Solidarität mit der Natur: Wie Mutter Erde überleben kann

Wie können wir uns mit der Natur solidarisieren? Antworten geben ein Indigener, ein Forstamtsmitarbeiter und ein Primatenforscher.

Eine Ziege guckt in ein Auto

Schaffen es die Menschen, sich wenigstens mit Tieren zu solidarisieren? Foto: James Gritz/robertharding/laif

Dieser Text ist Teil einer freundlichen Übernahme. Die taz Genossenschaft wird in diesem Jahr 30 Jahre alt. Zum Feiern haben 18 unserer über 22.200 Ei­gen­tü­me­r*in­nen eine eigene taz gemacht. Die ganzen 16 Seiten gibt es am 2./3. Juli am Kiosk oder hier.

Vier Tage lang hatte ich meine Rede perfektioniert und eingeübt. Nun war es so weit. An einem Donnerstagabend im Mai stand ich vor den fünf Mit­glie­dern des Planungsausschusses von Montgomery County im US-Bundesstaat Maryland. Auf der Agenda stand die öffentliche Anhörung zur Neugestaltung des örtlichen Regionalparks. Wie in einem Gerichtssaal trennte eine Balustrade Be­su­che­r:in­nen von den Ausschussmitgliedern. Es war nervenaufreibend.

Ich war nicht die Einzige, die über sich hinauswuchs. Mit mir sagten noch zwei Dutzend weitere Bür­ge­r:in­nen aus. Ohne uns zu kennen, hatten wir alle spontan beschlossen, unsere Argumente vorzutragen. Dabei kämpften wir nicht für den Erhalt unseres Zuhauses, einer Schule oder eines Jugendzentrums, sondern wir stritten für einen Reitstall, ein Heim von 34 Pferden, der seit 60 Jahren Anziehungspunkt für groß und klein ist. Er drohte, einem Sportplatz weichen zu müssen. Mit fester Stimme schleuderte ich den Ausschussmitgliedern entgegen: „Wir haben ein wahres Juwel mitten in einer Metropole. Zerstört es doch nicht! Seid kreativ, um diesen Schatz zu erhalten!“

Viele weitere Bür­ge­r:in­nen hatten E-Mails geschrieben und protestiert. Unser Engagement machte mich nachdenklich: Wieso hatten so viele Menschen spontan die Zeit und Kraft, sich für einen Reitstall und 34 Pferde einzusetzen, während wir gleichzeitig mit der Klimakrise kämpfen?

In meiner Nachbarschaft, einem bürgerlichen Viertel mit niedrig gebauten, u-förmigen Wohnkomplexen und Grünflächen in den Innenhöfen, lässt sich unser destruktives Verhalten beobachten: Menschen fahren mit Autos vor, steigen aus und ein oder bleiben sitzen, ihre Köpfe über das Handy gebeugt. Und: Die Motoren summen im Leerlauf und verpesten unbedacht die Luft. Manchmal ein paar Minuten, manchmal über eine halbe Stunde.

Soli mit Mehlschwalben

Ist diese selektive Solidarität ein spezifisch US-amerikanisches Beispiel? Mitnichten. In Meßkirch zum Beispiel, einer Kleinstadt im Südwesten Deutschlands, solidarisierten sich Menschen mit Mehlschwalben und beschenkten die bedrohte Vogelart mit einem Mehlschwalbenhaus – während gleichzeitig das Tempolimit auf deutschen Autobahnen boykottiert wird.

Für eine Erklärung dieses Phänomens wende ich mich an jene, die sich wissenschaftlich mit dem Thema beschäftigen, und jene, die kulturell und beruflich eine innige Verbindung zur Natur pflegen.

Solidarität definieren Barbara Prainsack und Alena Buyx in ihrem Buch „Solidarity in Biomedicine and Beyond“ als den unbedingten Einsatz für diejenigen, mit denen sich die Helfenden identifizieren und zugehörig fühlen, selbst wenn sie für ihren Einsatz finanzielle, soziale oder emotionale Kosten auf sich nehmen müssen. Für die Solidarität mit der Natur gibt es den Begriff der ökologischen Solidarität, der sich unter anderem als die Akzeptanz des Menschen definiert, sich als integralen Teil des Ökosystems zu verstehen.

Haben sich indigene Völker nicht schon immer mit der Natur solidarisiert? Ich treffe ein Mitglied der Navajo Nation in einem mexikanischen Restaurant. Er möchte nur Tom genannt werden, ist Anfang 40, trägt schwarze kurze Haare, Jeans und ein T-Shirt mit dem Aufdruck eines lokalen Fitnessstudios. Er hat ein warmes Lächeln.

Tom ist im Reservat im nordöstlichen Arizona aufgewachsen. Seine Vorfahren hätten sich in der Tat als Teil der Natur empfunden. Für sie seien Mond, Erde und Himmel nicht einfach nur Planeten und Luftraum über der Erde gewesen, sondern Familienmitglieder. „Der Mond war ihr Bruder, ihre Mutter die Erde, der Himmel ihr Vater. Sie wussten, dass es ohne die Natur kein Überleben für sie gab.“

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

1868 wurden die Navajo ins Reservat abgeschoben, das Teile der US-Bundesstaaten Utah, Arizona und New Mexico umfasst. Danach hätten sie ihre Traditionen nicht mehr leben können und sich immer mehr von ihrer Familie Natur entfernt. Sie konnten sich nicht mehr in und mit der Natur ernähren, sondern mussten in Handelsstationen der Weißen einkaufen.

