Solisampler für den Libanon: Beirut, wir hören Dich!

Das Berliner Label Habibi Funk hat sich auf arabische Musik spezialisiert, die man kennen sollte. Jetzt hat es mit einem Solialbum für Beirut Erfolg.

Ein Mann sitzt fotografierend auf einer Mauer vor zerstörten Kränen

Das durch die Explosion zerstörte Hafenareal in Beirut Foto: Bilal Hussein/ap

Entsetzen, nicht mehr, nicht weniger. Die Bilder von der gigantischen Explosion am 4. August im Beiruter Hafen verstörten, ließen einen ohnmächtig darnieder sinken, auch, weil die Ursache nach wie vor nicht geklärt ist. Die Verzweiflung der Bevölkerung in der libanesischen Hauptstadt ist real – man befürchtete zwischenzeitig, dass die „Politik-Eruption“ den Fokus der Welt schon wieder verschieben könnte. Ganz pessimistische Geister munkelten in den sozialen Medien schon am Folgetag, dass die große Solidarität – im Gegensatz zum Großbrand der Kirche Notre-Dame in Paris – womöglich ausbleiben würde. Denn die Welt war in den letzten knapp 50 Jahren stets gut darin, das Leid der Libanesen und der Beiruter Bevölkerung einfach zu ignorieren. Sie täuschten sich.

Man bedenke: Auch schon vor der Explosion, die mittlerweile mehr als 170 Menschen das Leben kostete (viele werden noch vermisst) und mehr als 5.000 Verletzte forderte, waren die Einwohner des levantinischen Landes schwer gezeichnet durch Inflation und Staatskrise. 65 Prozent der Bevölkerung waren Schätzungen zufolge in die Armut gerutscht; hier in Deutschland erfuhr man wenig davon. Das war nicht immer so.

Ältere Semester erinnern sich gerne an die Zeit vor dem Bürgerkrieg, als der Libanon die „arabische Schweiz“ genannt wurde und Beirut als „Paris der Levante“ galt. Kulturelle Vielfalt, religiöse Offenheit, ein Sehnsuchtsort für europäische Hippies, Aussteiger und Existenzialisten.

1975 begann der Bürgerkrieg, der bis 1990 dauern sollte, mit ständig wechselnden Koalitionen, Feindbildern, internationalen Eingriffen aus Syrien, Israel und den Vereinten Nationen – Material für Geschichtsseminare. Dies führte in Folge zu flüchtenden Menschen und Exilanten. Einer unter ihnen ist der Songwriter Issam Hajali, der zumindest für 13 Monate ins Exil nach Paris ging.

Der frankophone Libanese war zwar notorisch klamm, was ihn zu ausgeprägten Live-Sessions als Musiker in der Pariser Metro zwang, doch er hatte Größeres im Sinn. Wenn er genügend Geld für einen Studiotag erspielt hatte, buchte er sich ein und produzierte dort – zusammen mit befreundeten (Straßen-)Musikern aus dem Libanon, aus Paris, aus dem Iran.

Als Hajali in den Libanon zurückkehrte, ging die künstlerische Karriere weiter, mit der Band Ferkat Al Ard entstand ein Titel, der übersetzt „Lied“ heißt. Warum wir dies wissen? Das Berliner Label Habibi Funk erzählte jene Geschichte, als Issam Hajalis Soloalbum vom Labelmacher Jannis Stürtz neuaufgelegt wurde.

Und noch viele weitere Storys und Lebensläufe wurden von Stürtz und dem Label wieder zugänglich gemacht, nein, für den „Westen“ als Vinyl aufbereitet. Das 2015 gegründete Sub-Label des HipHop-Labels Jakarta hat sich spezialisiert auf Künstler*innen, die aus der Levante, aus Arabien und aus dem Maghreb stammen, die man aber hierzulande nicht kennt – aber unbedingt kennen sollte.

Jede Geste von Habibi Funk ist bedacht, kulturellen Austausch anzustoßen und jegliches Moment der Ausbeutung, welche bei anderen Re-Issue-Labels manchmal bemerkbar ist, zu vermeiden.

Und weil Habibi Funk so sehr von Musiker*innen wie Issam Hajali, Róger Fakhr und Munir Khauli profitiert hat, gibt das Label nun in dieser Notsituation alles zurück: „Solidarity with Beirut“, eine spontan zusammengestellte Compilation mit atemberaubender Musik aus dem Libanon ist online erhältlich, alle Einnahmen aus dem Verkauf fließen an das libanesische Rote Kreuz!

Und der Erfolg bei dem Digitalverkauf- und Streamingportal Bandcamp stellte sich glücklicherweise bald ein: Innerhalb der ersten 24 Stunden sammelte man 10.000 Euro. Jeder weitere Cent zählt – und dass man dazu noch sieben Zeugnisse grandiosen libanesischen Songwritings obendrauf bekommt, macht es für manch einen einfacher. Denn ja: Beirut, wir hören dich!

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