Somalia nach dem Terroranschlag: Ein ganzes Land unter Schock
300 Menschen starben bei einem Terroranschlag. Noch ist Somalias Regierung nicht stark genug, um gegen die Shabaab-Islamisten zu bestehen.
Drei Tage nach dem blutigsten Anschlag der somalischen Geschichte stehen die Einwohner der Hauptstadt Mogadischu noch unter Schock. Am Montag lag die Zahl der Todesopfer des Anschlags vom Samstagabend bei rund 280, aber noch immer werden in den Trümmern Leichen gefunden. Krankenhäuser sind überfüllt. Einige Verwundete wurden zur Behandlung in die Türkei ausgeflogen.
Jeder in Somalia glaubt, dass das Attentat von den radikalislamistischen Shabaab-Milizen verübt wurde. Dass die Shabaab nicht die Verantwortung übernommen haben, könnte darauf hinweisen, dass das Ziel des Anschlags nicht der belebte Platz war, wo der Lastwagen voller Sprengstoff explodierte. Gewöhnlich richtet Al-Shabaab seine Anschläge gegen Militär, Polizei oder Regierung. Dieses Mal sind Hunderte zufällig anwesender Zivilisten tot – keine gute PR für die Bewegung. Einen Tag nach dem Anschlag demonstrierten Menschen in Mogadischu gegen Al-Shabaab.
Der schwachen somalischen Armee und der regionalen Friedenstruppe Amisom der Afrikanischen Union ist es zwar gelungen, die Terrorbewegung aus Mogadischu und anderen größeren Orten zu vertreiben. Aber auf dem Lande hat Al-Shabaab noch immer große Gebiete unter Kontrolle. Und es ist schwierig für konventionelle Truppen, Guerillaanschläge zu verhindern. Voriges Jahr kamen bei Anschlägen in Somalia mehr als 700 Menschen um.
Manche somalische Politiker gaben kurz nach dem Anschlag der EU und den USA eine Mitschuld, weil sie nicht genug Geld für die Gehälter der Soldaten geben und auch nicht dafür sorgen, dass die Regierungsarmee aus dem gegen Somalia geltenden UN-Waffenembargo ausgenommen wird. Aber die Finanzhilfen sind vor allem deshalb ausgetrocknet, weil viel von dem Geld nie beim Militär landete.
In den vergangenen Wochen ist es Al-Shabaab gelungen, die somalische Armee aus mehreren militärischen Positionen zu vertreiben. Und die Zahl der Angriffe in der Hauptstadt stieg. Das alles ist eine besorgniserregende Entwicklung, denn im nächsten Jahr wird der Rückzug der über 20.000 Soldaten von Amisom beginnen, die von Äthiopien, Burundi, Dschibuti, Kenia und Uganda gestellt werden. Ende Mai 2018 soll die Mission vollständig enden. Dann muss Somalias Armee den Kampf gegen Al-Shabaab allein führen.
Türkei errichtet Militärbasis
Zwar ist die Türkei in die Bresche gesprungen und hat vor Kurzem eine große Militärbasis in Mogadischu eröffnet, um die somalische Armee zu trainieren. Aber die Frage ist, ob das in kurzer Zeit möglich ist und ob auch die Finanzierung geregelt werden kann. Jetzt passiert es oft, dass somalische Militärs auf dem Markt ihre Waffen verkaufen, um Geld für ihre Familien zu bekommen.
Der in Februar gewählte Präsident Mohamed Abdullahi Mohamed, bekannt unter seinem Spitznamen Farmaajo, hatte vor einem halben Jahr den totalen Krieg gegen Al-Shabaab verkündet. Die Erwartungen der Bevölkerung waren hoch. Aber selbst das Ausschalten von Shabaab-Führern durch US-Drohnenangriffe scheint die Gruppe nicht entscheidend zu schwächen.
Vorige Woche traten Verteidigungsminister Abdirashid Abdullahi und Generalstabschef General Mohamed Ahmed während der wöchentlichen Kabinettssitzung zurück. Sie gaben keinen Grund an. Quellen in der Regierung sprechen von tiefer Rivalität zwischen den beiden. In diese Führungskrise platzt nun der verheerende Anschlag. Präsident Farmaajo wird erst ernst machen können mit seinem Versprechen, wenn seine Kriegsmaschine funktioniert. Bis dahin ist kein Ende von mehr als 25 Jahren Bürgerkrieg in Somalia in Sicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind