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editorialScheinwerfer auf den Osten richten

Liebe Leser:innen,

FKK-Strände, Schrebergärten, Trabis und Plattenbauten: Wenn Sie jetzt an einen verschlafenen Ort in Ostdeutschland denken, sind Sie damit nicht allein. Diese Begriffe sind eine Fährte, die unsere Köpfe direkt gen Osten führt. Sie sind historisch gewachsen und im kollektiven Gedächtnis eng mit der Kultur und Geschichte der ehemaligen DDR verknüpft. Doch diese Nostalgie wird angesichts der politischen Entwicklungen zunehmend von Politikverdrossenheit, Radikalisierung und Rechtsruck überschattet. Die öffentliche Debatte über die neuen Bundesländer wird dieser Tage stets von negativen Stereotypen dominiert, auf eine zunehmend herablassende Art und Weise geführt. Von Optimismus und Zuversicht scheint jede Spur zu fehlen.

Besonders hart trifft dieser Pessimismus die jüngere Generation. Die Ergebnisse der Europawahl im Juni haben das Bild der radikalen rechtsextremen ostdeutschen Jugend zementiert und der alten Debatte über „die Abgehängten“ einen neuen, demografischen Anstrich verliehen.

Besorgt schaut der Rest der Republik nun also auf die Landtagswahl in Brandenburg, wo die AfD wie in Thüringen stärkste Kraft werden könnte. Wieder einmal geht es bei den Wahlen vor allem um Identität und Zugehörigkeit – sensible Themen, die von rechtsextremen Kräften, namentlich der AfD, für ihre Zwecke instrumentalisiert werden. Diese profitiert von der angestaubten Ost-West-Debatte, indem sie die gesellschaftliche und politische Spaltung mithilfe von emotionalisierten Diskursen und zugespitzten Vorurteilen gezielt vorantreibt. Angesichts der letzten Wahlerfolge der Partei ist derzeit die Gefahr, dass sich ebenjene Stereotype zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung entwickeln, größer als je zuvor.

Der öffentliche Diskurs scheint oft nur zwei Lager zu kennen: Ost oder West, links oder rechts, gut oder böse. Plakate des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) treiben diese Polarisierung auf die Spitze und fragen nach „Krieg oder Frieden?“, „Maulkorb oder Meinung?“. Was Brandenburg tatsächlich umtreibt, fällt dabei unter den Tisch. Denn es gibt sie, die Branden­bur­ger:in­nen, die sich vehement gegen das ostdeutsche Image wehren und für ihre Herzensangelegenheiten kämpfen: Themen wie die Tesla Factory in Grünheide, die Integrationspolitik von Gemeinden, das Erbe der Kohleindustrie oder die Rettung der Oder finden jedoch kaum Beachtung.

Diese und andere Themen beleuchten wir mit diesem dritten Dossier, nun zu Brandenburg, aus Sicht junger Menschen (16 bis 28). Auf Einladung der taz Panter Stiftung haben wir uns seit dem Frühjahr mit diesen Fragen auseinandergesetzt, um die Scheinwerfer einmal auf „Dunkeldeutschland“ zu richten!

Lenja Vogt und Tim Kemmerling

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