Heute ist Tom froh, im Reservat aufgewachsen zu sein, trotz einer Kindheit in Armut und vielen Entbehrungen. Dort habe er gelernt, aus wenigem das Beste zu machen. Mit 17 Jahren verließ er das Reservat, um zu studieren. Seine Familie feiert noch immer die traditionellen Feste zu Ehren von Mutter Erde, Vater Himmel und Bruder Mond. Das Gefühl, Teil der Natur zu sein, sei sofort wieder präsent, sobald er nach Hause zu seiner Familie komme – auch wenn er sich sicher sei, dass es mit dem Naturgefühl seiner Vorfahren nicht vergleichbar ist.

Für die Zukunft ist Tom optimistisch: Schon heute verbinde sich die Navajo Nation wieder stärker mit der Natur. Junge Navajo, die an den Universitäten gut ausgebildet wurden, kämen zurück, um im Reservat eine Zukunft für sich aufzubauen. Sie etablierten umweltfreundliche Bewässerungs- und erneuerbare Energiesystem.

Auch innerhalb der nicht indigenen Gesellschaft gibt es Menschen, die in und mit der Natur arbeiten. Vor Kurzem durfte ich Mike kennenlernen. Er ist ein 67-jähriger kräftiger Mann, der lange als sogenannter „Maultier-Packer“ für den National Forest Service, das nationale Forstamt, gearbeitet hat. Mit seinen Maultieren, die Gepäck trugen, erreichte er Orte in der Wildnis von Wyoming, die anders nicht zugänglich wären.

Manchmal begleitet er auch Touristen auf Ausflüge. Er arbeitete bei der Feuerwehr und half bei der Aufforstung nach Waldbränden. Obwohl Mike hart sein Leben lang in der Natur gearbeitet hat, ist ihm die Debatte über den Klimawandel suspekt. Sicherlich würde dieser viele Regionen hart treffen, andere Regionen würden dafür aber profitieren.

Die Waldbrände im Westen der USA sieht Mike beispielsweise eher gelassen. Nahe seiner Heimatstadt in Wyoming habe es seit 1917 viermal gebrannt, das letzte Mal 2017. Er sagt, viele Ökosysteme seien auf die neuen Bedingungen nach Bränden und Überflutungen angewiesen, um sich zu erneuern und zu überleben. Natürliche Brände sollten aus seiner Sicht daher gar nicht gelöscht werden. Er wünscht sich, kontrollierte Brände würden denen nachgeahmt, wie sie die amerikanischen Indigenen kultiviert haben: regelmäßig, in Mosaikform, damit sie klein und kontrollierbar bleiben. Richtig findet er, Äcker nicht mehr zu pflügen, um Bodenerosion zu verhindern. Gesunde Böden und Pflanzen seien das A und O.

Doch wie können wir alle gemeinsam daran arbeiten, unsere Lebensgrundlage zu erhalten? Der Wissenschaftler Frans deWaal meint dazu: Menschen sollten sich vom Verständnis lösen, als Herrscher nach Gutdünken über die Natur verfügen zu können. Denn eine Voraussetzung für gelungene Solidarität ist Empathie, die Fähigkeit, den Gefühlszustand eines Gegenübers zu verstehen und zu teilen. DeWaal hat sich der Erforschung dieses Themas gewidmet. Ich spreche am Telefon mit dem Biologen und Primatenforscher, der an der Emory University im US-Bundesstaat Georgia lehrt. Er ist sich sicher: Nur wenn sich Menschen als Teil der Natur begreifen und sich mit ihr solidarisieren, besteht die Chance, die Erderwärmung langfristig zu verlangsamen.

DeWaal und seine Kol­le­g:in­nen studieren das Verhalten von den nächsten Verwandten des Menschen: Bonobos und Schimpansen. Wer einmal gebannt einem Vortrag von deWaal gelauscht oder eines seiner Bücher gelesen hat, wird zugeben müssen, sich im Verhalten von Bonobos und Schimpansen wiederzufinden. Er und andere Ver­hal­tens­for­sche­r:in­nen haben herausgefunden, dass viele Tiere genau wie Menschen Empathie empfinden und empathisch handeln – nicht nur Säugetiere, sondern auch Vögel.

Sollte deWaal recht behalten und die Menschen überleben, indem sie sich als Tiere und Teil der Natur wahrnehmen, so ist die nicht indigene Mehrheitsgesellschaft von dieser Wahrnehmung heute weiter entfernt als die Indigenen. Das zeigt ein Besuch auf der Homepage des Navajo Nation Umweltamtes. Da heißt es: Seine Mission sei der Schutz von Mutter Erde und Vater Himmel und allem Lebenden. Seine Vision die Wiederherstellung von Harmonie und einer nachhaltigen Umwelt für alles Lebende. Im Vergleich dazu liest sich die Webseite des deutschen Umweltbundesamtes dagegen eher trocken. Das Amt begrüßt seine Besucher auf der Homepage mit dem Satz: „Mehrwertsteuer ökologisch und sozial gestalten“.

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