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Sondervermögen und globale KrisenEs geht um unsere Sicherheit – aber wer sind wir?

Für Verteidigung fließen Milliarden, doch soziale Sicherheit bleibt Luxus. Unser Autor fragt sich: Wie kann man da an Zukunft glauben?

Kinder kriegen oder keine Kinder kriegen? Große Fragen beim Spaziergang an der Alster Foto: Lars berg/imago

S icherheit, was ist das eigentlich? Das frage ich mich zuletzt öfter. Auch als ich mit meinem Vater um die Hamburger Außenalster in den Sonnenuntergang spazierte, an Kleinfamilien in teuren Klamotten und teuren herrschaftlichen Villen vorbei. Das, was ich sah, erinnerte mich an die große Frage meiner Generation: Kinder kriegen oder keine Kinder kriegen?

Ich habe nichts gegen Kinder, aber ich fühle mich auch nicht sicher genug, um selbst welche zu kriegen. Diese Unsicherheit teilte ich mit meinem Vater und fragte ihn, wie es denn eigentlich bei ihm gewesen sei. „Was für eine Unsicherheit eigentlich? Du hast so viel mehr Möglichkeiten als wir damals“, antwortete er darauf nur und musste sich ein bisschen zusammenreißen, damit er nicht nur schmunzelt.

Klar, wenn man Kinder will, könnte man sich finanziell schon ein bisschen besser aufstellen als ich. Und klar, man kann auch warten, bis sich die Weltlage vielleicht doch wieder ein bisschen entspannt. Wer vor drei Jahren ein Kind bekommen hat, der konnte schließlich noch auf die westliche Wertegemeinschaft und die USA als wichtigsten Alliierten zählen.

Andererseits: Als ich auf die Welt kam, war mein Vater zehn Jahre jünger als ich, er war gerade als Arbeiter nach Deutschland gekommen, konnte die Sprache nicht und wusste auch sonst wenig über dieses Land. Als später meine Geschwister auf die Welt kamen, brannten in Deutschland Häuser von Menschen wie meinen Eltern.

Heute sitzen die Nazis im Parlament, aber Menschen wie ich sind dem Rassismus nicht mehr so ausgeliefert, dank der Chancen, die Eltern wie meine für ihre Kinder erarbeitet haben. Und wenn Menschen wie ich Kinder bekommen, dann werden sie den Nazis noch selbstbewusster entgegentreten.

Armut, Wohnen, Klima, Pflege

Ja, was für eine Unsicherheit eigentlich? Als wir die Außenalster umrundet und am Ausgangspunkt unseres Spaziergangs angekommen waren, schmunzelte ich auch.

Was ich auch dachte: Sicherheit für wen? Genau diese Frage geht mir in letzten Tagen schon wieder durch den Kopf, nachdem die wahrscheinlich nächste Bundesregierung aus Union und SPD das Ergebnis ihrer Sondierungsgespräche und dazu ein Finanzpaket vorgestellt hat.

Das sieht zwar ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur vor, aber die Schuldenbremse soll allein für höhere Verteidigungsausgaben gelockert werden. Dabei liegen die Dinge in so vielen anderen Bereichen ebenso im Argen: Armut, Wohnen, Klima, Pflege und so weiter. Wenn ein halbwegs gleichberechtigtes, also sicheres Leben für alle Menschen möglich sein soll, dann braucht es mehr als ein Sondervermögen, das nicht mal dafür reicht, die Infrastruktur zu sanieren.

Putins Expansionismus ist real, genauso Trumps Zerstörung alter Allianzen – und schließlich geht es um unser aller Sicherheit. Und vor dem drohenden Krieg sind wir doch alle gleich, nicht wahr?

Vor ein paar Jahren war die Coronapandemie die große Gleichmacherin – denn das Virus unterscheidet nicht zwischen Arm und Reich, nicht wahr? Wie wenig das stimmt, wie sehr Sicherheit eine Frage des Geldbeutels ist, das haben die Pandemiejahre anschließend gezeigt.

Sicherheit ist eine Frage der Perspektive. Und mein Sicherheits­­gefühl ist nicht das Maß aller Dinge

Es gibt keine absolute Sicherheit. Sicherheit ist eine Frage der Perspektive. Und mein Sicherheitsgefühl, daran wurde ich beim Spaziergang um die Außenalster erinnert, ist nicht das Maß aller Dinge.

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Volkan Ağar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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3 Kommentare

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  • "Ich habe nichts gegen Kinder, aber ich fühle mich auch nicht sicher genug, um selbst welche zu kriegen. Diese Unsicherheit teilte ich mit meinem Vater und fragte ihn, wie es denn eigentlich bei ihm gewesen sei. „Was für eine Unsicherheit eigentlich? Du hast so viel mehr Möglichkeiten als wir damals“"



    Bin da voll und ganz beim Vater des Autors - noch nie gab es mehr Sicherheit, medizinische Versorgung und soziale Fangnetze als heute 🤷‍♂️



    Nachkriegszeit, Mittelalter, Frühzeit - nach den heutigen Bedenken hätte da nie einer ein Kind kriegen dürfen...🙄

  • Im Neoliberalismus wird alles individualisiert:

    Die Leute bekommen keine Kinder mehr? Persönliche Wahl! Egoismus (wer soll denn die Renten zahlen?)!

    Es ist natürlich ein Widerspruch, das Individuum zu predigen, es aber gleichzeitig als Kinderaufzucht- und Gebärvehikel zu benötigen (sowie für Produktivität selbstverständlich).

    Vielleicht sollte man mal darüber nachdenken, dass unsere Gesellschaft jungen Menschen weder die traditionellen Sicherheiten der Familie noch die moderne Ansicherung des Sozialstaats mehr bietet.

    Das könnte - eventuell - zu sinkenden Geburtsraten beitragen, hm?

    Aber andererseits zählen solche Gefühle im Neoliberalismus auch nicht mehr groß.

  • Für unsere Sicherheit empfiehlt der Osterhase ein israelisches Rezept mit denglischem Namen:

    Ei-on-Dome

    Sicher ist also wer in Orten wie Köln wohnt. Der Genuss eines Eies auf dem Dom, das gibt Sicherheit ;-)