden wird, steht irgendwie im Raum. Meiner Erfahrung nach bring das "paperless office" andere und neuartige Zeitverschwendungsweisen mit sich. Man hofft, dass das Alte und das Neue auch mal wissenschaftlich verglichen wurden und man nicht nur der von Microsoft et al aufgesetzten Reklame immer wieder aufsitzt.

  • Die beiden Hauptfallstricke sind verklausuliert bereits enthalten: Mangel an Bewerbern und beinharte Lobbyisten.



    Jens Südekum fordert, „die Erwerbsbeteiligung zu erhöhen“ – in Zeiten, in denen die Erwerbsbeteiligung ihren Zenit erreicht hat und die Politik alles tut, um Entlastung durch Zuwanderung zu verhindern. Ältere sind zumindest für die Arbeit auf dem Bau auch nicht sehr vielversprechend. Also: Es gibt kein Personal!



    Axel Gedaschko, CDU, behauptet, der Wohnraummangel erschwere die Gewinnung von Mitarbeitern. Nun ist Gedaschko aber kein Lobbyist für Betriebe, die Mitarbeiter suchen (die es, s. o., auch nicht gibt), sondern der Großvermieter. Also: Die Vermieter wollen Geld vom Steuerzahler, um mehr vermieten und damit mehr verdienen zu können.



    Solange Lobbyisten bestimmen, wo es langgeht und niemand sich damit befasst, wie die vorhandenen Fachkräfte einfach in Ruhe ihre Arbeit erledigen können, wird es mit Deutschland auch nicht wieder bergauf gehen.

  • Man muss sicher strukturiert vorgehen, dafür sollte man auf allen Ebenen erstmal den Bedarf abstimmen und auch die Fachleute der mittleren und unteren Ebene mit einbeziehen und die Bürokratie-Verwaltungsbeamten in Ministerien und Behörden ruhigstellen. Mit einer Standardisierung und Musterplanungen lässt sich auch bei Brücken viel Aufwand sparen, denn superschicke Designerbrücken sind ja gerade unsere Problemfälle. Ansonsten müsste man auch Kapazitäten umschichten. Es gibt da z.b. Fernwärmeprojekte, wo man auf Teufel komm raus Leitungen verlegt und aber noch keinen Plan hat, wo man denn zukünftig die Wärme herbekommt, wenn man von Kohle und Gas weg möchte.

  • "Und steigende Preise für Bautätigkeit würden sich auch im privaten Wohnungsbau bemerkbar machen.“ Und das geht mir in der ganzen Diskussion zu sehr unter. Alleine für Kasernen wird in den kommenden Jahren 65 Milliarden Euro oder so aufgewandt werden müssen. Das heißt aber auch die Handwerker stehen dann nicht zur Verfügung um Häuser zu bauen, Baumaterialien waren schon in den letzten Jahren teuer, jetzt wird der Preis nochmal steigen. Und die Verwaltung ist dann mit der Genehmigung von staatlichen Bauprojekten beschäftigt d.h. es steht auch weniger Bürokratische Macht zur Verfügung. Daher wird es in den nächsten 10 Jahren auf dem Wohnungsmarkt eher düster ausschauen. Es müsste vieles neu-gebaut werden, vieles was steht müsst saniert oder abgerissen und neugebaut werden.

  • Das ist ein Fortschritt!



    Zuerst einmal ist die Entscheidung für ein Sondervermögen eine gute Entscheidung.



    Warum daran schon wieder herumgekrittelt wird, ist nicht einzusehen.



    Entgegen Merz Positionierung hat ihn die SPD überzeugen können, dass Investitionen in unseren Wirtschaftsstandort wichtig sind.



    Das wird durch trumps Chaospolitik um so wichtiger. 40 Mrd. pro Jahr ist eine erhebliche Menge.



    Das muss erstmal umgesetzt werden können. Der Fachkräftemangel ist eben auch in Planungsbüros und der Verwaltung gegeben.



    Hier geht Fachkompetenz vor Digitalisierung.



    Eine neue Brücke sollte schon halten, am besten 50+ und nicht zusammenbrechen.



    Für das Erstellen derartiger Bauwerke ist sowieso nur ein Teil der Bauwirtschaft in der Lage . Ein Zeithorizont von 10 Jahren ist hier angebracht, da Planung, Umleitung und Bau oft mehrere Jahre in Anspruch nehmen.



    Es ist zu begrüßen, dass der Zeitfaktor, sowie die Umsetzung in der Berichterstattung nun einen Platz einnehmen.



    Ein "Bauturbo" nach 100 Tagen bedeutet eben, dass für die Ausgestaltung des Plans 100 Tage angesetzt werden. Es sollte somit klar sein, dass es erst dann Lösungen und Antworten geben wird.